Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
„ Jetzt sind Moral und Wille gefragt“
An sein erstes Mal erinnert man sich ein Leben lang zurück. Auch Marcell Jansen. Intensiv war es, heiß, aufregend und irgendwie auch ganz schön anstrengend. „Es war der Wahnsinn“, sagt Jansen am Telefon.
15 Jahre liegt dieses erste Mal nun schon zurück. Jansens erstes Spiel bei einem großen Turnier. Bei der Heim-wm durfte der damals 21Jährige als Nesthäkchen nach einer tollen Weltmeisterschaft im I-tüpfelchen-spiel um Platz drei gegen Portugal – und gegen Jungstar Cristiano Ronaldo – ran. „Für mich persönlich als junger Spieler war das ein Riesenerlebnis“, erinnert er sich kurz vor der Neuauflage am heutigen Sonnabend (18 UHR/ARD) an die damalige Partie. „Ich war der jüngste Deutsche – und spielte direkt gegen Cristiano Ronaldo, der damals auch einer der jüngsten Wm-teilnehmer war. Für mich war das unglaublich.“
3:1 gewann an jenem 8. Juli vor 15 Jahren die Dfb-auswahl gegen Portugal. Es war der erste Erfolg gegen die Seleção nach zehn sieglosen Jahren – und es sollte nicht der letzte gewesen sein. Tatsächlich hat Deutschland in diesem Jahrtausend gegen keine Nation so häufig und so erfolgreich bei großen Turnieren gespielt wie gegen Portugal. Zwei Jahre nach dem 3:1 von Stuttgart folgte ein 3:2-Sieg im Viertelfinale der Europameisterschaft 2008. Bei der Euro 2012 gewann die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw in der Vorrunde durch ein Kopfballtor von Mario Gomez mit 1:0. Und das Sahnehäubchen folgte 2014 beim Wm-auftaktspiel in der Arena Fonte Nova in Salvador, als Deutschland wie ein Tropensturm mit 4:0 über Ronaldo und Co. hinwegfegte.
In einem Sport, in dem man gerne über Aberglauben, Lieblingsoder Angstgegner und Vorzeichen philosophiert, könnte es schlechtere Omen geben. Matthias Ginter, der einer von nur noch fünf WMTeilnehmern ist, die beim 4:0 in Brasilien dabei waren, hat ambivalente Gefühle beim Blick in den Rückspiegel. Einerseits sei das alles mittlerweile schon ganz schön lange her, sagt der Abwehrallrounder, der damals von der Bank aus eines der besten Wm-spiele überhaupt gesehen hat. Andererseits erinnert er sich noch genauso gerne wie Marcell Jansen an diese Erfahrung. „Ich war 20 Jahre jung, es war mein erstes Turnier – und es war ein Riesenerlebnis“, sagte er auf Nachfrage dieser Zeitung.
Die Protagonisten des 4:0-Sieges dürften auch heute Abend wieder in der Startelf stehen: Thomas Müller erzielte damals in Brasilien drei Tore, Toni Kroos legte zwei Treffer auf, und sogar Mats Hummels traf einmal. Wenn Defensivspezialist Ginter nun noch wissen will, wie man Superstar Cristiano Ronaldo kaltstellt, sollte der 27-Jährige von Borussia Mönchengladbach vielleicht auch noch einmal Jansen anrufen, der ihm von seinem ganz persönlichen Sommermärchen berichten könnte. „Cristiano konnte sich 2006 kaum durchsetzen und wechselte dann kurz vor Schluss die Seiten. Dann musste ich gegen Luis Figo verteidigen, also noch so ein Weltstar.“Jansens Erfolgsgeheimnis gegen Ronaldo? „Ich habe auch versucht, mich ins Spiel nach vorne einzuschalten, was Cristiano ja gar nicht gerne mag.“
Das war auch im Hopp-oder-topSpiel zwei Jahre später im Viertelfinale der Europameisterschaft 2008 nicht anders. Deutschland spielte mutig nach vorn, konnte Ronaldo so größtenteils ausschalten und gewann am Ende verdient mit 3:2. „In den letzten Minuten war es noch mal richtig spannend“, erinnert sich Jansen, der kurz vor Schluss für Miroslav Klose eingewechselt wurde, um den Sieg über die Zeit zu bringen. „Bei einer Mannschaft wie Portugal kann man nicht alles wegverteidigen.“Dass man das sehr wohl kann, zeigten die beiden Vorrundenpartien bei der EM 2012 (1:0) und bei der WM 2014 (4:0), wo Ronaldo und Co. jeweils an der deutschen Defensive verzweifelten.
Jansens Wunsch: Goretzka und Kimmich auf der Doppelsechs
Auf eine ähnliche Kompaktheit hofft Jansen nun auch in München. „Ich wünsche mir, dass Leon Goretzka in die Mannschaft zurückkommt und mit Joshua Kimmich auf der Doppelsechs spielt“, sagt der 35-Jährige, der das „Hammerspiel“(O-ton Jansen) aus seinem Urlaubsdomizil von Mallorca aus verfolgen wird. „Das wird wieder ein Hopp-oder-top-spiel“, orakelt Jansen, der 15 Jahre nach seinem ersten Aufeinandertreffen mit Ronaldo auch noch selbst Fußball spielt.
Doch während der mittlerweile 36 Jahre alte Ronaldo selbstverständlich auch dieses Mal in der Münchner Arena in der Anfangself stehen wird, darf sich Jansen mit der dritten Mannschaft des HSV auf Partien in der Oberliga Hamburg gegen Rugenbergen, Curslack-neuengamme oder Dassendorf freuen. Von Ronaldos Methusalem-leistung ist er beeindruckt. „Cristiano ist natürlich auch älter geworden, aber er ist immer noch brandgefährlich. Das hat man auch im ersten Spiel Portugals gegen die Ungarn mit seinem Doppelpack gesehen“, sagt Jansen
Die Partie gegen Portugal dürfte nicht nur über ein deutsches Weiterkommen entscheiden – in München geht es heute gewissermaßen auch um Joachim Löws Lebensleistung. Nach sechs Turnieren mit sechs Halbfinalteilnahmen würde im Fall einer Niederlage das zweite Vorrundenaus in Folge drohen. Franz Josef Wagner, der umstrittene „Hauspoet“der Bild-zeitung, drückte das Dilemma in einem seiner blumigen Briefe an Löw folgendermaßen aus: „Es wird das Spiel sein, das Ihren Nachruf schreibt. Keinen Menschen wird es interessieren, dass Sie 2014 Weltmeister waren. Es ist furchtbar, auf 90 Minuten reduziert zu werden. Es ist furchtbar, Jogi Löw zu sein.“
Nun ja. Über Geschmack lässt sich bekanntermaßen streiten. Genauso wie über die richtige Aufstellung und den möglichen Ausgang eines Fußballspiels. Jansen ist jedenfalls zuversichtlich. „Ich denke, dass auch Ronaldo vor uns Respekt hat. Immerhin hat er mit Portugal viermal bei großen Turnieren gegen Deutschland verloren. Das wird auch er noch wissen“, sagt der Mallorca-urlauber, der sich auf einen elektrisierenden Fernsehabend am Mittelmeer freut: „Mein Tipp: Wir werden 2:1 gewinnen.“
Johannes Ludwig (35), Olympiasieger mit der Teamstaffel der Rennrodler: „Nach der Auftaktniederlage gegen Frankreich sind jetzt Moral, Wille und Zusammenhalt gefragt – dann kommen auch noch zwei Siege in der Vorrunde. Gegen Portugal tippe ich auf einen 1:0-Sieg für die deutsche Mannschaft.“