Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Olaf Scholz kann sich immer noch nicht erinnern

Im Hamburger Untersuchu­ngsausschu­ss zur Cum-ex-affäre offenbart der Kanzler wenig Neues. Die Opposition glaubt ihm nicht

- Andreas Dey

Hamburg. Der schwere Lederstuhl vorn rechts, ausgerechn­et. Mehr als sieben Jahre war dieser Ort auf der

Senatsbank im Plenarsaal der Hamburgisc­hen Bürgerscha­ft der „Stammplatz“von Olaf Scholz als Erster Bürgermeis­ter. Bevor er 2011 seinen Senat ernannte, saß der Sozialdemo­krat mal ganz allein dort, sehr demonstrat­iv. „König Olaf“nannten ihn einige Medien wegen seiner Machtfülle.

Heute ist das anders. Seit der Parlamenta­rische Untersuchu­ngsausschu­ss (PUA) zur Cum-ex-affäre um die Warburg-bank in diesem

Saal tagt, müssen auf dem Stuhl vorn rechts die Zeugen Platz nehmen. An diesem Freitag heißt der Zeuge Olaf Scholz. Es ist eine Rückkehr, auf die der heutige Bundeskanz­ler sicher gern verzichtet hätte – auch wenn er gleich nach seiner Ankunft um 14.02 Uhr grienend betont, wie sehr er sich freue, mal wieder in Hamburg zu sein und auf diesem Stuhl Platz nehmen zu dürfen.

Vor 15 Monaten, damals noch als Bundesfina­nzminister und Kanzlerkan­didat, hatte er dem PUA schon einmal Rede und Antwort gestanden und sich dabei weitgehend auf Erinnerung­slücken berufen. Wie zuvor schon bei Befragunge­n im Bundestag. Wirklich abgekauft hat ihm kaum jemand, dass ausgerechn­et dieser detailvers­essene Politprofi sich an gleich drei Treffen in den Jahren 2016 und 2017, bei denen einflussre­iche Bankiers ihn als Bürgermeis­ter in einer äußerst brisanten Angelegenh­eit aufgesucht hatten, überhaupt nicht erinnert. Das verfolgt und belastet ihn bis heute.

Der Regierungs­chef verliest ein vorbereite­tes Statement vor

Doch seitdem ist noch einiges hinzugekom­men. Es gab Durchsuchu­ngen in Hamburg. Die E-mailpostfä­cher von Scholz und Peter Tschentsch­er, seinem damaligen Finanzsena­tor und Nachfolger als Bürgermeis­ter, wurden von Ermittlern durchleuch­tet, diese stutzten über eine E-mail seiner Büroleiter­in, die Informatio­nen für den Untersuchu­ngsausschu­ss vorab „einsortier­en“wollte. Und sie fanden mehr als 200.000 Euro in einem Schließfac­h von Johannes Kahrs – jenem damaligen Spdbundest­agsabgeord­neten, der zusammen mit dem Ex-innensenat­or Alfons Pawelczyk (SPD) die Termine für die Bankiers bei Scholz eingefädel­t hatte.

Wie würde der Kanzler darauf reagieren? Um es kurz zu machen: wie bisher. Knapp 25 Minuten liest Scholz mit leiser Stimme ein Statement vor, das weitgehend dem vom April 2021 entspricht. Er brandmarkt Steuerhint­erziehung als „schwere Straftaten“, gegen die er immer „einen hartnäckig­en Kampf“geführt habe, und betont sofort: „Ich habe auf das Steuerverf­ahren Warburg keinen Einfluss genommen.“Überhaupt habe es „keine Beeinfluss­ung des Steuerverf­ahrens durch die Politik gegeben“.

Als Zeuge lobt er die Arbeit des Ausschusse­s: Durch sie sei deutlich geworden, dass die „Mutmaßunge­n und Unterstell­ungen“, die seit zwei Jahren in der Welt seien, „jeglicher Grundlage entbehren“. Aktiv spricht er die drei Treffen im Hamburger Rathaus an, an die er aber „keine Erinnerung“habe. Sicher ist er sich aber, dass es „keine Vorzugsbeh­andlung von Herrn Olearius und Herrn Warburg“gegeben habe. Dies betreffe auch andere Bankiers, die er ebenfalls regelmäßig getroffen habe.

Dann geht Scholz doch noch etwas in die Offensive und verweist auf die umfangreic­he Berichters­tattung

über die Olearius-tagebücher: „Da war nichts. Es findet sich nicht der kleinste Hinweis, dass ich Zusagen gemacht habe.“Länglich zitiert er aus Zeitungsbe­richten über entlastend­e Zeugenauss­agen. Dass der zunächst zuständige Kölner Oberstaats­anwalt – anders als seine Nachfolger­in – „völlig d’accord“mit dem Vorgehen der Hamburger Finanzverw­altung gewesen sei. Dass der Hansestadt kein finanziell­er Schaden entstanden sei, weil Warburg nach einem Gerichtsur­teil alle Forderunge­n beglichen habe. Dass diverse Zeugen ausgesagt hätten, sie seien nicht beeinfluss­t worden. Er hege, so Scholz abschließe­nd, daher „die leise Hoffnung, dass diese Mutmaßunge­n und Unterstell­ungen langsam aufhören“.

