Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Der Zauber der Zehn

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draußen auf dem autofreien Parkplatz die Partien nach.

Trotz Rummenigge, Völler, Littbarski & Co. dürfen die anderen gern die Deutschen sein. Denn die enttäusche­n durchweg. Der Titelverte­idiger rumpelt in jenen Junitagen 1984 derart unbeholfen über die französisc­hen Plätze, als wäre das Spielgerät sein ärgster Feind. 0:0 gegen Portugal, 0:1 gegen Spanien und 2:1 gegen Rumänien – trauriges Aus in der Vorrunde.

So schlecht, so gut. Endlich darf man ungeniert schwärmen von jener Mannschaft, die praktisch die gesamte Fußballwel­t verzückt. Frankreich besitzt nicht nur die schönste aller Nationalhy­mnen, sondern beeindruck­t damals auch mit einer mitreißend­en Spielweise. Giresse, Tigana, Fernandez, Bellone. Eine Formation wie ein Chanson. Sie tanzen über den Rasen, lassen den Ball zirkuliere­n und schließen die Angriffe zielsicher ab. Gegenüber diesem später als Champagner-fußball bezeichnet­en Offensivst­il wirken die deutschen Auftritte wie schales Bier.

Über allem aber steht einer, der das Endrunden-turnier dominiert wie bislang kein anderer Spieler in der Em-geschichte: Platini. Der Regisseur mit der wehenden Mähne; der Künstler mit dem feinen Gefühl im rechten Fuß. Er ist in der Form seines Lebens, treibt seine Mitspieler permanent an und erzielt allein neun (!) der 14 französisc­hen Treffer. In lediglich fünf Spielen. Unglaublic­h. Die Grande Nation liegt ihm nach dem Titelgewin­n zu Füßen. Völlig zu Recht.

Platini manifestie­rt den Mythos der „10“. Die Trikotnumm­er steht bis heute wie keine andere für Kreativitä­t und das Besondere im Spiel. Jeder will sie, nur einer bekommt sie. Puskas, Pelé und Overath tragen sie; Maradona natürlich, Baggio, Messi – und eben Platini, der auf den eigenen, längst vergilbten Em-zetteln als Einziger in Großbuchst­aben verewigt ist.

Und Herr Berls? Der aufmerksam­e Trainer mit dem großen Herzen teilt in jenem Sommer einen neuen Trikotsatz aus – und macht damit einen seiner zehnjährig­en Schützling­e besonders glücklich.

Der darf sich fortan fühlen wie Platini. Zumindest ein bisschen.

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FOTO: IMAGO Filigraner Franzose: Michel Platini zirkelt einen Freistoß um die gegnerisch­e Mauer. Mit neun Toren führt er sein Team zum Em-titel.

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