Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Natur und Abschied
In drei Thüringer Wäldern gibt es Plätze für alternative und naturnahe Bestattungen. Die besonderen Regeln für die letzte Ruhe unter Bäumen halten nicht alle Angehörigen aus
Genau so stellt man sich einen Waldfriedhof wohl vor. Hochgewachsene Buchen bilden am Heiligenberg im südthüringischen Wallbach, einem Ortsteil von Meiningen, ein dichtes grünes Blättergewölbe. Die Wucht der austreibenden Natur verleiht dem Ort des Abschieds eine friedliche Atmosphäre. Zu hören sind nur Vogelzwitschern und Wipfelrauschen. Eine schmale, mehrere Kilometer lange Teerstraße führt vom kleinen Straßendorf hinauf zum Trauerplatz in der Waldeinsamkeit.
Seit September 2014 gibt es den etwa fünf Hektar großen Ruhewald bei Wallbach. Vorausgegangen waren langjährige Auseinandersetzungen, erinnert sich Ortsteilbürgermeister Thomas Hartung. Bedenken, dass ohne Einzäunung die Totenwürde nicht ausreichend gewahrt sein könnte oder im Totenwald der Anonymität Vorschub geleistet werde, hätten sich zerstreut.
Das Material der Urnen muss biologisch abbaubar sein
Seit der Eröffnung fanden am Heiligenberg 430 Menschen die letzte Ruhe, knapp 90 waren es im letzten Jahr. Bestattet werden könnten theoretisch Menschen von überallher, letztlich bestimmten Verträge mit einer Handvoll Bestattungsunternehmen aus der Umgebung die Herkunft der Verstorbenen.
Insgesamt zähle Meiningen jährlich zwischen 380 und 400 Bestattungen, auch „normale“Friedhöfe böten bereits alternative Bestattungen an.
Reinhild Göbel von der Friedhofsverwaltung mahnt allerdings, dass Bestattungen im Wald gut bedacht sein sollten. 300 Bäume sind am Heiligenberg als Ruhebäume ausgewiesen. Die Regeln sind streng. Bestattet werden dürfen nur biologisch abbaubare Urnen.
Zehn Gefäße können pro Baum im Uhrzeigersinn versenkt werden. Lediglich ein kleines Namensschild, eventuell mit kurzem Gedenkspruch, erinnert am Baum an den Verstorbenen. Grabmale, Gedenksteine, Anpflanzungen oder Veränderungen an den Bäumen sind nicht erlaubt. Kränze, Grabschmuck oder Erinnerungsstücke würden ebenso entfernt wie Kerzen oder Lampen. „Der Gedanke, ein naturnahes Grab nicht ständig pflegen zu müssen, erscheint beruhigend. Die Realität halten manche aber nicht gut aus“, sagt Göbel. Für Angehörige, die es oft ans Grab ihrer Lieben zieht und die dort auch selbst Hand anlegen möchten, sei die entlegene Waldeinsamkeit eher nicht der richtige Trauerort.
Thüringens erster Ruhewald wird kommunal betrieben. Zwischen 700 Euro für einen Einzelplatz unterm Gemeinschaftsbaum und 7000 Euro für den Familienbaum mit zehn Plätzen, Liegezeit bis zu 99 Jahre, kostet eine Ruhestätte, Einnahmen und Kosten hielten sich die Waage.
Einen anderen Weg geht man in Bad Berka im Weimarer Land, wo man sich mit dem Kasseler Unternehmen „Friedwald“zusammengetan hat. Anders als in der Abgelegenheit von Wallbach finden sich die Hinweisschilder auf den Bad Berkaer Friedhofswald unmittelbar am viel bewanderten Drei-türmeWeg. Die Bestattungsform werde gut angenommen, seit der Inbetriebnahme vor drei Jahren fanden 500 Beisetzungen statt, erklärt Unternehmenssprecherin Carola
Wacker-meister. 2500 Menschen entschieden sich vorsorgend für einen Platz oder Baum.
Die Interessenten kommen aus einem Umkreis von ungefähr 20 Kilometer, teilweise sogar von weiter her. Auf knapp 50 Hektar finden sich Buchen, Ahorns, Eichen, Lärchen und Fichten – rund 80 Bäume pro Hektar.
Mit unterschiedlichen Größen, Arten und Wuchsformen gehe man auf teils sehr individuelle Vorstellungen ein. Bestattungsbäume sollten genügend Platz haben und die Wege intakt sein, damit während des Friedhofsbetriebs nur noch behutsam eingegriffen werden müsse, sagt Wacker-meister. In normalen Zeiten finden jeden zweiten Samstag Waldführungen der FriedwaldFörsterin statt.
„Friedwald“ist seit 2001 auf dem Bestattungsmarkt tätig. Vor genau 20 Jahren wurde in Reinhardswald in Nordhessen der erste Bestattungswald in Deutschland überhaupt eröffnet und damit eine neue Beisetzungsform geschaffen – inzwischen zählt das Unternehmen deutschlandweit 74 Standorte, darunter seit 2020 auch der 26 Hektar große Rudolstädter Hain in unmittelbarer Nähe zur Heidecksburg, Thüringens dritter Bestattungswald. Man freue sich über Stimmen, die da sagen, dass der Wandel in der Bestattungskultur auch durch „Friedwald“angestoßen worden sei, sagt Wacker-meister.
Dieser Wandel ist auch in Thüringen unverkennbar. Schätzungen gehen beim Bedarf nach alternativen Bestattungen von einem Anteil in Höhe von drei bis fünf Prozent aus. Auch viele der rund 2000 Friedhöfe haben sich darauf eingestellt. Das Land hatte darauf 2016 mit dem Gesetz zur Änderung bestattungsrechtlicher und waldrechtlicher Vorschriften zugunsten naturnaher Bestattungen reagiert.
Ungeachtet der Nachfrage sind Ruhewälder keine Selbstläufer, wie das Beispiel des westthüringischen Marksuhl zeigt. Jahrelang hatte sich dort eine Bürgerinitiative für einen Waldfriedhof stark gemacht. 2018 scheiterte das Vorhaben an einer Unterschriftensammlung gegen den Friedhof und schließlich an fehlender Mehrheit im Gemeinderat. Mittlerweile, so sagen es Insider, sei die Idee so gut wie begraben.