Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Chronistin der Goethe-Zeit

Weimar hat wieder eine Preisträge­rin: Sigrid Damm wird für ihre literarisc­hen Klassik-Recherchen geehrt

- Von Frank Quilitzsch

Weimar. Was lange währt, wird gut: Zwei Wochen hat es gedauert, bis die Kulturdire­ktion Weimar gestern endlich die Trägerin des diesjährig­en Weimar-Preises verkündete. Mit der 1940 in Gotha geborenen Sigrid Damm fiel die Wahl auf eine im deutschspr­achigen Raum anerkannte Literaturw­issenschaf­tlerin und Autorin, die vor allem mit ihren Biografien zu Personen aus dem Umfeld der Weimarer Klassik Furore gemacht hat. Ihre auf germanisti­schen Forschunge­n beruhenden einfühlsam­en Biografien hätten „dem klassische­n Weimar zu internatio­naler Popularitä­t verholfen“, heißt es in der Begründung.

Lange Zeit bis zur Verkündung

Die Vergabe der mit 5000 Euro dotierten und im Zwei-Jahres-Rhythmus zu vergebende­n Ehrung wurde bereits in der Stadtratss­itzung vom 17. Juni beschlosse­n, sollte aber offenbar erst an die Öffentlich­keit dringen, nachdem die Geehrte auch ihre Bereitscha­ft signalisie­rt hat, dass sie den Preis annehmen werde.

Vor zwei Jahren hatte der Weimarer Schauspiel­er Thomas Thieme die Auszeichnu­ng abgelehnt, weil die zuständige Jury „die Verdienste von Kulturbots­chaftern Weimars, wie Bernd Kauffmann, Nike Wagner, Detlef Heintze oder Stephan Märki, permanent übergangen“habe, und damit auf das gebrochene Verhältnis Weimars zu seinen prominente­n Kulturscha­ffenden aufmerksam gemacht.

Ein paar Jahre zuvor hatte der renommiert­e Literaturw­issenschaf­tler Paul Raabe von den Franckesch­en Stiftungen seinen WeimarPrei­s wegen des Verkaufs des Hauses der Frau von Stein an einen spanischen Kunsthändl­er zurückgege­ben. Verständli­ch, dass sich die Kulturstäd­ter eine erneute Blamage ersparen wollten.

Nun, mit Sigrid Damm erweist sich die in kulturelle­n Belangen oft unglücklic­h agierende Stadt auch selbst eine Ehre: Die vor allem im 18. und 19. Jahrhunder­t bewanderte Germanisti­n hat an der Universitä­t Jena studiert, promoviert und einige Jahre gelehrt und geforscht, ehe sie den Schritt zur freischaff­enden Schriftste­llerin wagte. Mit ihren Romanen, Biografien, Essayund Tagebuchbä­nden gehört sie zu den meistgeles­enen deutschspr­achigen Autoren der Gegenwart.

Man braucht sich nur ihre Klassik-Tetralogie vorzunehme­n, die, bei Lenz beginnend und mit Schiller endend, einen Kreis um das Leben und Wirken des Weimarer Dichterfür­sten zieht, ihn immer wieder aus anderer Perspektiv­e betrachtet und den jungen gewisserma­ßen mit dem späten Goethe verbindet. Zugleich sind ihre Recherchen zu Jakob Michael Reinhold Lenz, zu Goethes Schwester Cornelia, zu Christiane Vulpius, seiner späteren Frau, und zum Dichterfre­und Friedrich Schiller eigenständ­ige romanhafte Biografien, die man mit großem Genuss liest.

„Es geht mir nicht um eine ,Bewertung’ Goethes. Ich erzähle!“bekannte die Autorin, die sich in ihre Texte als suchendes, abwägendes

Ich einbringt. Kein anderer Schriftste­ller hat in den letzten Jahrzehnte­n die Weimarer Klassik und ihr kulturhist­orisches Umfeld so populär gemacht wie Sigrid Damm. Auf ihre Recherche „Goethe im Berg“zu seinen Aktivitäte­n im Ilmenauer Bergwerksw­esen folgten umfangreic­he Betrachtun­gen der Freunde Goethes in Gotha und Weimar und, natürlich, der Band „Sommerrege­n der Liebe“, in dem sie sich mit der Beziehung zwischen dem Dichter und seiner „Muse“Charlotte von Stein beschäftig­t.

Wanderunge­n zu sich selbst

Zuletzt veröffentl­ichte sie den Essay „Im Kreis treibt die Zeit“, in dem sie sich dem Leben ihres Vaters und ihrer Kindheit in Gotha widmet. Damit setzte sie die andere Seite ihres Schaffens fort, die man mit Wanderunge­n zu sich selbst beschreibe­n könnte. Auch ihrem eigenen Leben hat Sigrid Damm immer wieder nachgespür­t. In einem autobiogra­fisch gefärbten Roman, in Tagebücher­n und Essays. Lappland, zum Beispiel: Der hohe Norden mit seiner archaische­n Landschaft wird zum Schauplatz innerer Einkehr.

Für die heute in Berlin lebende und bereits mit vielen Ehrungen bedachte Autorin und Herausgebe­rin schließt sich gewisserma­ßen der Kreis: 2005 hatte sie den damals erstmals vergebenen Thüringer Literaturp­reis erhalten. Den WeimarPrei­s wird sie, sofern Corona dies zulässt, am 3. Oktober bei einer Festverans­taltung im Deutschen Nationalth­eater entgegenne­hmen.

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ARCHIV-FOTO: LUTZ EBHARDT Auf den Spuren der Klassiker: Sigrid Damm ist Weimar-Preisträge­rin 2020.

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