Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Das Geheimnis des Klima-champions
Vorbild am anderen Ende der Welt: Uruguay produziert 94 Prozent seines Stroms nachhaltig
Wer in diesen Zeiten der globalen Energiekrisen nach Beispielen für zukunftsweisende Lösungen sucht, der stößt irgendwann auf ein kleines Land fast am Ende der Welt. Blickt man in das südamerikanische Uruguay, kann man viel darüber lernen, wie Energieengpässe zu bewältigen sind, ohne auf fossile Brennstoffe und Importe zurückgreifen zu müssen.
Uruguay hat in wenigen Jahren fast eine vollständige Unabhängigkeit bei der Energie erreicht. Dabei wird annähernd der komplette Bedarf durch erneuerbare Quellen gedeckt. Uruguay ist mit seinen Hochebenen und Hunderten von Kilometern Meeres- und Flussküste ein idealer Standort für die Erzeugung von Solar-, Wind- und Wasserkraft.
Neben den Vorteilen der Natur und der Geografie gibt es aber vor allem einen politischen Konsens, von dem sich in Europa fast alle Länder – insbesondere Deutschland – etwas abschauen können. Uruguay hat es geschafft, eine langfristige strategische Energievision zu entwickeln. Sie wird von allen politischen Akteuren gestützt und setzt vor allem auf die Nutzung und den Ausbau der eigenen Ressourcen.
So hat sich Uruguay in den vergangenen zehn Jahren als eines der Vorzeigeländer beim Umbau zur „Green Economy“profiliert. In Lateinamerika sowieso, aber auch im globalen Vergleich. Heute exportiert es sogar Elektrizität in die großen Nachbarländer Argentinien und Brasilien. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es in Uruguay mehr Rinder als Menschen gibt. Hier leben nur 3,5 Millionen Einwohner.
Nach Angaben des uruguayischen Ministeriums für Industrie, Energie und Bergbau (Miem) stammten im vergangenen Jahr 94 Prozent des verbrauchten Stroms aus nachhaltigen Quellen. An der Spitze lag die Windenergie mit 40 Prozent, gefolgt von Wasserkraft (30 Prozent), Biomasse (20 Prozent) und Solarenergie (vier Prozent). Nur sechs Prozent des Strommixes kamen laut dem Ministerium aus fossilen Brennstoffen.
Der Klimachampion am Südzipfel Südamerikas gehört mittlerweile im globalen Vergleich – auf die Einwohnerzahl bezogen – zu den größten Produzenten von Windenergie. Dabei war das Land noch bis 2007 ein Importeur von fossiler Energie. Nach einem Jahrzehnt der Dürre zwischen 1997 und 2007 war der Anteil der Wasserkraft am Energiemix
von 90 auf 50 Prozent gesunken. Das Land sah sich gezwungen, Energie im Ausland einzukaufen. Die Regierung gab mehr als 2,8 Milliarden Us-dollar pro Jahr für die Einfuhr fossiler Brennstoffe aus.
Die Regierung legte einen 25-Jahres-energieplan auf
2008 suchte die damalige Linksregierung der Frente Amplio nach einer Möglichkeit, von Einfuhren und vor allem Ölkäufen unabhängig zu werden. Sie verabschiedete einen 25-Jahres-plan, der sich auf Wind, Sonne und Biomasse konzentrierte. Mithilfe der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB) und dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) schuf Uruguay ein günstiges Umfeld für Auslandsinvestitionen: transparente Ausschreibungen mit Sicherheit und Anreizen für Investoren. Beides ist eher eine Seltenheit in Lateinamerika. Zwischen 2010 und 2015 haben der Staat und vor allem private internationale Investoren mehr als sieben Milliarden Us-dollar in erneuerbare Energien investiert.
Auch nach dem Machtwechsel zu einer konservativen Regierung
2020 hielt der neue Präsident Luis Alberto Lacalle Pou an dem Energieplan fest. Das sei eines der Geheimnisse des Erfolgs von Uruguay, sagt Ramón Méndez, ehemaliger Energieminister. Links und rechts zögen bei diesem Thema an einem Strang. „Die volle Unterstützung aller politischen Kräfte, die Schaffung eines investorenfreundlichen Umfelds und eine flexible Politik der jeweiligen Regierungen öffneten die Tür für einen Wandel in der Energiemischung innerhalb nur weniger Jahre.“
Uruguay investiert weiterhin jährlich rund drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in die Energieinfrastruktur. In dem von der Denkfabrik REN 21 erstellten „Renewables Global Status Report“rangiert das kleine südamerikanische Land weltweit an fünfter Stelle, was die Investitionen in erneuerbare Energien im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung betrifft.
Ende 2019 stufte die Internationale Energieagentur (IEA) den Staat in Bezug auf die Energieerzeugung als führend in Lateinamerika ein. Dabei trugen noch im Jahr 2005 weder Wind- noch Solarenergie zur Elektrizitätsproduktion Uruguays
bei. Diese schönen modernen Energiezeiten haben allerdings eine Kehrseite. Die Kosten für den grünen Strom sind sehr hoch. Das liegt vor allem an vielen ausländischen Investitionen. Und so werden die Kosten auf den Kunden umgelegt.
Öffentlicher Nah- und Fernverkehr soll elektrifiziert werden
In der Folge sind die Energiekosten in Uruguay im regionalen Vergleich höher als anderswo. Im August 2021 zahlten die Kunden laut dem Energieversorger SEG Ingeniería 242 Dollar pro Megawattstunde. In Chile waren es nur 179 Dollar, in Brasilien 165 Dollar, in Argentinien 66 Dollar und in Paraguay 59 Dollar. Aber dennoch geht die grüne Revolution unaufhaltsam weiter, auch damit die Kosten irgendwann fallen. Bis 2030 soll die Abhängigkeit von der Wasserkraft weiter verringert werden, indem der Anteil von Wind, Sonne und Biomasse erhöht wird. Zudem steht die „zweite Energiewende“an. Auch der gesamte öffentliche Nah- und Fernverkehr soll auf Elektroenergie umgerüstet werden. Folgen soll die komplette Industrie des kleinen Landes.