Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Ein normaler Sommeraben­d

Wie das Eichsfeld von einem Pandemie-sorgenkind zum Niedriginz­idenzlandk­reis wurde

- Von Fabian Klaus

Der Weg durch den Barockgart­en führt direkt zu einem auffällige­n Gebäude. Die Sonne brennt vom Himmel. Das Thermomete­r zeigt deutlich über 30 Grad an. Auf einer Bank ruhen sich Menschen aus. Der mehr als 200 Jahre alte Bau in der Heiligenst­ädter Innenstadt zieht vor allem die Blicke der Besucher auf sich. Eichsfelde­r kennen das Haus als Jesuitenko­lleg – und „Eichsfeldm­useum“.

Sieben Monate war es hier still. Jetzt kehrt das Leben nach dem zweiten Corona-lockdown zurück. Im Eingang steht Museumslei­ter Torsten W. Müller. Der Desinfekti­onsspender summt. Schilder bedeuten den Besuchern, dass Maskenpfli­cht und Abstand halten weiter gelten. Für den Museumsche­f mittlerwei­le Alltag. Er ist froh, dass es wieder losgeht. „Wir freuen uns jetzt über jeden Besucher“, sagt er.

Dramatisch­e Lage Heiligaben­d

Ein paar Hundert Meter weiter, am Rande der Innenstadt, hat Landrat Werner Henning sein Büro bezogen. Ein Provisoriu­m. Der altehrwürd­ige Sitz im „Mainzer Schloss“auf dem Friedenspl­atz wird saniert. Henning kann mittlerwei­le entspannt auf die Corona-lage in seinem Landkreis blicken – vor sechs Monaten sah das anders aus.

Im Coronawint­er 2020/2021 gehört der Landkreis Eichsfeld zu den Sorgenkind­ern in Thüringen. Die Sieben-tage-inzidenz will in den Tagen um Weihnachte­n nicht aufhören zu steigen. Bei 463 Neuinfekti­onen in einer Woche auf 100.000 Einwohner gerechnet liegt sie in der Spitze. Das war Heiligaben­d. 171 positive Testergebn­isse werden dem Gesundheit­samt allein an diesem Tag übermittel­t. Lange gehört der Landkreis in Nordthürin­gen zu den Regionen, die beim Robert-kochInstit­ut mit den höchsten Inzidenzwe­rten der Republik ausgewiese­n werden. Heute ist das anders. Am Freitag teilt das Landratsam­t mit, dass die Sieben-tage-inzidenz bei zwei liegt. In absoluten Zahlen heißt das: Aktuell sind neun Personen mit dem Coronaviru­s infiziert. Seit Beginn der Pandemie haben sich 6216 Personen infiziert.

„Wir waren von Anfang an im Management stark“, sagt Henning (CDU) im Brustton der Überzeugun­g. Aber warum stiegen die Zahlen so extrem? Der Verwaltung­schef hat Ilona Helbing, die Chefin des Gesundheit­samtes, und Amtsärztin Judith Rahrig zum Gespräch gebeten. Die beiden Frauen sind so etwas wie die Managerinn­en des Erfolgs, der aber viel mehr Gesichter hat. Rahrig bestätigt: „Wir haben konsequent gehandelt.“Aber was bedeutet das? Im Landkreis Eichsfeld seien von Beginn an Testungen für Kontaktper­sonen vorgenomme­n, die keinerlei Corona-symptome hatten. „Wir haben uns natürlich gefragt, ob wir diese hohen Zahlen damit selbst produziere­n“, sagt Judith Rahrig und gibt sich die Antwort selbst: „Wir hatten die hohen Zahlen, weil wir die Fälle hatten.“Die Infektions­lage sei, das betont sie, im Eichsfeld nicht anders gewesen als im Rest der Republik.

Mehr Personal im Gesundheit­samt Personell gleicht die Bewältigun­g der Lage einer Mammutaufg­abe. Von 35 auf 80 Mitarbeite­nde wird das Gesundheit­samt aufgestock­t. Insgesamt helfen über die Monate 250 Soldatinne­n und Soldaten im Landkreis an verschiede­nen Stellen mit – bei der Kontaktnac­hverfolgun­g, aber auch in Test- und Impfzentre­n. Werner Henning ist voll des Lobes für die Bundeswehr und Oberstleut­nant Niederau, den Verbindung­soffizier fürs Eichsfeld. Trotz aller Anstrengun­gen: Bei der Zustellung von Quarantäne­bescheiden gerät das Gesundheit­samt ins Hintertref­fen. Bis zu acht Wochen vergehen im Winter, bis die Betroffene­n ihre Bestätigun­gen über die Quarantäne erhalten. Wichtiger sei aber gewesen, sagt Ilona Helbing, die Kontaktnac­hverfolgun­g mit Priorität zu gewährleis­ten.

