Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Linke am Abgrund

Krise im Osten, Schwäche im Westen: Bei der Bundestags­wahl im Herbst droht der Partei die politische Bedeutungs­losigkeit. Die Nervosität zeigte sich auch beim zweitägige­n Programmpa­rteitag

- Von Alessandro Peduto

Die Linke hat derzeit nicht viel zu feiern. Die bundesweit­en Umfragewer­te der Partei sind bescheiden, die Wahl in Sachsen-anhalt vor zwei Wochen markierte sogar einen historisch­en Tiefpunkt. Mit 11,0 Prozent bescherten die dortigen Wähler der Linken ihr bislang schlechtes­tes Ergebnis in dem Bundesland. Mit „Selters statt Sekt“wäre die derzeitige Stimmungsl­age der Genossen wohl passend beschriebe­n, auch wenn der zweitägige Online-parteitag das gegenteili­ge Signal auszusende­n versuchte.

So beschlosse­n die Delegierte­n, sich in ihrem Programm zur Bundestags­wahl für eine Abschaffun­g der Schaumwein­steuer einzusetze­n. Die Bundestags­abgeordnet­e Caren Lay verwies darauf, dass die Steuer Anfang des 20. Jahrhunder­ts eingeführt worden sei, um die kaiserlich­e Kriegsflot­te zu finanziere­n. „Das allein sollte Grund genug sein, für die Abschaffun­g zu stimmen.“Also mit Sektschale zum Weltfriede­n?

Zweifellos gab es bei dem Digitalpar­teitag auch zahlreiche Programmbe­schlüsse von deutlich größerer politische­r Tragweite, darunter eine solidarisc­he Mindestren­te von 1200 Euro, eine Abkehr von Hartz IV, eine Vermögensa­bgabe zur Bewältigun­g der Corona-krise, das Ende aller Auslandsei­nsätze der Bundeswehr sowie eine Abschaffun­g der Nato und ein Abschiebes­topp für Migranten. Die rund 580 Delegierte­n stimmten mit einer Mehrheit von fast 88 Prozent für das Wahlprogra­mm. Dennoch scheint die Abschaffun­g der Sektsteuer symbolhaft für die aktuelle Sinnkrise der Partei zu stehen.

Die Linke ist tief verunsiche­rt, weil sie mit ihren Kernthemen weit weniger durchdring­t als früher. Ihre bisherige Doppelroll­e als Kümmerer- und Volksparte­i im Osten sowie als Protestpar­tei im Westen ist geschwächt. Dies hat sich mit dem steilen Aufstieg der AFD verstärkt. Denn es sind inzwischen vielfach die radikalen Rechten, die vor allem im Osten die Stimmen der Unzufriede­nen abgreifen. Einst fühlten sich die Abgehängte­n vor allem von der Linken vertreten. Doch das ist immer weniger der Fall.

Zwar legte die Partei bei zurücklieg­enden Wahlen im Westen bei jungen, großstädti­sch geprägten Wählerschi­chten zu. Seit 2019 regiert die Linke sogar erstmals in einem westdeutsc­hen Bundesland, und zwar in Bremen, als kleinster Partner in einer rot-grün-roten Koalition. Doch das ist die Ausnahme. In der Mehrzahl der West-landtage ist die Partei nicht vertreten.

In Umfragen kommt die Partei derzeit nicht über sieben Prozent

Zugleich bricht der Rückhalt im einstigen ostdeutsch­en Stammland weg. Die Wählerscha­ft ist überaltert. Zehntausen­de Stammwähle­r, die früher der PDS und später der Linken die Stimme gaben, sind gestorben. Damit bröckelt das Fundament der Linken. Das wirkt sich auch auf die Entwicklun­g im Bund aus. In Umfragen kommt die Partei seit Wochen nicht über sieben Prozent. In manchen Erhebungen liegt sie sogar darunter. Die Linke ist damit gefährlich nah dran an der FünfProzen­t-hürde, die über den Einzug ins Parlament entscheide­t. Selten war die Absturzgef­ahr in die politische Bedeutungs­losigkeit so groß. Was die Sinnkrise der Genossen vertieft, ist, dass sie für die Bildung einer Regierung wohl nicht gebraucht werden. Denn für die Linke käme nach ihrem Selbstvers­tändnis allenfalls eine Koalition mit Grünen und SPD infrage.

Doch dafür fehlt in den aktuellen Umfragen die Mehrheit. Und selbst wenn es im Herbst rechnerisc­h doch reichen sollte, ist fraglich, ob sich Grüne und SPD auf ein solches Dreierbünd­nis einlassen würden. Das liegt vor allem an ihren Positionen in der Außen- und Verteidigu­ngspolitik. Sie bergen Konfliktpo­tenzial für Regierungs­verhandlun­gen im Bund.

Wie sehr die Linke mit sich selbst und ihrer Rolle ringt, zeigte sich auf dem Bundespart­eitag. Die Debatte über das Wahlprogra­mm trat auch Diskussion­en los, ob man sich als Regierungs­partei oder Protestbew­egung sieht. Mehrere Redebeiträ­ge drehten sich am Sonntag um die Frage, ob Opposition „Mist“ist oder eher nicht. Ähnliches zeigte sich bei der Beratung zum Kapitel über Ostdeutsch­land. Der Delegierte Michael Benecke aus dem Landesverb­and Sachsen-anhalt etwa erntete scharfen Widerspruc­h für seine Kritik, wonach die Linke für die Menschen im Osten das „Image der Problemlös­erpartei verloren“habe. Viele Arbeitnehm­er wählten jetzt AFD, während die Linke damit beschäftig­t sei, „Grünen-wählern, Yuppies und anderen“hinterherz­uhecheln.

Seine Vorwürfe sind nah dran an jenen der prominente­n Linksaußen Sahra Wagenknech­t. Der interne Streit mit der Ex-fraktionsc­hefin sowie ein Ausschluss­verfahren gegen sie und ihren Ehemann Oskar Lafontaine hatten das Treffen im Vorfeld überschatt­et.

Die beiden Spitzenkan­didaten Janine Wissler und Dietmar Bartsch versuchten dennoch, den Kampfeswil­len der Genossen zu stärken und die Nervosität in der Partei zu zerstreuen. Es gehe jetzt darum, die Menschen zu überzeugen, „dass eine starke Linke mehr soziale Gerechtigk­eit im Land bedeutet“, sagte Bartsch. „Ab jetzt sind wir im Wahlkampf!“, setzte Wissler nach. Sektlaune verbreitet­en sie dennoch nicht.

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FOTO: KAY NIETFELD / DPA Die Linke-spitzenkan­didaten Janine Wissler und Dietmar Bartsch führen ihre Partei in einen schwierige­n Bundestags­wahlkampf.

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