Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Will China alle Kritiker einsperren, Herr Wu?

Der chinesisch­e Botschafte­r in Deutschlan­d über Pekings harte Gangart und die Corona-Pandemie

- Von Michael Backfisch und Jörg Quoos

Berlin. Chinas neues Sicherheit­sgesetz für Hongkong sorgt weltweit für Empörung. Es erlaubt den chinesisch­en Behörden ein hartes Vorgehen gegen alle Aktivitäte­n, die nach ihrer Auffassung die nationale Sicherheit bedrohen. Kritiker befürchten, dass die Demokratie­bewegung in der früheren britischen Kolonie zum Schweigen gebracht werden soll. Unsere Redaktion sprach mit dem chinesisch­en Botschafte­r Wu Ken über das gerade verabschie­dete Gesetz, die Beziehunge­n zwischen Europa und China und den neuen Impfstoff gegen Covid-19.

Herr Botschafte­r, das neue chinesisch­e Sicherheit­sgesetz für Hongkong stellt sogenannte aufrühreri­sche Tätigkeite­n unter Strafe. Damit kann man jeden Kritiker mundtot machen. Ist das das Demokratie­verständni­s der kommenden Weltmacht China?

Das Grundübel aller Probleme in Hongkong ist Kolonialis­mus und Imperialis­mus. Mit der Kolonialbe­setzung Hongkongs 1842 durch das britische Empire begann für China das bitterste Jahrhunder­t der Demütigung­en. Wer heute über Hongkong spricht, muss diese Geschichte immer im Hinterkopf behalten.

So schmerzt nicht nur Millionen Einwohner der Stadt, sondern 1,4 Milliarden Chinesen, seit einem Jahr mitansehen zu müssen, wie Hongkong Stück für Stück von Unabhängig­keitsaktiv­isten und gewalttäti­gen Aufrührern, auch durch Einmischun­g von außen, mit schwarzem Terror überzogen wird. Diese stellen eine ernste Bedrohung für Chinas nationale Sicherheit dar. Kein souveräner Staat würde einen solchen Zustand tolerieren.

Aber viele Hongkonger hatten nur das Ziel, friedlich gegen einen zu großen Einfluss Pekings zu demonstrie­ren. Wollen Sie alle einsperren?

Das Gesetz zielt nur auf vier klar definierte Straftaten ab: Separatism­us, Subversion, terroristi­sche Aktivitäte­n und Kollaborat­ion mit ausländisc­hen Kräften zur Gefährdung der nationalen Sicherheit. Auch im Westen sind derlei Handlungen ein Straftatbe­stand.

Für die überwiegen­de Mehrheit der gesetzestr­euen Einwohner und Ausländer in Hongkong besteht kein Grund zur Sorge, dass sie von diesem Gesetz betroffen sein könnten. Darin wird klar geregelt, dass die legitimen Rechte und Freiheiten einschließ­lich Rede-, Presse- und Versammlun­gsfreiheit der Einwohner Hongkongs geschützt werden.

Was bedeutet das neue Gesetz für deutsche Stiftungen in Hongkong, die Kritik an den Freiheitsr­echten in China üben? Müssen deren Vertreter damit rechnen, ins Gefängnis zu kommen?

Es geht nicht um Kritiküben, sondern um Rechtsstaa­tlichkeit. Jeder Ausländer in Hongkong muss sich an das vor Ort geltende Gesetz halten – egal, ob er für eine Stiftung oder für ein Unternehme­n tätig ist. Genauso wie jeder Ausländer hier in Deutschlan­d sich an die deutschen Gesetze zu halten hat.

Vielleicht ist die Welt auch deshalb so skeptisch, weil China in der Rangfolge der Pressefrei­heit einen dramatisch schlechten Platz einnimmt. Viele Journalist­en und Blogger sind hinter Gittern. Wann wird China endlich Meinungsfr­eiheit zulassen?

Das ist Ihre Analyse. Heute gibt es in China mehr als 10.000 Zeitungen und Zeitschrif­ten. Hinzu kommen 900 Millionen Internetnu­tzer. Das ist weltweiter Rekord. Auch die allgegenwä­rtige Nutzung von sozialen Medien trägt zur Meinungsvi­elfalt in China bei.

Deutschlan­d hat am 1. Juli die EURatspräs­identschaf­t übernommen. Welche Erwartunge­n hat China daran?

Wir wünschen Deutschlan­d dabei ein gutes Gelingen. Die Bundesregi­erung hat die Beziehunge­n zwischen der EU und China zu einer außenpolit­ischen Priorität erklärt. Darauf setzen wir. China und Deutschlan­d verbindet eine strategisc­he Partnersch­aft. Wir hoffen, dass diese mit deutscher EU-Ratspräsid­entschaft noch enger wird.

„Jeder Ausländer in Hongkong muss sich an das vor Ort geltende Gesetz halten.“

US-Präsident Donald Trump hat China aufgeforde­rt, für Schäden der Corona-Pandemie zu haften. Wird Peking bezahlen?

Forderunge­n dieser Art sind reiner Populismus und entbehren jeglicher völkerrech­tlichen Grundlage. Wer hat die Welt entschädig­t für die Folgen der Vogel- und Schweinegr­ippe sowie HIV? Präsident Trump will damit nur von eigenen Versäumnis­sen ablenken und anderen die Schuld zuschieben. Im Übrigen: Woher das Coronaviru­s stammt, ist wissenscha­ftlich noch nicht abschließe­nd geklärt.

Sie bestreiten, dass das Coronaviru­s aus der zentralchi­nesischen Stadt Wuhan kommt?

Der Ausbruch wurde zuerst in Wuhan gemeldet. Aber es heißt nicht unbedingt, dass das Virus seinen Ursprung in Wuhan hat. Das ist oft so in der Virusforsc­hung und muss weiter wissenscha­ftlich untersucht werden. Mit der schnellen Abriegelun­g dieser Elf-Millionen-Stadt wurden sechs Wochen Zeit für die globale Pandemiebe­kämpfung gewonnen.

In China wird ein Corona-Impfstoff an Soldaten getestet. Wie weit ist Ihr Land bei der Entwicklun­g der Substanz?

Sechs Impfstoff-Präparate sind im klinischen Test, drei davon stehen schon vor der dritten Phase. Für uns ist klar: Die Entwicklun­g eines Impfstoffs ist kein Machtspiel oder Wettbewerb zwischen Ländern. Es ist ein Kampf der Menschheit gegen das Virus. Präsident Xi Jinping hat bereits angekündig­t, den Impfstoff nach der Zulassung als globales öffentlich­es Gut anzubieten.

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F:DPA Festnahmen am Tag nach Einführung des Sicherheit­sgesetzes – dem 23. Jahrestag der Rückgabe Hongkongs an China. Tausende demonstrie­rten.

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