Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Linke am Abgrund
Krise im Osten, Schwäche im Westen: Bei der Bundestagswahl im Herbst droht der Partei die politische Bedeutungslosigkeit. Die Nervosität zeigte sich auch beim zweitägigen Programmparteitag
Die Linke hat derzeit nicht viel zu feiern. Die bundesweiten Umfragewerte der Partei sind bescheiden, die Wahl in Sachsen-anhalt vor zwei Wochen markierte sogar einen historischen Tiefpunkt. Mit 11,0 Prozent bescherten die dortigen Wähler der Linken ihr bislang schlechtestes Ergebnis in dem Bundesland. Mit „Selters statt Sekt“wäre die derzeitige Stimmungslage der Genossen wohl passend beschrieben, auch wenn der zweitägige Online-parteitag das gegenteilige Signal auszusenden versuchte.
So beschlossen die Delegierten, sich in ihrem Programm zur Bundestagswahl für eine Abschaffung der Schaumweinsteuer einzusetzen. Die Bundestagsabgeordnete Caren Lay verwies darauf, dass die Steuer Anfang des 20. Jahrhunderts eingeführt worden sei, um die kaiserliche Kriegsflotte zu finanzieren. „Das allein sollte Grund genug sein, für die Abschaffung zu stimmen.“Also mit Sektschale zum Weltfrieden?
Zweifellos gab es bei dem Digitalparteitag auch zahlreiche Programmbeschlüsse von deutlich größerer politischer Tragweite, darunter eine solidarische Mindestrente von 1200 Euro, eine Abkehr von Hartz IV, eine Vermögensabgabe zur Bewältigung der Corona-krise, das Ende aller Auslandseinsätze der Bundeswehr sowie eine Abschaffung der Nato und ein Abschiebestopp für Migranten. Die rund 580 Delegierten stimmten mit einer Mehrheit von fast 88 Prozent für das Wahlprogramm. Dennoch scheint die Abschaffung der Sektsteuer symbolhaft für die aktuelle Sinnkrise der Partei zu stehen.
Die Linke ist tief verunsichert, weil sie mit ihren Kernthemen weit weniger durchdringt als früher. Ihre bisherige Doppelrolle als Kümmerer- und Volkspartei im Osten sowie als Protestpartei im Westen ist geschwächt. Dies hat sich mit dem steilen Aufstieg der AFD verstärkt. Denn es sind inzwischen vielfach die radikalen Rechten, die vor allem im Osten die Stimmen der Unzufriedenen abgreifen. Einst fühlten sich die Abgehängten vor allem von der Linken vertreten. Doch das ist immer weniger der Fall.
Zwar legte die Partei bei zurückliegenden Wahlen im Westen bei jungen, großstädtisch geprägten Wählerschichten zu. Seit 2019 regiert die Linke sogar erstmals in einem westdeutschen Bundesland, und zwar in Bremen, als kleinster Partner in einer rot-grün-roten Koalition. Doch das ist die Ausnahme. In der Mehrzahl der West-landtage ist die Partei nicht vertreten.
In Umfragen kommt die Partei derzeit nicht über sieben Prozent
Zugleich bricht der Rückhalt im einstigen ostdeutschen Stammland weg. Die Wählerschaft ist überaltert. Zehntausende Stammwähler, die früher der PDS und später der Linken die Stimme gaben, sind gestorben. Damit bröckelt das Fundament der Linken. Das wirkt sich auch auf die Entwicklung im Bund aus. In Umfragen kommt die Partei seit Wochen nicht über sieben Prozent. In manchen Erhebungen liegt sie sogar darunter. Die Linke ist damit gefährlich nah dran an der FünfProzent-hürde, die über den Einzug ins Parlament entscheidet. Selten war die Absturzgefahr in die politische Bedeutungslosigkeit so groß. Was die Sinnkrise der Genossen vertieft, ist, dass sie für die Bildung einer Regierung wohl nicht gebraucht werden. Denn für die Linke käme nach ihrem Selbstverständnis allenfalls eine Koalition mit Grünen und SPD infrage.
Doch dafür fehlt in den aktuellen Umfragen die Mehrheit. Und selbst wenn es im Herbst rechnerisch doch reichen sollte, ist fraglich, ob sich Grüne und SPD auf ein solches Dreierbündnis einlassen würden. Das liegt vor allem an ihren Positionen in der Außen- und Verteidigungspolitik. Sie bergen Konfliktpotenzial für Regierungsverhandlungen im Bund.
Wie sehr die Linke mit sich selbst und ihrer Rolle ringt, zeigte sich auf dem Bundesparteitag. Die Debatte über das Wahlprogramm trat auch Diskussionen los, ob man sich als Regierungspartei oder Protestbewegung sieht. Mehrere Redebeiträge drehten sich am Sonntag um die Frage, ob Opposition „Mist“ist oder eher nicht. Ähnliches zeigte sich bei der Beratung zum Kapitel über Ostdeutschland. Der Delegierte Michael Benecke aus dem Landesverband Sachsen-anhalt etwa erntete scharfen Widerspruch für seine Kritik, wonach die Linke für die Menschen im Osten das „Image der Problemlöserpartei verloren“habe. Viele Arbeitnehmer wählten jetzt AFD, während die Linke damit beschäftigt sei, „Grünen-wählern, Yuppies und anderen“hinterherzuhecheln.
Seine Vorwürfe sind nah dran an jenen der prominenten Linksaußen Sahra Wagenknecht. Der interne Streit mit der Ex-fraktionschefin sowie ein Ausschlussverfahren gegen sie und ihren Ehemann Oskar Lafontaine hatten das Treffen im Vorfeld überschattet.
Die beiden Spitzenkandidaten Janine Wissler und Dietmar Bartsch versuchten dennoch, den Kampfeswillen der Genossen zu stärken und die Nervosität in der Partei zu zerstreuen. Es gehe jetzt darum, die Menschen zu überzeugen, „dass eine starke Linke mehr soziale Gerechtigkeit im Land bedeutet“, sagte Bartsch. „Ab jetzt sind wir im Wahlkampf!“, setzte Wissler nach. Sektlaune verbreiteten sie dennoch nicht.