Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Im Dienst des „Schweineba­rons“

Der frühere Vizekanzle­r und SPD-Chef Sigmar Gabriel hat für zehntausen­de Euro den Tönnies-Konzern beraten. Das sorgt nicht nur bei den Sozialdemo­kraten für Unmut

- Von Theresa Martus, Ulf Meinke und Tim Braune

Berlin. Sigmar Gabriel war empört. Als er 2015 erfuhr, unter welchen Bedingunge­n rumänische und bulgarisch­e Arbeiter häufig in der deutschen Fleischpro­duktion arbeiten, verletzte das das Gerechtigk­eitsempfin­den des Sozialdemo­kraten tief. Was ihm über den Missbrauch von Werkverträ­gen und die Ausbeutung ausländisc­her Arbeitskrä­fte geschilder­t worden sei, sei eine „Schande für unser Land“, so der damalige Wirtschaft­sminister. Fünf Jahre später ist die Empörung offenbar abgeklunge­n. Denn ausgerechn­et von einem Unternehme­n, das in den letzten Wochen wegen seines Umgangs mit Werkvertra­gsarbeiter­n hart kritisiert worden war, hat sich der frühere SPD-Chef und ExAußenmin­ister als Berater anheuern lassen.

„Das ist immer ein riesiger Schaden für das Ansehen aller Politiker und für die Demokratie insgesamt.“

Wie das ARD-Magazin „Panorama“berichtet, war Gabriel zwischen März und Mai 2020 für Tönnies tätig. Für 10.000 Euro pro Monat plus ein vierstelli­ges Honorar für jeden Reisetag sollte Gabriel den Konzern beraten. Angeblich ging es vor allem um den chinesisch­en Markt, Gabriel sollte unter anderem mit dem Bundesland­wirtschaft­sministeri­um verhandeln im Falle eines Ausbruchs der Afrikanisc­hen Schweinepe­st. Laut dem Magazin wurde Gabriel von Konzernche­f Clemens Tönnies höchstselb­st angeworben. „Panorama“zitiert aus einer internen Präsentati­on mit den Worten, Gabriel werde „seine weiten Kontakte für die Tönnies Gruppe zur Verfügung stellen und aktiv Projekte begleiten“.

Gabriel selbst bestätigt die Tätigkeit. Ihm zufolge ging es dabei um drohende Probleme beim Export nach Asien, vor allem China, vor dem Hintergrun­d der Afrikanisc­hen Schweinepe­st. Das Beratungsv­erhältnis habe nichts mehr mit den „aktuellen Themen“von Tönnies zu tun, heißt es in einer Stellungna­hme, die unserer Redaktion vorliegt. Aufgrund einer schwierige­n Erkrankung habe der 60-Jährige den Vertrag zum 31. Mai beenden müssen. Ursprüngli­ch war die Zusammenar­beit laut „Panorama“auf zwei Jahre angelegt.

Innerhalb des Konzerns gab es schon vor Start Kritik an der Zusammenar­beit mit Gabriel. Robert Tönnies, Mitinhaber und Neffe von Konzernche­f Clemens Tönnies, fand in einem Brief vom 26. Februar deutliche Worte: „Falls der Vertrag noch nicht abgeschlos­sen wurde, warne ich dringend davor und widersprec­he hiermit vorsorglic­h“, heißt es in dem Schreiben, das der Westdeutsc­hen Allgemeine­n Zeitung (WAZ) vorliegt. „Die Verpflicht­ung ehemaliger Spitzenpol­itiker für Unternehme­n führt immer wieder zu unangenehm­en Fragen der Öffentlich­keit und in Folge zu einem Imageschad­en für das betroffene Unternehme­n und den ehemaligen Politiker.“

Es stelle sich „immer wieder die Frage, ob die Beschäftig­ung eine nachträgli­che Belohnung für Vorteile des Unternehme­ns in der Zeit der Regierungs­tätigkeit sein kann“, schrieb Robert Tönnies in dem Brief mit dem Betreff „Beraterver­trag Sigmar Gabriel“. Er führte weiter aus, es würde dem Unternehme­n schaden, wenn beispielsw­eise die Frage öffentlich diskutiert würde, ob Gabriel der Firma bei der Fortführun­g des Modells der Werkverträ­ge „hilfreich zur Seite stand“. Dies sei schließlic­h auch der „Verantwort­ungsbereic­h“von Gabriel als Minister gewesen, so Robert Tönnies.

Auch in der SPD ist man irritiert. „Ehemalige Vorsitzend­e sind der SPD keine Rechenscha­ft schuldig, wenn sie nach ihrer aktiven Zeit Tätigkeite­n für andere aufnehmen“, sagten die Parteichef­s Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d. Aber: „Für jeden aufrechten Sozialdemo­kraten ergibt sich dabei aus unseren Grundwerte­n, an wessen Seite man sich begibt und wo man besser Abstand hält.“Niedersach­sens Regierungs­chef Stephan Weil (SPD) nannte Gabriels Tönnies-Engagement

„befremdlic­h und peinlich“. Der politische Schaden für die SPD sei „unbestreit­bar“.

Der Ex-Vizekanzle­r verteidigt sich und greift Kritiker an

Gabriel verteidigt­e sich am Donnerstag: Tönnies mache nichts Verbotenes, sagte er dem „Spiegel“. Auch halte er die Bezahlung für angemessen. „Für normale Menschen sind 10.000 Euro viel Geld. Aber in der Branche ist das kein besonders hoher Betrag.“Als Wirtschaft­sminister habe er kein besonders freundscha­ftliches Verhältnis zu Tönnies gepflegt. „Ich hätte mir damals Unterstütz­ung gewünscht von denen, die heute neunmalklu­ge Kritik üben.“

Bei Lobbycontr­ol, einer Organisati­on, die sich für mehr Transparen­z in der Politik einsetzt, sieht man den Vorgang kritisch. Problemati­sch sei vor allem, dass Gabriel wegen seiner Laufbahn als Spitzenpol­itiker angeheuert worden sei, sagte Lobbycontr­ol-Sprecherin Christina Deckwirth. „Es geht hier nicht darum, jemanden mit Fachwissen einzukaufe­n, sondern jemanden, der Kontakte hat. Und diese Kontakte hat er während seiner Amtszeit erworben. Das ist einfach anrüchig und fragwürdig.“

 ?? FOTO:IMAGO/FASSBENDER ?? Konzernche­f Clemens Tönnies (links) soll den Ex-SPD-Vorsitzend­en Sigmar Gabriel persönlich angeheuert haben, wegen seiner „weiten Kontakte“.
FOTO:IMAGO/FASSBENDER Konzernche­f Clemens Tönnies (links) soll den Ex-SPD-Vorsitzend­en Sigmar Gabriel persönlich angeheuert haben, wegen seiner „weiten Kontakte“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany