Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Das Seepferdchen macht noch keinen Schwimmer
Nicht nur die steigende Zahl von Nichtschwimmern sorgt Experten. Eltern überschätzten oft Fitness und Können der Kinder
Es ist heiß, sehr heiß. Freibäder haben wieder geöffnet. Auch das Meer und Badeseen locken mit Erfrischung. Doch nach der coronabedingten Badepause ist die Sorge vor einer Häufung tödlicher Badeunfälle groß. Nach Einschätzung der Deutschen Lebens-rettungs-gesellschaft ( DLRG) hat sich die Lage mit Blick auf Nichtschwimmer durch die Pandemie noch einmal verschärft.
Mehr als jedes zweite Kind war schon vor der Pandemie beim Verlassen der Grundschule kein sicherer Schwimmer. Als Folge der Schwimmbadschließungen und fehlenden Ausbildungsmöglichkeiten rechnet die DLRG mit einem weiteren Anstieg schwimmunfähiger Kinder. Zusätzlich fürchten die Rettungsschwimmer mehr Badetote – im Jahr 2020 waren es 378.
Unabhängig von teils gefährlichen Strömungen in Flüssen und im Meer ist aus Sicht von DLRGSprecher Achim Wiese „nicht nur das Schwimmenkönnen als solches ein Problem, sondern auch die Fitness“. Schwimm- und Freibäder waren lange geschlossen, auch Vereins- und Schulsport war nicht möglich. „Aber Schwimmen ist eben auch eine Frage von Kraft und Ausdauer“, sagt Wiese gegenüber unserer Redaktion.
Dass Kinder, die vor der Pandemie bereits sicher schwimmen konnten, genau das wieder verlernt haben, hält Wiese für unwahrscheinlich: „Grundsätzlich ist Schwimmen wie Fahrradfahren. Das verlernt man nicht.“Nach einer langen Pause müsse man sich aber wieder daran gewöhnen.
Außerdem – Pandemie hin oder her: „Ohne das Freischwimmer-abzeichen, also das Schwimmabzeichen in Bronze, gilt kein Kind, kein Mensch der Welt als sicherer Schwimmer“, sagt Wiese. Natürlich müsse man nicht unbedingt das Abzeichen erwerben, die Disziplinen aber egal wie meistern. „Wer das nicht kann, den würde ich niemals alleine zum Schwimmen lassen“, warnt der Experte.
Das Seepferdchen attestiert laut
Wiese lediglich, dass sich ein Kind „kurzfristig über Wasser halten kann“. Beim Training und der Prüfung habe es immer im Hinterkopf, dass es, wenn es nicht mehr kann, einfach an den Beckenrand greift. Das ist im Badesee oder Meer schlicht gar nicht möglich.
Egal ob absoluter Nichtschwimmer oder Seepferdchen: „Man muss als Elternteil oder Aufsichtsperson im Wasser immer so nah am Kind bleiben, dass man bei einer Gefahrensituation sofort zugreifen, helfen und letztlich sogar retten kann“, mahnt der Dlrg-sprecher.
Im Fall der Fälle muss es schnell gehen. „Ein bis zwei Minuten reichen schon aus, dass ein Bade- oder Planschunfall tödlich enden kann“, sagt Janko von Ribbeck. Der ehemalige Rettungssanitäter und Autor („Schnelle Hilfe für Kinder“) hat daher kein Planschbecken im Garten. „Mir ist das zu gefährlich, weil ich mich kenne. Ich kann nicht den ganzen Tag daneben sitzen und immer mit meiner vollen Aufmerksamkeit beim Kind sein“, sagt von Ribbeck. Aber schon die kleinste Ablenkung, sei es durch ein Mobiltelefon oder ein Geschwisterkind, sei riskant.
Kinder mit kleinen Tricks möglichst früh ans Wasser gewöhnen
„Selbst ein aufblasbarer Pool, zur Hälfte mit Wasser gefüllt, kann für ein Kind tödliche Gefahr bedeuten“, bestätigt Wiese. Planschbecken zu verbannen, so weit würde er aber nicht gehen. Viel zu wichtig sei es, dass kleine Kinder und Babys den Erlebnisraum Wasser frühzeitig kennenlernen. „Natürlich vorausgesetzt, das Kind ist auch hier immer in Griffnähe.“
Damit Kinder bei unerwartetem
Kontakt mit Wasser nicht in Panik verfallen, plädieren die Experten dafür, Kinder frühzeitig ans Wasser zu gewöhnen. „Wenn man ins Wasser fällt beispielsweise, hat der Mensch automatisch die Angewohnheit, kurz Luft zu holen und anzuhalten“, erklärt Wiese. „Mit Kindern kann man aber schon in der Badewanne oder unter der Dusche üben, indem man ihnen etwas Wasser ins Gesicht spritzt oder die Kinder wie ein Krokodil mit den Augen über Wasser untertauchen lässt.“Dabei sollen die Kinder pusten, statt die Luft anzuhalten.
Wenn Kinder das lernen, wird es laut Wiese irgendwann zum Automatismus. „Sie atmen bei Wasserkontakt aus und verhindern so unter Umständen einen Stimmritzenkrampf.“Dieser macht das Einund Ausatmen unmöglich. Außerdem sollten Kinder schon früh, schwimmen zu lernen.
Ab einem Alter von fünf Jahren könne es losgehen. „Dann ist ein Kind in der Lage, das alles motorisch und kognitiv zu verarbeiten“, erklärt Wiese. „Gleichzeitig Armund Bein-schwimmbewegung. machen. Und die Atmung muss auch noch passen.“
Die Wartelisten für Schwimmkurse sind lang – teils dauert es bis zu zwei Jahre, einen Platz zu bekommen. Dennoch rät Wiese Eltern, das Schwimmtraining den Profis zu überlassen: „Diese sind methodisch und didaktisch dafür ausgebildet.“Andernfalls könnten sich Fehler einschleichen, die sich verfestigen und später nur schwer zu korrigieren seien. Zusätzlich seien Kinder beim Schwimmlehrer meist motivierter und nähmen Korrekturen besser auf.
Von Kursen, in denen Säuglinge lernen sollen, sich eigenständig über Wasser zu halten, hält Wiese nichts. „Für Babys ist das ein purer Überlebenskampf – mit Folgeschäden.“Mit solchen Kursen könne man Kindern den Spaß an Wasser nehmen – für das gesamte Leben.