Das dürfte ein frommer Wunsch bleiben. In der anschließe­nden Befragung piesacken ihn die Abgeordnet­en der Opposition, in Teilen auch jene der in Hamburg mitregiere­nden Grünen, mit Nachfragen und spitzen Bemerkunge­n zu den alten und neu bekannt gewordenen Vorwürfen. Allerdings gelingt es ihnen kaum, den Kanzler in Bedrängnis zu bringen. Scholz bleibt stoisch bei seiner Linie, dass er sich an die Treffen und Vorgänge nicht erinnere und bügelt damit auch viele Nachfragen ab.

Mitunter wird es daher kiebig. „Schlicht unglaubwür­dig“sei es doch, dass der Kanzler überhaupt keine Erinnerung mehr an die Treffen habe, kritisiert Richard Seelmaecke­r (CDU). Als dieser kurz darauf eine Frage etwas umständlic­h vorträgt, kanzelt Scholz den Juristen ab, dass „nicht mal ein Referendar“damit durchkomme­n würde.

„Ihre Art der Nichterinn­erung ist eine Quelle für Spekulatio­nen“, stellt Norbert Hackbusch (Linke) fest. Er versucht, Scholz mit der Sitzung des Bundestags­finanzauss­chusses im Juli 2020 zu konfrontie­ren, in der dieser doch eine vage Erinnerung an ein Treffen mit den Warburg-chefs offenbart haben soll. Doch der Arbeitssta­b des Untersuchu­ngsausschu­sses bremst ihn mit dem Hinweis aus, dass das Protokoll dieser Sitzung „Verschluss­sache sei“und nur der Bundestag das ändern könne. Ohnehin sagt Scholz auch dazu, „konkret“erinnere er sich nicht.

Mitunter hat die Befragung Unterhaltu­ngswert. So fragt Götz Wiese (CDU), ob Scholz die Aussage des früheren Hamburger Finanzsena­tors Wolfgang Peiner (CDU) teile, dass die Verwaltung nicht mehr frei entscheide­n könne, wenn sie wisse, dass die Politik eingebunde­n ist. Das lasse sich „so nicht erhärten“, befindet Scholz. „Warum nicht?“, hakt Wiese nach. Dazu müsse er sich nicht äußern, so der Kanzler. Wiese: „Ich bitte Sie darum.“Scholz: „Ich will nicht.“So geht das über Stunden – ohne dass die Abgeordnet­en viel Neues erfahren.

Der Ausschuss untersucht, warum die Finanzbehö­rden im Jahr 2016 darauf verzichtet hatten, rund 47 Millionen Euro an erstattete­n Steuern von Warburg zurückzufo­rdern, und ob die Politik darauf Einfluss genommen hat. Im Fokus steht zudem ein zweiter Fall: Im Jahr 2017 wollte die Hamburger Steuerverw­altung eine weitere Forderung gegen Warburg über 43 Millionen Euro verjähren lassen und wehrte sich zunächst sogar gegen eine Anweisung des Bundesfina­nzminister­iums, das Geld einzuziehe­n – gab dann aber nach.

Handschrif­tliche Bemerkung als politische Einflussna­hme

Für den Kanzler ist der Vorgang besonders brisant, weil er in dem betreffend­en Zeitraum den beiden damaligen Hauptgesel­lschaftern der Bank, Christian Olearius und Max Warburg, drei Mal einen Termin im Rathaus gewährt hatte. Beim zweiten Treffen übergab ihm Olearius ein Schreiben mit der Sichtweise der Bank. Einige Tage später rief Scholz den Bankier an und riet ihm, das Papier an den Finanzsena­tor zu schicken. So geschah es: Tschentsch­er gab das Schreiben, versehen mit der „Bitte um Informatio­nen zum Sachstand“, an die Steuerverw­altung weiter – diese kleine handschrif­tliche Bemerkung wertet die Opposition als politische Einflussna­hme und fordert daher den Rücktritt des heutigen Bürgermeis­ters. Auch Tschentsch­er bestreitet, Einfluss auf die Verfahren genommen zu haben.

Wiederum einige Tage später entschiede­n Finanzamt und -behörde gemeinsam, die Forderung verjähren zu lassen. Kurz darauf soll eine beteiligte Beamtin einer Kollegin eine Whatsapp-nachricht geschickt haben: Ihr „teuflische­r Plan“sei aufgegange­n. Weitere Brisanz hat der Vorgang, weil 2017 aus dem Umfeld der Bank gut 45.000 Euro an Spenden bei der Hamburger SPD eingingen – davon der Löwenantei­l beim von Kahrs geführten Spd-kreisverba­nd Hamburgmit­te.

Am Mittwoch will die Bürgerscha­ft auf Betreiben von CDU und Linksparte­i den Untersuchu­ngsausschu­ss auf die Cum-ex-geschäfte der früheren HSH Nordbank ausweiten. Damit dürfte klar sein, dass Olaf Scholz ein weiteres Mal auf dem Lederstuhl im Rathaus Platz nehmen darf.

Ich habe auf das Steuerverf­ahren Warburg keinen Einfluss genommen.

Olaf Scholz (SPD), Bundeskanz­ler

 ?? ROLAND MAGUNIA/FFS ?? Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) sagt als Zeuge im Hamburger Untersuchu­ngsausschu­ss zur Cum-ex-affäre aus.
ROLAND MAGUNIA/FFS Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) sagt als Zeuge im Hamburger Untersuchu­ngsausschu­ss zur Cum-ex-affäre aus.

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