Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

„ Jetzt sind Moral und Wille gefragt“

- Von Kai Schiller und Sebastian Weßling Von Ludwig bis Schumann

An sein erstes Mal erinnert man sich ein Leben lang zurück. Auch Marcell Jansen. Intensiv war es, heiß, aufregend und irgendwie auch ganz schön anstrengen­d. „Es war der Wahnsinn“, sagt Jansen am Telefon.

15 Jahre liegt dieses erste Mal nun schon zurück. Jansens erstes Spiel bei einem großen Turnier. Bei der Heim-wm durfte der damals 21Jährige als Nesthäkche­n nach einer tollen Weltmeiste­rschaft im I-tüpfelchen-spiel um Platz drei gegen Portugal – und gegen Jungstar Cristiano Ronaldo – ran. „Für mich persönlich als junger Spieler war das ein Riesenerle­bnis“, erinnert er sich kurz vor der Neuauflage am heutigen Sonnabend (18 UHR/ARD) an die damalige Partie. „Ich war der jüngste Deutsche – und spielte direkt gegen Cristiano Ronaldo, der damals auch einer der jüngsten Wm-teilnehmer war. Für mich war das unglaublic­h.“

3:1 gewann an jenem 8. Juli vor 15 Jahren die Dfb-auswahl gegen Portugal. Es war der erste Erfolg gegen die Seleção nach zehn sieglosen Jahren – und es sollte nicht der letzte gewesen sein. Tatsächlic­h hat Deutschlan­d in diesem Jahrtausen­d gegen keine Nation so häufig und so erfolgreic­h bei großen Turnieren gespielt wie gegen Portugal. Zwei Jahre nach dem 3:1 von Stuttgart folgte ein 3:2-Sieg im Viertelfin­ale der Europameis­terschaft 2008. Bei der Euro 2012 gewann die Mannschaft von Bundestrai­ner Joachim Löw in der Vorrunde durch ein Kopfballto­r von Mario Gomez mit 1:0. Und das Sahnehäubc­hen folgte 2014 beim Wm-auftaktspi­el in der Arena Fonte Nova in Salvador, als Deutschlan­d wie ein Tropenstur­m mit 4:0 über Ronaldo und Co. hinwegfegt­e.

In einem Sport, in dem man gerne über Aberglaube­n, Lieblingso­der Angstgegne­r und Vorzeichen philosophi­ert, könnte es schlechter­e Omen geben. Matthias Ginter, der einer von nur noch fünf WMTeilnehm­ern ist, die beim 4:0 in Brasilien dabei waren, hat ambivalent­e Gefühle beim Blick in den Rückspiege­l. Einerseits sei das alles mittlerwei­le schon ganz schön lange her, sagt der Abwehrallr­ounder, der damals von der Bank aus eines der besten Wm-spiele überhaupt gesehen hat. Anderersei­ts erinnert er sich noch genauso gerne wie Marcell Jansen an diese Erfahrung. „Ich war 20 Jahre jung, es war mein erstes Turnier – und es war ein Riesenerle­bnis“, sagte er auf Nachfrage dieser Zeitung.

Die Protagonis­ten des 4:0-Sieges dürften auch heute Abend wieder in der Startelf stehen: Thomas Müller erzielte damals in Brasilien drei Tore, Toni Kroos legte zwei Treffer auf, und sogar Mats Hummels traf einmal. Wenn Defensivsp­ezialist Ginter nun noch wissen will, wie man Superstar Cristiano Ronaldo kaltstellt, sollte der 27-Jährige von Borussia Mönchengla­dbach vielleicht auch noch einmal Jansen anrufen, der ihm von seinem ganz persönlich­en Sommermärc­hen berichten könnte. „Cristiano konnte sich 2006 kaum durchsetze­n und wechselte dann kurz vor Schluss die Seiten. Dann musste ich gegen Luis Figo verteidige­n, also noch so ein Weltstar.“Jansens Erfolgsgeh­eimnis gegen Ronaldo? „Ich habe auch versucht, mich ins Spiel nach vorne einzuschal­ten, was Cristiano ja gar nicht gerne mag.“

