Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Das Seepferdch­en macht noch keinen Schwimmer

Nicht nur die steigende Zahl von Nichtschwi­mmern sorgt Experten. Eltern überschätz­ten oft Fitness und Können der Kinder

- Von Anne-kathrin Neuberg-vural

Es ist heiß, sehr heiß. Freibäder haben wieder geöffnet. Auch das Meer und Badeseen locken mit Erfrischun­g. Doch nach der coronabedi­ngten Badepause ist die Sorge vor einer Häufung tödlicher Badeunfäll­e groß. Nach Einschätzu­ng der Deutschen Lebens-rettungs-gesellscha­ft ( DLRG) hat sich die Lage mit Blick auf Nichtschwi­mmer durch die Pandemie noch einmal verschärft.

Mehr als jedes zweite Kind war schon vor der Pandemie beim Verlassen der Grundschul­e kein sicherer Schwimmer. Als Folge der Schwimmbad­schließung­en und fehlenden Ausbildung­smöglichke­iten rechnet die DLRG mit einem weiteren Anstieg schwimmunf­ähiger Kinder. Zusätzlich fürchten die Rettungssc­hwimmer mehr Badetote – im Jahr 2020 waren es 378.

Unabhängig von teils gefährlich­en Strömungen in Flüssen und im Meer ist aus Sicht von DLRGSprech­er Achim Wiese „nicht nur das Schwimmenk­önnen als solches ein Problem, sondern auch die Fitness“. Schwimm- und Freibäder waren lange geschlosse­n, auch Vereins- und Schulsport war nicht möglich. „Aber Schwimmen ist eben auch eine Frage von Kraft und Ausdauer“, sagt Wiese gegenüber unserer Redaktion.

Dass Kinder, die vor der Pandemie bereits sicher schwimmen konnten, genau das wieder verlernt haben, hält Wiese für unwahrsche­inlich: „Grundsätzl­ich ist Schwimmen wie Fahrradfah­ren. Das verlernt man nicht.“Nach einer langen Pause müsse man sich aber wieder daran gewöhnen.

Außerdem – Pandemie hin oder her: „Ohne das Freischwim­mer-abzeichen, also das Schwimmabz­eichen in Bronze, gilt kein Kind, kein Mensch der Welt als sicherer Schwimmer“, sagt Wiese. Natürlich müsse man nicht unbedingt das Abzeichen erwerben, die Diszipline­n aber egal wie meistern. „Wer das nicht kann, den würde ich niemals alleine zum Schwimmen lassen“, warnt der Experte.

Das Seepferdch­en attestiert laut

Wiese lediglich, dass sich ein Kind „kurzfristi­g über Wasser halten kann“. Beim Training und der Prüfung habe es immer im Hinterkopf, dass es, wenn es nicht mehr kann, einfach an den Beckenrand greift. Das ist im Badesee oder Meer schlicht gar nicht möglich.

Egal ob absoluter Nichtschwi­mmer oder Seepferdch­en: „Man muss als Elternteil oder Aufsichtsp­erson im Wasser immer so nah am Kind bleiben, dass man bei einer Gefahrensi­tuation sofort zugreifen, helfen und letztlich sogar retten kann“, mahnt der Dlrg-sprecher.

Im Fall der Fälle muss es schnell gehen. „Ein bis zwei Minuten reichen schon aus, dass ein Bade- oder Planschunf­all tödlich enden kann“, sagt Janko von Ribbeck. Der ehemalige Rettungssa­nitäter und Autor („Schnelle Hilfe für Kinder“) hat daher kein Planschbec­ken im Garten. „Mir ist das zu gefährlich, weil ich mich kenne. Ich kann nicht den ganzen Tag daneben sitzen und immer mit meiner vollen Aufmerksam­keit beim Kind sein“, sagt von Ribbeck. Aber schon die kleinste Ablenkung, sei es durch ein Mobiltelef­on oder ein Geschwiste­rkind, sei riskant.

Kinder mit kleinen Tricks möglichst früh ans Wasser gewöhnen

„Selbst ein aufblasbar­er Pool, zur Hälfte mit Wasser gefüllt, kann für ein Kind tödliche Gefahr bedeuten“, bestätigt Wiese. Planschbec­ken zu verbannen, so weit würde er aber nicht gehen. Viel zu wichtig sei es, dass kleine Kinder und Babys den Erlebnisra­um Wasser frühzeitig kennenlern­en. „Natürlich vorausgese­tzt, das Kind ist auch hier immer in Griffnähe.“

Damit Kinder bei unerwartet­em

Kontakt mit Wasser nicht in Panik verfallen, plädieren die Experten dafür, Kinder frühzeitig ans Wasser zu gewöhnen. „Wenn man ins Wasser fällt beispielsw­eise, hat der Mensch automatisc­h die Angewohnhe­it, kurz Luft zu holen und anzuhalten“, erklärt Wiese. „Mit Kindern kann man aber schon in der Badewanne oder unter der Dusche üben, indem man ihnen etwas Wasser ins Gesicht spritzt oder die Kinder wie ein Krokodil mit den Augen über Wasser untertauch­en lässt.“Dabei sollen die Kinder pusten, statt die Luft anzuhalten.

Wenn Kinder das lernen, wird es laut Wiese irgendwann zum Automatism­us. „Sie atmen bei Wasserkont­akt aus und verhindern so unter Umständen einen Stimmritze­nkrampf.“Dieser macht das Einund Ausatmen unmöglich. Außerdem sollten Kinder schon früh, schwimmen zu lernen.

Ab einem Alter von fünf Jahren könne es losgehen. „Dann ist ein Kind in der Lage, das alles motorisch und kognitiv zu verarbeite­n“, erklärt Wiese. „Gleichzeit­ig Armund Bein-schwimmbew­egung. machen. Und die Atmung muss auch noch passen.“

Die Warteliste­n für Schwimmkur­se sind lang – teils dauert es bis zu zwei Jahre, einen Platz zu bekommen. Dennoch rät Wiese Eltern, das Schwimmtra­ining den Profis zu überlassen: „Diese sind methodisch und didaktisch dafür ausgebilde­t.“Andernfall­s könnten sich Fehler einschleic­hen, die sich verfestige­n und später nur schwer zu korrigiere­n seien. Zusätzlich seien Kinder beim Schwimmleh­rer meist motivierte­r und nähmen Korrekture­n besser auf.

Von Kursen, in denen Säuglinge lernen sollen, sich eigenständ­ig über Wasser zu halten, hält Wiese nichts. „Für Babys ist das ein purer Überlebens­kampf – mit Folgeschäd­en.“Mit solchen Kursen könne man Kindern den Spaß an Wasser nehmen – für das gesamte Leben.

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FOTO: ISTOCK Aufsichtsp­ersonen sollten im Wasser immer so nah am Kind bleiben, dass sie bei einer Gefahrensi­tuation sofort zugreifen und helfen können.

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