Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Will China alle Kritiker einsperren, Herr Wu?
Der chinesische Botschafter in Deutschland über Pekings harte Gangart und die Corona-Pandemie
Berlin. Chinas neues Sicherheitsgesetz für Hongkong sorgt weltweit für Empörung. Es erlaubt den chinesischen Behörden ein hartes Vorgehen gegen alle Aktivitäten, die nach ihrer Auffassung die nationale Sicherheit bedrohen. Kritiker befürchten, dass die Demokratiebewegung in der früheren britischen Kolonie zum Schweigen gebracht werden soll. Unsere Redaktion sprach mit dem chinesischen Botschafter Wu Ken über das gerade verabschiedete Gesetz, die Beziehungen zwischen Europa und China und den neuen Impfstoff gegen Covid-19.
Herr Botschafter, das neue chinesische Sicherheitsgesetz für Hongkong stellt sogenannte aufrührerische Tätigkeiten unter Strafe. Damit kann man jeden Kritiker mundtot machen. Ist das das Demokratieverständnis der kommenden Weltmacht China?
Das Grundübel aller Probleme in Hongkong ist Kolonialismus und Imperialismus. Mit der Kolonialbesetzung Hongkongs 1842 durch das britische Empire begann für China das bitterste Jahrhundert der Demütigungen. Wer heute über Hongkong spricht, muss diese Geschichte immer im Hinterkopf behalten.
So schmerzt nicht nur Millionen Einwohner der Stadt, sondern 1,4 Milliarden Chinesen, seit einem Jahr mitansehen zu müssen, wie Hongkong Stück für Stück von Unabhängigkeitsaktivisten und gewalttätigen Aufrührern, auch durch Einmischung von außen, mit schwarzem Terror überzogen wird. Diese stellen eine ernste Bedrohung für Chinas nationale Sicherheit dar. Kein souveräner Staat würde einen solchen Zustand tolerieren.
Aber viele Hongkonger hatten nur das Ziel, friedlich gegen einen zu großen Einfluss Pekings zu demonstrieren. Wollen Sie alle einsperren?
Das Gesetz zielt nur auf vier klar definierte Straftaten ab: Separatismus, Subversion, terroristische Aktivitäten und Kollaboration mit ausländischen Kräften zur Gefährdung der nationalen Sicherheit. Auch im Westen sind derlei Handlungen ein Straftatbestand.
Für die überwiegende Mehrheit der gesetzestreuen Einwohner und Ausländer in Hongkong besteht kein Grund zur Sorge, dass sie von diesem Gesetz betroffen sein könnten. Darin wird klar geregelt, dass die legitimen Rechte und Freiheiten einschließlich Rede-, Presse- und Versammlungsfreiheit der Einwohner Hongkongs geschützt werden.
Was bedeutet das neue Gesetz für deutsche Stiftungen in Hongkong, die Kritik an den Freiheitsrechten in China üben? Müssen deren Vertreter damit rechnen, ins Gefängnis zu kommen?
Es geht nicht um Kritiküben, sondern um Rechtsstaatlichkeit. Jeder Ausländer in Hongkong muss sich an das vor Ort geltende Gesetz halten – egal, ob er für eine Stiftung oder für ein Unternehmen tätig ist. Genauso wie jeder Ausländer hier in Deutschland sich an die deutschen Gesetze zu halten hat.
Vielleicht ist die Welt auch deshalb so skeptisch, weil China in der Rangfolge der Pressefreiheit einen dramatisch schlechten Platz einnimmt. Viele Journalisten und Blogger sind hinter Gittern. Wann wird China endlich Meinungsfreiheit zulassen?
Das ist Ihre Analyse. Heute gibt es in China mehr als 10.000 Zeitungen und Zeitschriften. Hinzu kommen 900 Millionen Internetnutzer. Das ist weltweiter Rekord. Auch die allgegenwärtige Nutzung von sozialen Medien trägt zur Meinungsvielfalt in China bei.
Deutschland hat am 1. Juli die EURatspräsidentschaft übernommen. Welche Erwartungen hat China daran?
Wir wünschen Deutschland dabei ein gutes Gelingen. Die Bundesregierung hat die Beziehungen zwischen der EU und China zu einer außenpolitischen Priorität erklärt. Darauf setzen wir. China und Deutschland verbindet eine strategische Partnerschaft. Wir hoffen, dass diese mit deutscher EU-Ratspräsidentschaft noch enger wird.
„Jeder Ausländer in Hongkong muss sich an das vor Ort geltende Gesetz halten.“
US-Präsident Donald Trump hat China aufgefordert, für Schäden der Corona-Pandemie zu haften. Wird Peking bezahlen?
Forderungen dieser Art sind reiner Populismus und entbehren jeglicher völkerrechtlichen Grundlage. Wer hat die Welt entschädigt für die Folgen der Vogel- und Schweinegrippe sowie HIV? Präsident Trump will damit nur von eigenen Versäumnissen ablenken und anderen die Schuld zuschieben. Im Übrigen: Woher das Coronavirus stammt, ist wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt.
Sie bestreiten, dass das Coronavirus aus der zentralchinesischen Stadt Wuhan kommt?
Der Ausbruch wurde zuerst in Wuhan gemeldet. Aber es heißt nicht unbedingt, dass das Virus seinen Ursprung in Wuhan hat. Das ist oft so in der Virusforschung und muss weiter wissenschaftlich untersucht werden. Mit der schnellen Abriegelung dieser Elf-Millionen-Stadt wurden sechs Wochen Zeit für die globale Pandemiebekämpfung gewonnen.
In China wird ein Corona-Impfstoff an Soldaten getestet. Wie weit ist Ihr Land bei der Entwicklung der Substanz?
Sechs Impfstoff-Präparate sind im klinischen Test, drei davon stehen schon vor der dritten Phase. Für uns ist klar: Die Entwicklung eines Impfstoffs ist kein Machtspiel oder Wettbewerb zwischen Ländern. Es ist ein Kampf der Menschheit gegen das Virus. Präsident Xi Jinping hat bereits angekündigt, den Impfstoff nach der Zulassung als globales öffentliches Gut anzubieten.