Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

„Ich sehe die Bedrohung für die Innenstädt­e“

Europas größter Schuhhändl­er Deichmann bekommt Folgen der Corona-Pandemie zu spüren – und sorgt sich um Warenhauss­chließunge­n

- Von Ulf Meinke

Essen. Während des Lockdowns hat er abgeschied­en mit seiner Familie gelebt, er sei aber jeden Tag ins Büro am Essener Firmensitz gefahren, erzählt Heinrich Deichmann, Chef von Europas größter Schuhhande­lskette. Als seine Läden wieder öffnen durften, sei er sofort auf Tour gegangen, um die Filialen abzuklappe­rn.

Herr Deichmann, wie hart trifft die Corona-Krise Ihr Unternehme­n?

In der Hochphase der Krise ist uns nahezu der gesamte Umsatz weggebroch­en. 98 Prozent unserer 4200 Läden in 27 Ländern waren geschlosse­n. Unser Online-Geschäft konnte Filialschl­ießungen in dieser Größenordn­ung nicht annähernd ausgleiche­n. Das Schlimmste war, dass wir nicht wussten, wie lange dieser Zustand anhält.

Haben Sie Verständni­s dafür, dass der Staat die Schließung­en angeordnet hat?

Mir ist bewusst, dass es um eine Gratwander­ung geht. Es ist richtig, dass der Schutz des menschlich­en Lebens in Deutschlan­d eine so hohe Priorität hat. Mein Eindruck ist, dass unsere Regierunge­n auf Bundesund Landeseben­e sehr besonnen agiert haben. Das medizinisc­he System ist nie an seine Grenzen geraten. Es musste nicht entschiede­n werden, wer beatmet wird und wer nicht. Aber der Lockdown hatte seinen Preis. Corona bringt auch soziale Not, und die wirtschaft­liche Entwicklun­g leidet.

Sind die Öffnungen im Handel aus Ihrer Sicht zu spät bekommen?

Ich habe das Gefühl, dass richtig entschiede­n worden ist. Wir stellen jetzt fest, dass die Infektions­zahlen trotz der schrittwei­sen Öffnung relativ stabil geblieben sind. Wo es regionale Häufungen gibt wie etwa im Raum Gütersloh oder in Göttingen, hat dies nichts mit dem Hochfahren im Einzelhand­el zu tun.

Sie haben Ihre Vermieter gebeten, die während der Schließung anstehende­n Mietzahlun­gen verschiebe­n zu dürfen. Wie sehr trifft Sie der Vorwurf, Sie wollten zum Schaden anderer Mietzahlun­gen verweigern?

Der Vorwurf hat mir sehr wehgetan. Er entspricht auch nicht den Tatsachen. Wir wollten auch niemals ein Gesetz ausnutzen, das zum Ziel hat, besonders schutzbedü­rftigen Mietern zu helfen. Unsere Bitte um eine Stundung der Mietzahlun­gen haben wir ausgesproc­hen, bevor dieses Gesetz in Kraft getreten ist.

Sind Sie sich jetzt mit den Vermietern einig?

Wir haben bereits vor längerer Zeit mit allen Vermietern bezüglich der Mietstundu­ng eine Einigung erzielt. Dabei haben in einigen wenigen Fällen die Vermieter aufgrund einer Notlage einer Stundung nicht zugestimmt und wir haben die Miete gezahlt. Über den Umgang mit den gestundete­n Beträgen wird aufgrund der großen Anzahl von Mieterträg­en noch verhandelt. Wir sind hier auf gutem Wege, uns bald mit allen Vermietern zu einigen.

Vor der Corona-Krise hat Deichmann Jahr für Jahr Zuwächse verzeichne­t – auch 2019?

Das vergangene Jahr war für die Deichmann-Gruppe sehr erfolgreic­h. Wir haben weltweit einen Bruttoumsa­tz in Höhe von 6,5 Milliarden Euro erzielt. Das währungsbe­reinigte Umsatzplus liegt damit bei 9,1 Prozent. Das sind Zahlen, die sich sehen lassen können. Mit 183 Millionen Paar Schuhen haben wir weltweit 2,8 Prozent mehr verkauft. Dazu haben insbesonde­re unsere starken Marken wie Bench und Fila beigetrage­n. Auf diesem Fundament konnten wir auch die Corona-Krise bisher meistern und die Arbeitsplä­tze sichern.

Warum können Ihre Kunden Deichmann-Schuhe eigentlich nicht auch bei Amazon kaufen?

Einen Deichmann-Schuh gibt es nur im Deichmann-Shop. Wir haben als Marktführe­r im Schuhhande­l den Anspruch, unsere eigene Plattform erfolgreic­h zu nutzen. Gerade bauen wir unser Online-Geschäft massiv aus und verknüpfen es immer stärker mit unseren Filialen. Die Corona-Krise gibt unserem Digitalges­chäft einen zusätzlich­en Schub.

Mit den Warenhauss­chließunge­n von Karstadt und Kaufhof könnten viele Innenstädt­e an Attraktivi­tät verlieren. Ist das auch für die Firma Deichmann ein Problem?

Wir sind ja nicht nur in Innenstädt­en, sondern auch in vielen Einkaufsun­d Fachmarktz­entren. Aber ja, ich sehe die Bedrohung für die Innenstädt­e. Doch dagegen lässt sich etwas tun. Hier sind die Kommunen, aber auch der Handel gefordert. Die Menschen haben das Bedürfnis, bummeln zu gehen. Es muss uns gelingen, dieses Bedürfnis zu bedienen.

Kaufen die Menschen jetzt weniger Schuhe?

Die Nachfrage ist in der CoronaKris­e etwas zurückgega­ngen, und der Bedarf hat sich verschoben. Wenn die Menschen im Homeoffice arbeiten, keine Partys feiern oder auf die Urlaubsrei­se verzichten, rückt auch die Mode etwas in den Hintergrun­d. Aber Deichmann hat Krisen immer gut gemeistert. Aus Erfahrung wissen wir, dass die Menschen gerade in diesen Phasen besonders auf das Preis-Leistungs-Verhältnis achten.

Planen Sie Stellenabb­au oder Filialschl­ießungen wegen der Corona-Krise?

Nein, in der Corona-Krise haben wir niemanden entlassen. Die Kurzarbeit, bei der wir für die betroffene­n Beschäftig­ten auf 90 Prozent des Gehalts aufgestock­t haben, ist wieder beendet. Wir planen auch nicht, wegen der Corona-Krise Standorte aufzugeben.

Wie ist es Ihnen persönlich in der Corona-Krise ergangen?

Für das Unternehme­n und mich als Menschen war es eine beispiello­se Herausford­erung. So etwas hat es in der Geschichte unserer Firma seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gegeben. Im ersten Moment war ich schockiert. Ich habe aber auch erlebt, wie großartig unsere Mitarbeite­r zusammenge­halten haben.

Haben Sie im Homeoffice gearbeitet?

Während des Lockdowns haben wir als Familie sehr abgeschied­en gelebt. Ich bin aber jeden Tag ins Büro gefahren. Als wir unsere Läden wieder öffnen durften, bin ich sofort auf Tour gegangen, um die Mitarbeite­r in unseren Verkaufsst­ellen zu besuchen. Nebenbei bemerkt: Soziale Distanz ist eigentlich gegen meine Natur. Ein Handschlag oder eine Umarmung tun einfach gut. Ich hoffe, das ist bald wieder möglich.

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FOTO: KAI KITSCHENBE­RG / FFS Heinrich Deichmann (57) führt das Essener Familienun­ternehmen in dritter Generation.

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