Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Altmaier will mehr Fichten fällen lassen
Der Materialmangel bremst die Bauindustrie aus. Wirtschaftsminister will nun gegensteuern
Wer derzeit durch die deutschen Wälder streift, dem bietet sich vielerorts ein trostloses Bild. Abgestorbene Baumstümpfe säumen den Weg und geben den Blick frei auf riesige Schneisen, das Resultat von Dürren und der Borkenkäferplagen der vergangenen Jahre. 80,4 Millionen Kubikmeter Holz wurden im vergangenen Jahr in Deutschland geschlagen, so viel wie noch nie zuvor. Jeder zweite Baumstamm wies Schäden auf. Die rund 2000 Sägewerke in Deutschland laufen auf Hochtouren, um die Baumstämme zu verarbeiten.
Bei einer solchen Menge an Holz könnte man davon ausgehen, dass der Rohstoff hierzulande billig sein müsste. Doch weit gefehlt. Der Holzpreis ist in den vergangenen Monaten regelrecht explodiert. Kostet der Meter Dachlatte normalerweise zwischen 50 und 80 Cent, sind derzeit drei- bis viermal so hohe Preise keine Seltenheit. Das kann beim Hausbau schnell einen Unterschied von mehreren Zehntausend Euro machen.
Ausgerechnet im so holzreichen Deutschland, wo ein Drittel der Gesamtfläche von Wäldern bedeckt ist, mangelt es an dem wichtigen Rohstoff. „Viele Bauunternehmen haben derzeit ernsthafte Beschaffungsprobleme auf dem Holzmarkt“, berichtet Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes (ZDB), unserer Redaktion. Erste Firmen müssen mittlerweile aufgrund des Materialmangels sogar Kurzarbeit anmelden – trotz voller Auftragsbücher.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) will nun gegensteuern. Im Wahljahr kann er es nicht gebrauchen, dass die gerade erst mit Milliardenhilfen wieder in Schwung gebrachte Wirtschaftsleistung erneut einbricht. Seine Idee: Es müssen mehr gesunde Fichten gefällt werden.
Dass die Preise zuletzt derart explodierten, hat vielfältige Gründe. Zum einen ist die Nachfrage im Inland groß. Viele haben in der Corona-krise den Heimwerker in sich entdeckt, die Schlangen vor den Baumärkten waren oft lang. In den Klimaschutz-plänen der Bundesregierung spielt die energetische Gebäudesanierung eine große Rolle, erste Bundesländer haben Förderprogramme für den Holzbau auf die Beine gestellt.
Landwirtschaftsministerium reagiert irritiert auf den Plan
Auch im nicht-europäischen Ausland ist der Hunger nach Holz groß. In den USA gibt es derzeit einen regelrechten Hausbau- und Ausbauboom. Allerdings ist Holz in den Staaten schwierig zu bekommen, insbesondere weil dem für die USA so wichtigen Importland Kanada in den vergangenen Jahren Waldbrände sowie eine Latschenkäferplage zugesetzt haben. Hinzu kommen Strafzölle, die die Regierung von Donald Trump verhängte. In Europa kauft es sich günstiger ein.
Auch chinesische Firmen sind gern gesehene Kunden in Deutschland, rund jeder zweite exportierte Baumstamm ging im vergangenen Jahr nach China. Vor allem mit dem sonst schwer zu vermarktenden Schadholz finden die deutschen Forstbetriebe in chinesischen Firmen beliebte Abnehmer.
Hohe Nachfrage im Inland, hohe Nachfrage im Ausland – für deutsche Firmen bleibt oft kein Holz mehr übrig. Altmaier ist aber vor allem eine Regelung ein Dorn im Auge, die erst seit April in Kraft ist: Betriebe mit gesunden Bäumen sollen bis Oktober ihre Hiebe um 15 Prozent reduzieren. So soll sichergestellt werden, dass auch Forstbetriebe mit einem hohen Schadholzanteil eine Chance haben, ihr Holz an die Sägewerke verkaufen zu können. Altmaier will die Regelung „schnellstmöglich“kippen, schreibt er in einem Maßnahmenpapier.
Beim zuständigen Bundeslandwirtschaftsministerium reagiert man irritiert auf den Altmaier-vorstoß. Die steigenden Holzpreise lägen nicht daran, dass Deutschland zu wenig Rohholz hätte. Im Gegenteil. „Aufgrund der gestiegenen Nachfrage kommen die Sägewerke mit der Arbeit nicht mehr hinterher, ihre Kapazitäten sind ausgelastet“, sagte eine Sprecherin unserer Redaktion. In dieselbe Kerbe schlägt der Waldeigentümer-verband AGDW. „Nach drei Dürrejahren sind noch immer rund 30 Millionen Festmeter Holz in den Wäldern, die dem Markt zur Verfügung stehen“, sagte Agdw-hauptgeschäftsführerin Irene Seling unserer Redaktion.
Doch es gibt auch Befürworter. Zu ihnen gehört Denny Ohnesorge, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Holzindustrie (HDH). „Gerade jetzt, wo die Nachfrage nach Schnittholz hoch ist, sollten die Waldbesitzer selbst entscheiden können, ob und an wen sie ihr Holz verkaufen“, sagte Denny Ohnesorge unserer Redaktion.