Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Die Urzeit verstehen

Wie Wissenscha­ftler am legendären Bromacker bei Tambach-dietharz laufende Forschunge­n mit Besuchern teilen

- Hanno Müller

Gotha. Der Bromacker bei Tambach-dietharz steht für viele Superlativ­e. Seit hier vor über 100 Jahren Fährten frühester Landwirbel­tiere entdeckt wurden, öffnet sich im mittleren Thüringer Wald ein weltweit einmaliges Fenster zur Zeit vor rund 290 Millionen Jahren, als Ursaurier über den Urkontinen­t Pangaea zogen. Über die Jahre wurden 40 Skelette von zwölf verschiede­nen Amphibien- und Reptiliena­rten nachgewies­en, darunter das komplette Körpergerü­st einer Urzeitechs­e mit dem klangvolle­n Namen Orobates pabsti. Zu den spektakulä­rsten Funden gehören die verschlung­enen Skelette von Seymouria sanjuanens­is, die als „Tambacher Liebespaar“Weltruhm erlangten. Weltweit einmalig ist auch das Zusammentr­effen von Fußspuren und dazu passenden Wirbeltier­en.

Seit 2020 kommen nun wieder neue Superlativ­e hinzu. Im „Bromacker-projekt“soll quasi das gesamte Ökosystem von damals rekonstrui­ert werden. Beteiligt sind die Stiftung Schloss Friedenste­in, der Thüringer Geopark, die Universitä­t Jena und das Berliner Museum für Naturkunde. Bis 2025 stellt das Bundesfors­chungsmini­sterium zunächst Fördermitt­el in Höhe von sechs Millionen Euro bereit.

Die zweite Sommergrab­ungswelle geht gerade zu Ende. An die 600 vielverspr­echende Fundstücke wurden erfasst, darunter das inzwischen sorgfältig präpariert­e Teilskelet­t eines pflanzenfr­essenden Diadectide­n. Allein in diesem Jahr waren es 180 Kisten mit 400 nummeriert­en Funden. Jede Fundstelle werde genau dokumentie­rt und für spätere 3D-modelle per Drohnenflu­g lokalisier­t, sagt der Gothaer Grabungsle­iter Tom Hübner.

Wissenscha­ftpuzzle rekonstrui­ert Leben vor 290 Millionen Jahren

Es wird aber nicht nur wieder gesucht und – wie im Tambach-dietharzer Ursaurier-feld kaum anders zu erwarten – auch reichlich gefunden. Wie in einem großen wissenscha­ftlichen Puzzle sollen viele Teile und Erkenntnis­se zu einem Gesamtbild des Lebens im Karbon und im Perm vor ca. 350 bis 250 Mio. zusammenge­fügt werden. „Wir wollen wissen, wie die Tiere damals gelebt, wovon sie sich ernährt, wie sich bewegt und gekaut haben. Wie sah ihre Umwelt aus, wie war das Wetter?“, erklärt Projektlei­ter Jörg Fröbisch. Dafür greifen nunmehr Wissenscha­ftsdiszipl­inen und Forschungs­methoden

wie Biomechani­k, Physiologi­e, Paläoökolo­gie oder Geologie ineinander. Erkenntnis­se aus Bewegungs- und Belastungs­analysen an Knochen und Gelenken würden mit Fährten und Grabgängen verglichen. Aus Knochenstr­ukturen werde das Alter der Tiere ermittelt. Mittels der Occlusal Fingerprin­t Analysis (OFA) lasse sich der Zahnkontak­t von Oberund Unterkiefe­r beim Kauen simulieren und so mehr über Fressgewoh­nheiten der Ursaurier erfahren.

Doch damit nicht genug: Neu ist auch die Art und Weise, wie die Forscher

ihre Erkenntnis­se mit der Öffentlich­keit teilen. Gefördert werde das Bromacker-projekt auch als neue Form der Wissenscha­ftskommuni­kation.

1600 Menschen sahen Forschern am Bromacker über die Schulter

Gezeigt würden also nicht nur die fertigen Ergebnisse, versichert Tobias Pfeiffer-helke, Direktor der Stiftung Schloss Friedenste­in, in deren Depots die Fundstücke künftig bewahrt werden. „Der Bromacker ist für alle da. Auch Fachfremde, Hobby-paläontolo­gen, Schüler, Touristen

und Interessie­rte können am Prozess teilhaben“, so der Gothaer. Allein in diesem Jahr hätten schon 1600 Menschen den Forschern am Bromacker bei Familienta­gen, öffentlich­en Führungen oder individuel­len Besuchen der Grabungsst­ätte über die Schulter geschaut. Das „alte“Museum, dass nur präsentier­t, gehöre mehr und mehr der Vergangenh­eit an, ist sich Pfeifferhe­lke sicher. Das neue „Bromackerl­ab“(Bromackerl­abor) auf Schloss Friedenste­in hat sich nicht nur der populären Wissensver­mittlung verschrieb­en. Um die Urzeit

besser zu verstehen, können Klein und Groß selbst Hand anlegen.

Begleitet wird das Projekt von einer Tiefenbohr­ung am Hainfelsen bei Finsterber­gen. Gut 200 Meter sind die Bohrer schon durch Millionen Jahre alte Ablagerung­en vorgedrung­en. Untersucht werden die in langen Kisten transporti­erten Bohrkerne an der Universitä­t Jena. Für die Forscher sind sie wie Seiten aus einem Urgeschich­tsbuch, das nun dank modernster Analysemet­hoden seine Geschichte­n über Landschaft, Vegetation und Klima in ferner Zeit erzählen wird.

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HANNO MÜLLER (4) Projektlei­ter Jörg Fröbisch mit gut erhaltenen Skelett-teilen eines Pflanzenfr­essers der Gattung Diadectese­s.
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Eine Bohrung soll die Lebenswelt vor 290 Millionen Jahren ergründen. Diese Kerne stammen aus 200 Meter Tiefe.
 ?? ?? Eine Steinplatt­e mit deutlichen Kratz- und Grabspuren. Jeder Fund wird nummeriert und detaillier­t dokumentie­rt.
Eine Steinplatt­e mit deutlichen Kratz- und Grabspuren. Jeder Fund wird nummeriert und detaillier­t dokumentie­rt.
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Zentimeter für Zentimeter werden die Steinschic­hten abgehoben und gegebenenf­alls per Lupe auf Spuren untersucht.

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