Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Impfschwänzer bremsen Impftempo
Ärzte beklagen leichtfertigen Umgang mit Terminen. Dabei hilft gegen Delta-variante nur voller Immunschutz
Der Wettlauf gegen die Delta-mutante geht in die entscheidende Runde: Reicht das Impftempo, um das Land vor erneut steigenden Fallzahlen zu bewahren? Klar ist: Deutschland könnte schneller impfen. Dass es nicht gelingt, liegt nicht nur an fehlenden Impfdosen. Es liegt auch am leichtfertigen Umgang mit Impfterminen.
Wie ist die Lage?
Die neuesten Daten des RobertKoch-instituts (RKI) zeigen eine Verdoppelung des Delta-anteils im Wochentakt. In der zweiten Juniwoche lag der Anteil an den untersuchten Neuinfektionen bereits bei rund 15 Prozent (in der Vorwoche bei acht, davor bei 4 Prozent). Auch die absolute Zahl an wöchentlichen Delta-fällen hat laut RKI seit der 21. Meldewoche zugenommen. Insgesamt ist die Sieben-tage-inzidenz aber weiterhin rückläufig und lag zuletzt bei 6,6. Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, sieht deswegen bislang noch keinen Grund zur Panik, hält Wachsamkeit aber für angebracht: Es könnte ein Kipppunkt sein.
Gewinnen wir den Wettlauf?
„Das Virus ist schneller, aber niedrige Inzidenzen und eine mittlerweile hohe Impfgeschwindigkeit geben uns einen großen Vorsprung“, sagt Gerald Gaß, Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG).
Ein Drittel der Deutschen ist mittlerweile vollständig geimpft und damit relativ gut geschützt. Doch das reicht nicht.
Experten gehen davon aus, dass Delta in Deutschland bald die vorherrschende Variante sein wird. Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) erklärte am Donnerstag, dass eine möglichst hohe Impfquote zumindest erneute drastische Maßnahmen verhindern könne. Wenn sich zwei Drittel, also rund 55 Millionen Menschen impfen ließen, „muss man dann auch nicht über einen Lockdown oder so nachdenken“, so Braun. 55 Millionen – dazu müsste sich die aktuelle Zahl (28 Millionen) innerhalb von Wochen verdoppeln.
Warum impfen wir nicht so schnell, wie wir könnten?
Das Impftempo ist schneller als zu Beginn der Impfkampagne, es könnte jedoch noch deutlich an Fahrt gewinnen. Erstens durch höhere Impfstofflieferungen. Hier gab es zuletzt jedoch mehr Rückschläge als Fortschritte. Der Hersteller Moderna immerhin kündigte am Donnerstag an, den versprochenen Corona-impfstoff für Deutschland früher als geplant zu liefern.
Die zweite Stellschraube ist komplizierter. Ärztevertreter beobachten seit Längerem zwei Entwicklungen: Viele Bundesbürger nehmen ihre Termine für die schützende Zweitimpfung nicht wahr – weil sie sie vergessen, weil sie lieber in den Urlaub fahren, weil sie die Bedeutung unterschätzen. „Alle Erwachsenen sollten fristgerecht die notwendigen Zweitimpfungen vornehmen lassen“, mahnt Ärztepräsident Klaus Reinhardt.
Bremseffekte für den Impffortschritt gibt es noch aus einem weiteren Grund: Viele Impfwillige buchen im Bemühen um einen frühestmöglichen Impf-tag Termine an verschiedenen Stellen, versäumen es dann aber, ungenutzte Termine abzusagen – oder sagen zu kurzfristig ab. Ärztevertreter berichten von Impfzentren, in denen dann auf einmal Leerlauf herrscht, obwohl genug Impfstoff da ist. Auch niedergelassene Ärzte klagen, dass Termine nicht rechtzeitig abgesagt werden. Wie viele Impftermine von Impfschwänzern blockiert werden und das Impftempo ausbremsen, lässt sich nur schätzen. In Mecklenburg-vorpommern etwa fielen in den Impfzentren nach Angaben der Landesregierung pro Tag zwischen 15 und 40 Prozent der Termine aus.
Der Deutsche Hausärzteverband sieht die Entwicklung mit Sorge: „Die aktuellen Meldungen von abgesagten oder nicht in Anspruch genommenen Terminen für die Zweitimpfung in Impfzentren machen deutlich, warum die CoronaSchutzimpfung in den hausärztlichen Praxen am besten aufgehoben ist“, sagte Verbandschef Ulrich Weigeldt unserer Redaktion. Das persönliche Gespräch mit den Patienten könne eine höhere Verbindlichkeit und damit auch Termintreue sicherstellen. Vor allem die medizinische Notwendigkeit einer Zweitimpfung könne hier besser erläutert werden als in der Anonymität von Impfzentren, so Weigeldt.
Anteil an positiven untersuchten Proben in Deutschland
„Das persönliche Gespräch in den Hausarztpraxen kann eine höhere Verbindlichkeit und Termintreue sicherstellen. “Ulrich Weigeldt Vorsitzender Deutscher Hausärzteverband