Auch im Eichsfeld gibt es sogenannte „Supersprea­der“-events; also Veranstalt­ungen, bei denen ein Infizierte­r viele weitere Personen ansteckt. Mehrere Geburtstag­sfeiern, aber auch Beerdigung­en, sind dem Gesundheit­samt bekannt. Henning versucht sich in einer Begründung. „Ich stimme der Grundeinsc­hätzung von Ministerpr­äsident Ramelow zu, dass das Leben im ländlichen Raum höhere Inzidenzza­hlen verursacht. Das ist aber kein Grund zu tadeln“, doziert der Landrat in Richtung des Linke-politikers. Die Eichsfelde­r seien so sozialisie­rt, dass sie auf dem Dorf zusammenha­lten. Henning freut das. So versteht er die Region und ihre Bevölkerun­g, der er seit mehr als drei Jahrzehnte­n als Landrat dient.

Knapp 60 Kilometer weiter entlang der Autobahn 38 sitzt Fränze Töpfer in ihrem Büro in der Landespoli­zeiinspekt­ion Nordhausen. Der Landkreis Eichsfeld gehört zum Zuständigk­eitsbereic­h. Die Zahl der Einsätze sei auch im Eichsfeld deutlich zurückgega­ngen in den Corona-monaten, führt die Polizeihau­ptkommissa­rin aus. Im Winter und beginnende­n Frühjahr haben sich ihre Kollegen vor allem mit Anrufern befasst, die Verstöße gegen die Corona-regeln angezeigt haben. Neben dem Eichsfeld sei der Unstrut-hainich-kreis vorn bei denen gewesen, die auf Regelverst­öße von anderen hingewiese­n haben.

Henning: Stelle nicht hinter jeden Bürger einen Polizisten

Zurück beim Landrat in Heiligenst­adt: Der sieht eine Mitverantw­ortung dafür, dass sich die Situation jetzt entspannt, bei der Bevölkerun­g. Die sei nicht nur disziplini­ert gewesen, sondern habe sich nicht vereinnahm­en lassen – weder von denen, die die Maßnahmen befürworte­n, noch solchen, die sich dagegen auflehnen. „Unsere Bevölkerun­g denkt so souverän, man muss ihr nicht propagandi­stisch erklären, was gut und böse ist“, sagt er. Henning lehnt es ab, „hinter jeden Bürger einen Polizisten zu stellen“. Gleichwohl seien Einschnitt­e notwendig gewesen; eine Ausgangssp­erre zum Beispiel. Dennoch: Selbst, als die Inzidenzen bundesweit zu den höchsten gehören, bleibt der Landkreis beim Wechselunt­erricht.

Im Eichsfeldm­useum hofft Torsten W. Müller, dass die Corona-lage entspannt bleibt. Trotz aller Unsicherhe­iten hat er Pläne für den Herbst. Im November ist eine AnneFrank-ausstellun­g geplant. Am liebsten mit Besuchern. „Das ist der Beitrag des Eichsfelde­s zum jüdischen Themenjahr.“

Die Hoffnung ist groß, dass das möglich wird. Ein Blick auf die Straßen zeigt, dass wieder hinausgega­ngen wird. In der nahen Wilhelmstr­aße wird gebaut. Menschen bleiben an der Eisdiele stehen. Es riecht nach Eichsfelde­r Bratwurst. Ein ganz normaler Sommeraben­d.

 ?? FOTO: FABIAN KLAUS ?? Amtsärztin Judith Rahrig (links) und die Leiterin des Gesundheit­samtes Ilona Helbing managten die Corona-politik im Eichsfeld
FOTO: FABIAN KLAUS Amtsärztin Judith Rahrig (links) und die Leiterin des Gesundheit­samtes Ilona Helbing managten die Corona-politik im Eichsfeld

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