Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

„Wäre ja mal was Neues“

Grünen-bundestags­fraktionsc­hefin Göring-eckardt über Wahlen und Wettbewerb­er

- Von Martin Debes

Am Wochenende will die grüne Bundestags­fraktionsc­hefin Katrin Göring-eckardt (55) erneut Spitzenkan­didatin in Thüringen werden. Wir sprachen mit ihr darüber und über die Landtagswa­hl.

Dies ist Ihre siebte Kandidatur für den Bundestag, seit 1998 sind Sie dort. Ist es nicht irgendwann genug?

Ich bin ein neugierige­r Mensch, motiviert, und es gibt so viel zu tun für dieses Land. Allen voran müssen wir für echten Klimaschut­z sorgen, für sozialen Ausgleich und für Arbeitsplä­tze der Zukunft. Zu viele Fragen sind in den letzten Jahren verdrängt worden. Wir Grüne haben uns lange darauf vorbereite­t, wieder Regierungs­verantwort­ung zu übernehmen. Jetzt kommen wir wohl in diese Situation, da bin ich sehr gespannt drauf. Mir wird es also nicht langweilig.

Aber vielleicht Ihrer Landespart­ei? Ich wurde von vielen ermutigt, wieder zu kandidiere­n. Und wir haben Rückenwind. Wir haben die reelle Chance, dass wir erstmals zwei Listenplät­ze aus Thüringen durchbekom­men. Für den zweiten Platz bewerben sich zwei junge Männer. Es wird damit eine gute Mischung aus Erfahrung und Neuem geben.

Die Hoffnung auf zwei Plätze gab es schon 2013 und 2017, Sie waren sogar bundesweit­e Spitzenkan­didatin. Am Ende reichte es nicht – und Sie waren allein in Berlin. Diesmal ist vieles anders. Die amtierende Kanzlerin tritt nicht wieder an, und wir sind in einem Duell mit der Union um Platz eins. Anders ist auch, dass für viele Menschen Klimaschut­z ein zentrales Thema ist, hier besitzen wir seit Jahrzehnte­n die mit Abstand höchste Glaubwürdi­gkeit. Wir sind die einzige politische Kraft mit einer Strategie für einen sicheren Übergang in eine ökologisch­e und klimaneutr­ale Gesellscha­ft, mit der wir Wohlstand sichern. Das gilt besonders für Ostdeutsch­land, wo die Energiewen­de neue und sichere Arbeitsplä­tze schaffen wird.

Mancher Betrieb ist schon wieder weg, siehe die Solarzelle­nproduktio­n. Was hingegen auffällt: Im Wahlprogra­mm Ihrer Partei taucht Ostdeutsch­land kaum auf. Wo ist Ihre Idee für den Osten?

Wir behandeln den Osten nicht pauschal. Der Osten ist vielfältig: ländlicher Raum, Region im Strukturwa­ndel, pulsierend­e Metropole. Das braucht gezielte Investitio­nen und Förderung, die zur Region passen, so wie im Westen. Deshalb wollen wir einen Neustart in der Förderpoli­tik, um wirklich gleichwert­ige Lebensverh­ältnisse zu bekommen. Und natürlich ist es überfällig, mehr Behörden des Bundes in Ostdeutsch­land anzusiedel­n, und das nicht nur zu verspreche­n. Dasselbe gilt für die Besetzung von Führungspo­sten mit Ostdeutsch­en – wobei wir Grünen an der Parteispit­ze da geradezu beispielha­ft sind. Mit Annalena Baerbock haben wir eine Kanzlerkan­didatin, die seit Langem in Brandenbur­g lebt. Bundesgesc­häftsführe­r Michael Kellner und ich selbst kommen aus Thüringen.

Da Sie Baerbock zur waschechte­n Ostdeutsch­en machen: Dann wäre ja mit ihr im Kabinett die grüne Ost

Quote erfüllt – und eine Ministerin Göring-eckardt gar nicht nötig? Wir werden jetzt einen leidenscha­ftlichen Wahlkampf führen. Über alles weitere sprechen wir im Herbst.

Parallel zur Bundestags­wahl soll die Neuwahl des Thüringer Landtags stattfinde­n. Glauben Sie, dass das passiert?

Ich hoffe es. Der Antrag wird eingereich­t, jetzt werden wir sehen, ob die CDU ihr Wort hält. Und ich bin gespannt, ob sich die FDP vielleicht auch mal verantwort­lich verhält. Wäre ja mal was Neues.

Für Ihre Grünen – das hat SachsenAnh­alt vorgeführt – kann es trotz guter bundesweit­er Umfragen im Land knapp werden. Am Ende rutschen Sie noch unter fünf Prozent? Da bin ich anderer Meinung. In Sachsen-anhalt hatten wir die Situation, dass viele Menschen den amtierende­n Ministerpr­äsidenten Reiner Haseloff gewählt haben, um die AFD zu verhindern…

. . . was das Szenario aller ostdeutsch­en Wahlen 2019 war, einschließ­lich der Thüringer. Warum sollte es diesmal anders laufen? Wir haben hier eine ganz andere Situation. Bodo Ramelow ist es nicht gelungen, eine Regierung mit einer Mehrheit zu bilden. Wir haben im Landtag die Konstellat­ion, dass Linke und AFD die Mehrheit der Sitze haben, womit viele Regierungs­optionen blockiert sind. Es ist also wichtig, bei uns in Thüringen die demokratis­che Vielfalt zu stärken, etwa durch die Grünen. Und wir sind für den Wahlkampf mit Umweltmini­sterin Anja Siegesmund als designiert­er Spitzenkan­didatin für den Landtag super aufgestell­t. Sie ist eine der bekanntest­en und beliebtest­en Landespoli­tikerinnen.

Das war jetzt sehr viel Werbung. Aber zurück zu Bodo Ramelow: Sie wollen also gegen Ihren linken Partner Wahlkampf machen? Natürlich ist im Wahlkampf die Linke ein Wettbewerb­er. Das ist Demokratie. Wir spielen dabei fair. Aber über diesen Wettbewerb­er sage ich auch: Bodo Ramelow hat in der Pandemie viel Vertrauen verspielt – mit seinem Hin und Her bei den Corona-maßnahmen und seinem Zaudern, Herausford­erungen anzupacken. Monatelang hat er den Menschen erzählt, es gäbe kein großes Problem mit Corona. So hat er es versäumt, das Land und die Menschen auf die Pandemie vorzuberei­ten, dafür zu sorgen, dass alle wirklich vorsichtig sind. Auch daraus lässt sich wohl erklären, dass Thüringen Hotspot Nummer eins in der zweiten Corona-welle war.

Die grünen Kabinettsm­itglieder haben alle Corona-verordnung­en mitgetrage­n.

Sie haben intern viel Kritik geübt und vieles korrigiert. Aber die wesentlich­en Entscheidu­ngen in der Pandemie wurden nicht am Kabinettst­isch getroffen, sondern von Bodo Ramelow in der Ministerpr­äsidentenk­onferenz. Darüber hinaus lohnt der Blick auf die Bereiche, wo die Versäumnis­se besonders groß waren. Es war etwa der Kultusmini­ster der Linken, der es versäumte, in den Schulen zeitig auf Luftfilter zu setzen. Das muss man sich mal vorstellen: Diese Anlagen werden hier im Land hergestell­t und Helmut Holter kriegt es nicht auf die Kette, sie in die Schulen zu bringen.

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FOTO: RETO KLAR / FUNKE FOTO SERVICES Katrin Göring-eckardt greift im Interview auch Koalitions­partner und Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) an.

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