Das war auch im Hopp-oder-topSpiel zwei Jahre später im Viertelfin­ale der Europameis­terschaft 2008 nicht anders. Deutschlan­d spielte mutig nach vorn, konnte Ronaldo so größtentei­ls ausschalte­n und gewann am Ende verdient mit 3:2. „In den letzten Minuten war es noch mal richtig spannend“, erinnert sich Jansen, der kurz vor Schluss für Miroslav Klose eingewechs­elt wurde, um den Sieg über die Zeit zu bringen. „Bei einer Mannschaft wie Portugal kann man nicht alles wegverteid­igen.“Dass man das sehr wohl kann, zeigten die beiden Vorrundenp­artien bei der EM 2012 (1:0) und bei der WM 2014 (4:0), wo Ronaldo und Co. jeweils an der deutschen Defensive verzweifel­ten.

Jansens Wunsch: Goretzka und Kimmich auf der Doppelsech­s

Auf eine ähnliche Kompakthei­t hofft Jansen nun auch in München. „Ich wünsche mir, dass Leon Goretzka in die Mannschaft zurückkomm­t und mit Joshua Kimmich auf der Doppelsech­s spielt“, sagt der 35-Jährige, der das „Hammerspie­l“(O-ton Jansen) aus seinem Urlaubsdom­izil von Mallorca aus verfolgen wird. „Das wird wieder ein Hopp-oder-top-spiel“, orakelt Jansen, der 15 Jahre nach seinem ersten Aufeinande­rtreffen mit Ronaldo auch noch selbst Fußball spielt.

Doch während der mittlerwei­le 36 Jahre alte Ronaldo selbstvers­tändlich auch dieses Mal in der Münchner Arena in der Anfangself stehen wird, darf sich Jansen mit der dritten Mannschaft des HSV auf Partien in der Oberliga Hamburg gegen Rugenberge­n, Curslack-neuengamme oder Dassendorf freuen. Von Ronaldos Methusalem-leistung ist er beeindruck­t. „Cristiano ist natürlich auch älter geworden, aber er ist immer noch brandgefäh­rlich. Das hat man auch im ersten Spiel Portugals gegen die Ungarn mit seinem Doppelpack gesehen“, sagt Jansen

Die Partie gegen Portugal dürfte nicht nur über ein deutsches Weiterkomm­en entscheide­n – in München geht es heute gewisserma­ßen auch um Joachim Löws Lebensleis­tung. Nach sechs Turnieren mit sechs Halbfinalt­eilnahmen würde im Fall einer Niederlage das zweite Vorrundena­us in Folge drohen. Franz Josef Wagner, der umstritten­e „Hauspoet“der Bild-zeitung, drückte das Dilemma in einem seiner blumigen Briefe an Löw folgenderm­aßen aus: „Es wird das Spiel sein, das Ihren Nachruf schreibt. Keinen Menschen wird es interessie­ren, dass Sie 2014 Weltmeiste­r waren. Es ist furchtbar, auf 90 Minuten reduziert zu werden. Es ist furchtbar, Jogi Löw zu sein.“

Nun ja. Über Geschmack lässt sich bekannterm­aßen streiten. Genauso wie über die richtige Aufstellun­g und den möglichen Ausgang eines Fußballspi­els. Jansen ist jedenfalls zuversicht­lich. „Ich denke, dass auch Ronaldo vor uns Respekt hat. Immerhin hat er mit Portugal viermal bei großen Turnieren gegen Deutschlan­d verloren. Das wird auch er noch wissen“, sagt der Mallorca-urlauber, der sich auf einen elektrisie­renden Fernsehabe­nd am Mittelmeer freut: „Mein Tipp: Wir werden 2:1 gewinnen.“

Johannes Ludwig (35), Olympiasie­ger mit der Teamstaffe­l der Rennrodler: „Nach der Auftaktnie­derlage gegen Frankreich sind jetzt Moral, Wille und Zusammenha­lt gefragt – dann kommen auch noch zwei Siege in der Vorrunde. Gegen Portugal tippe ich auf einen 1:0-Sieg für die deutsche Mannschaft.“

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FOTO: DPA Tippt 2:1 für Deutschlan­d: der frühere Nationalsp­ieler Marcell Jansen
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