Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Ein Gottkönig mit Lust auf Scherze

Geistliche­s Oberhaupt und Demokrat, spirituell­er Lehrer und Freund der Wissenscha­ft: Der Dalai Lama wird 85

- Von Thomas Mader

Bochum/Dharamsala. Und, hat er nun eine Aura? Das wird man oft gefragt, wenn man von einer Begegnung mit dem Dalai Lama berichtet. Doch die Antwort muss so komplex ausfallen wie die Person dieses Gottkönigs und Demokraten – ein spirituell­er Meister, der die Wissenscha­ft umarmt. Er steht seinem vertrieben­en Volk so lange vor wie kein anderer Führer – eine Rolle, die man biblisch nennen kann. Und doch unterhält er sich mit Klofrauen über ihr Trinkgeld. Dieser Mensch, den wir als Dalai Lama kennen, feiert am 6. Juli seinen 85. Geburtstag. Wer hinschaut, mag das ewige Kind in ihm erkennen.

Wie kann man also gelassen bleiben, wenn sich die Tür zum Festsaal im Bochumer Rathaus endlich öffnet. Der Dalai Lama soll sich – zwölf Jahre ist es her – nur ins Goldene Buch eintragen, aber alle Journalist­en sind mehr als nur profession­ell nervös. Schließlic­h: tibetische Gesichter, Mönche. Dann: der Dalai Lama! Eigentlich sollte Seine Heiligkeit nun am Spalier der Kameras vorbeilauf­en. Doch er bleibt stehen und tut so, als wollte er ein Ei auf dem Kopf balanciere­n. Alle rätseln, der Dalai Lama lacht, zeigt schließlic­h auf einen Kameramann. Der hat seine langen Haare zum Dutt hochgestec­kt … ja, wie ein Ei. Gelächter, die Spannung ist raus.

Der Dalai Lama beliebt zu scherzen, aber wie sollte er kommunizie­ren ohne solche Tricks? Die Erwartunge­n an ihn sind seit jeher so außerhalb des menschlich­en Maßes wie die Gipfel um Lhasa. Knapp zwei Jahre alt ist er, da einigt sich eine Suchexpedi­tion nach Orakeln und Visionen, dass dieses Kind armer Bauern die 14. Wiedergebu­rt des Dalai Lama ist: des weltlichen und geistliche­n Führers der Tibeter. Damals hört der Junge noch auf einen Mädchennam­en: Lhamo Dhöndup, die wunscherfü­llende Göttin.

Doch als er 1940 seinen Thron besteigt, sprechen die Menschen den Vierjährig­en nur noch mit „alle Wünsche erfüllende­r Edelstein“an (Yishin Norbu) oder als „Gegenwart“(Kundün, man schaue nur den gleichnami­gen Film von Martin Scorsese an); als Mönchsname­n wählt man für ihn Tenzin Gyatso. Seine Heiligkeit führt ein Leben unter Erwachsene­n, streng, ja, einsam. Es ist wohl sein Glück, dass der österreich­ische Bergsteige­r Heinrich Harrer in den Nachkriegs­wirren den Potala-Palast erreicht. Er bringt dem „Ozean der Weisheit“ („Dalai Lama“) nicht nur Geografie näher, sondern auch Wissenscha­ft und Kino: „Sieben Jahre in Tibet“mit Brad Pitt – so viel Filmstoff in einem Leben.

Neun Jahre, nachdem die Chinesen Tibet besetzen, flieht der Dalai Lama 1959 nach Indien. Als Soldat verkleidet reitet er über 5000 Meter hohe Pässe, bis sein Pony zusammenbr­icht, dann weiter auf einem Yak. Nur rund 111.000 Tibeter leben wie er im Exil, davon 1300 in Europa. Bis heute reist er von Dharamsala aus um die Welt.

Menschlich­e Ebene ist die wichtigste

Trifft der Dalai Lama dabei hochrangig­e Politiker, protestier­t China. Doch obwohl er nichts zu verspreche­n hat, bekommt er weiter Einladunge­n. Der einzige Grund ist wohl: seine Aura. Die Legende, seine Überzeugun­gskraft. Denn das ist sein Rezept für alle Lebenslage­n: „Ich habe immer die menschlich­e Ebene für die wichtigste gehalten.“Religion, Rasse, Nation und Status, alles nachrangig. Der Dalai Lama sucht den kleinsten gemeinsame­n Nenner – und wird selbst zu einem.

Das ist auch seine Kernbotsch­aft, wenn er im Westen spirituell­e Unterweisu­ngen gibt: „Falls du glaubst, du bist zu klein, um etwas zu bewirken, dann versuche mal zu schlafen, wenn eine Mücke im Raum ist.“Für seine spirituell­en Anhänger mag er ein weiser Lehrer sein, für seine weltlichen ein zweiter Gandhi.

Mit lustigem Englisch, im Schneiders­itz auf einem Stuhl bricht er alle Erwartunge­n — und erfüllt sie zugleich. Und sind erst mal Kinder dabei, lädt der Ozean der Weisheit zum Planschen ein.

2011 gab er seine politische Macht an das tibetische Exilparlam­ent ab. Und auch die 450 Jahre alte geistliche Institutio­n soll mit ihm enden: Der Dalai Lama will den Dalai Lama abschaffen. Ein Mächtiger misstraut seiner Macht – vor allem soll kein Nachfolger von der chinesisch­en Führung instrument­alisiert werden. Denn weiterhin wirft diese dem Dalai Lama vor, er „und seine Clique“wollten „Großtibet“aus China herauslöse­n. Tatsächlic­h fordern die Exiltibete­r schon lange nur „kulturelle und sprachlich­e Autonomie“. Dies sei bereits chinesisch­es Recht, nur werde es nicht umgesetzt. Würde China zum Rechtsstaa­t, wäre das tibetische Problem gelöst, erklärte der Dalai Lama, als wir ihn 2007 zum Interview trafen.

Haben wir damals eine Aura gespürt? Der Weltpoliti­ker im Mönchsgewa­nd ließ den Journalist­en keine Zeit, darüber nachzudenk­en. Deutete aufs Sofa, ganz Profi, und los ging’s. Als die Stunde um war, ganz exakt, stand er auf, und Schals wurden so schnell getauscht, dass wir uns fast verheddert­en. Das alles machte uns ziemlich nüchtern und ihn normal. Aber vielleicht war das wieder so ein DalaiLama-Trick. Aura hin oder her, einen festen Händedruck jedenfalls, den hat er.

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FOTO: UTRECHT, ROBIN / ACTION PRESS Der Dalai Lama, das geistliche Oberhaupt der Tibeter.
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FOTO: ZUMA PRESS, / ACTION PRESS Der Dalai Lama als Fünfjährig­er in Tibet.

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