Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
„Die Kirche wurde von Männern gemacht“
Jung und gläubig: Maike ist angehende Pfarrerin, bezeichnet sich aber auch als Feministin
Jung zu sein, kann an manchen Tagen ganz schön philosophisch sein: Wer bin ich eigentlich? Wer möchte ich sein? Wo ist mein Platz in dieser Welt? Auch wenn man sich diese Fragen nicht immer bewusst stellt, beeinflussen sie doch Jugendliche weltweit. Auf der Suche nach Antworten spielen Glaube und Religion auch heutzutage noch eine bedeutende Rolle. In dieser Interviewreihe soll ergründet werden, wie junge Menschen in Deutschland ihre religiöse Kultur ausleben.
Maike Schöfer (31) lässt sich gerade in Berlin zur Pfarrerin ausbilden. Im Interview erklärt sie, warum es für sie alles andere als ein Widerspruch ist, Christin und Feministin zu sein, und wie sie zum Pfarrberuf kam, obwohl sie als Jugendliche Punk war.
Wie sind Sie zu Ihrem Glauben gekommen?
Ich wurde von meinen Eltern getauft und auch konfirmiert, weil man das so in meiner Familie gemacht hat. Aber tatsächlich spielten Religion, Kirche oder Christentum keine große Rolle in unserer Familie. Es gab keine Bibel im Haus, wir haben nicht gebetet. Auch die Feiertage konnte ich nicht einordnen. Wir haben nicht darüber gesprochen. An Heiligabend gingen wir in die Kirche, aber eher aus Tradition. Ich bin mehr durch Zufall ins Religionspädagogikstudium gestolpert und habe auch erst dann angefangen, mich auf die Suche nach Gott und meinem Glauben zu machen. Da war ich 19 Jahre alt.
Was bedeutet es für Sie, Christin zu sein? Würden Sie es als Teil Ihrer Identität verstehen?
Es hat mir total geholfen, mit 19 Jahren anzufangen, mich mit den großen Fragen des Lebens auseinanderzusetzen. Und ich weiß jetzt rückblickend, dass das Teil meiner Identität geworden ist. Vielleicht viel mehr als gedacht. Die Auseinandersetzung mit dem Glauben und Religion an sich – und ganz speziell natürlich mit dem christlichen Glauben – hat mich so sehr geprägt, dass ich mich eben auch in diese Richtung hin entwickelt habe. Es ist so sehr Teil meiner Identität geworden, dass ich es immer mit nenne.
Würden Sie sagen, dass sich Ihr Leben positiv durch Ihren Glauben verändert hat?
Mein Glaube war immer irgendwie da. Aber ich musste mich vor meinem Religionspädagogikstudium nie mit dem Christentum beschäftigten, weil alle die Feiertage gefeiert haben. Aber es hat mich mit 19 Jahren positiv beeinflusst, weil ich glaube, dass ich mich sonst ganz anders entwickelt hätte. Ich glaube, ich habe so jede Peergroup mitgemacht, die es gab: Ich war Gothic, ich war Punk, bin in Popmusik-clubs gegangen mit pinken Stilettos. Ich habe mich extrem gesucht! Das ist natürlich total typisch für Jugendliche, aber ich weiß nicht, ob ich mich so schnell gefunden hätte, wenn ich nicht Religionspädagogik studiert hätte. Denn dadurch wurde ich gezwungen, mich mit Fragen zu beschäftigen wie: Woher kommen wir eigentlich? Wohin gehen wir? Was ist der Sinn des Lebens? Was ist Religion?
Hatten Sie manchmal das Gefühl, im Zwiespalt zu leben, wenn Sie vor dem Essen gebetet haben und danach mit Freunden feiern gegangen sind?
Rückblickend habe ich eigentlich immer in diesem Widerspruch gelebt. Einerseits hatte und habe ich diese ganz tiefe Sehnsucht nach Gott in meinem Leben, so cheesy und fromm das auch klingen mag. Andererseits habe ich mich geschämt, diese Sehnsucht gegenüber meinen weltlichen oder atheistischen Freundinnen zu kommunizieren. In meiner religiösen Praxis und in meinen religiösen Bedürfnissen habe ich mich deswegen immer zurückgehalten, weil ich Angst hatte, ausgelacht zu werden. Ich wollte nicht als religiöser Freak dastehen, nur weil ich beim Spaziergang gerne in die Kirche gegangen wäre, um kurz zu beten. In meinem religiösen christlichen Kontext war ich jedoch immer die, die nicht so reinpasste. Dort war ich immer zu „unfromm“, weil ich nicht aus einem krass christlichen Haushalt und auch aus keiner Pfarrfamilie kam. Ich bin gerne feiern gegangen und habe eine Lederjacke getragen. Das klingt so plump, aber es ist wirklich, wirklich schwierig gewesen! Ich war immer in diesem Zwiespalt und wusste nicht so richtig, wo ich jetzt eigentlich hingehöre.
Auf Instagram steht in Ihrem Profil nicht nur, dass Sie Pfarrerin werden, sondern auch, dass Sie sich als Feministin bezeichnen. Für Sie scheint sich beides nicht auszuschließen. Warum?
Zuerst einmal würde ich sagen, dass mein Glaube mich zur Feministin macht. Und der zweite Punkt ist, dass die Kirche von Männern und nicht von Gott gemacht wurde. Auch die Bibel wurde größtenteils von Männern geschrieben, verfasst, redigiert, verbessert, übersetzt und gepredigt. Und deswegen ist Kirche auch patriarchal. Ich glaube, man kann da schon Parallelen zur Gesellschaft erkennen: Glaube, Religion oder Gott an sich sind nicht antifeministisch, sondern wurden antifeministisch gemacht. Selbst in meinem Studium habe ich nichts von feministischer Theologie gehört. Noch in meiner Diplomarbeit habe ich geschrieben: Ich benutze das generische Maskulinum für die einfachere Lesbarkeit. Erst nach meinem Studium, als ich als Religionslehrerin arbeitete, habe ich von humanistischer Theologie erfahren und war überrascht, dass es das an den Universitäten schon so lange gibt. Es wird allerdings immer noch stiefmütterlich behandelt. Denn: Wir leben immer noch im Patriarchat. Viele patriarchale Stellen in der Bibel wurden später erst hinzugefügt. Es wurde zum Beispiel aus einer Frau einfach ein Mann gemacht, weil es keine Apostelin geben sollte. So wurde aus der Apostelin Junia einfach der Apostel Junia – von den Männern, die die Übersetzung geschrieben haben. Heute wissen wir jedoch aus der historischkritischen Bibelwissenschaft, dass es diesen Männernamen „Junia“zu dieser Zeit nicht gegeben hat. Das ist nur ein Beweis dafür, wie Männer Religion, Christentum und vor allem Kirche gedeutet und weitergegeben haben. Vieles ist der Deutung zuzuschreiben. Und es ist wichtig, sich dem Thema queer-feministisch oder mit einer befreiungstheologischen Perspektive anzunähern. Kirche und Christentum wurden nicht nur immer von Männern gedacht und gemacht, sondern waren auch immer nur weiß und eurozentrisch. Das ist ein großes Problem. Schon lange gibt es befreiungstheologische Ansätze aus Afrika und Südamerika. Und die feministische Theologie ist der einzige theologische Ansatz, der all das vereint.