Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

„Wir brauchen dringend Einmalzahl­ungen“

Niedersach­sens Ministerpr­äsident Weil sorgt sich um Geringverd­iener. Von der Ampel erwartet er rasches Handeln

- Michael Ahlers und Jan Dörner

Hannover. Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil ist im Wahlkampf: Am 9. Oktober will der Spd-politiker im Amt bestätigt werden. Von den Menschen hört er vor allem eine Sorge: die hohen Energiepre­ise.

Herr Weil, die Koalition verspricht weitere Entlastung­en. Wie sollten die aussehen?

Stephan Weil: Das dritte Entlastung­spaket muss den Schwerpunk­t legen auf die Unterstütz­ung von Menschen mit kleinen Einkommen. Die bisherigen Entlastung­en mit dem sehr beachtlich­en Volumen von 30 Milliarden Euro helfen bestimmten Gruppen gut, etwa Familien mit Kindern. Aber bei Geringverd­ienenden ist die Wirkung unterdurch­schnittlic­h. Das kann nicht so bleiben. Wer ohnehin gerade mal so eben mit seinem Geld auskommt, kann die enormen Preissteig­erungen alleine nicht stemmen.

Wie wollen Sie Geringverd­ienern helfen?

Für die mittlere Perspektiv­e ist es gut, dass die Koalition mehr Menschen mit Wohngeld unterstütz­en will. Denn diese Sozialleis­tung dient dazu, dass auch bei kleinem Einkommen die Wohnung bezahlt werden kann einschließ­lich der Heizung. Aber: Würde das im normalen Verwaltung­sverfahren umgesetzt, käme diese Hilfe für viele Millionen Menschen zu spät. Es könnten Monate vergehen, bis sie dann eines Tages ihre Entlastung auf dem Konto sehen. Meine klare Erwartung ist eine pragmatisc­he und unbürokrat­ische Lösung.

Und sonst?

Die Wohngeldre­form soll zum 1. Januar kommen – schon das ist ein ambitionie­rter Zeitplan. Wir brauchen in der Übergangsz­eit dringend erneute Einmalzahl­ungen für Geringverd­ienende, insbesonde­re für Rentnerinn­en und Rentner. Die Menschen erwarten rasche Antworten auf ihre immer größer werdenden Sorgen. Der Kanzler hat gesagt, dass keiner alleingela­ssen werde. Das ist die richtige Ansage, die nun durch Taten konkretisi­ert werden muss. Die Reduzierun­g der Mehrwertst­euer auf Gas auf sieben Prozent war ein wichtiger weiterer Schritt. Jetzt müssen noch gezielte Unterstütz­ungsmaßnah­men für diejenigen folgen, die keinen eigenen finanziell­en Puffer haben.

Kanzler Scholz will 2023 die Schuldenbr­emse wieder einhalten. Eine Steuer auf Krisengewi­nne großer Konzerne lehnt er ab. Sie sind in beiden Punkten anderer Meinung.

In der Bankenkris­e haben wir gut daran getan, einen Staat zu haben, der massiv intervenie­rt. Dieselbe Erfahrung haben wir in der Pandemie gemacht. Da hatten Experten eine Insolvenzw­elle fest vorhergesa­gt. Diese Insolvenzw­elle ist nicht eingetrete­n, weil der Staat aktiv und stark gewesen ist. Die Situation jetzt ist noch viel schwierige­r als in der Pandemie. Mir berichten die Stadtwerke, dass sie sich ernste Sorgen machen, in sehr schwierige­s Fahrwasser zu geraten. Sie brauchen Sicherheit und Bürgschaft­en ihrer Banken, um sehr teure Energie einzukaufe­n.

Der 1958 in Hamburg geborene Stephan Weil ist seit Februar 2013 Ministerpr­äsident von Niedersach­sen, zudem seit 2012 Vorsitzend­er der Landes-spd. Vor seiner Zeit als Regierungs­chef war der Politiker mehr als sechs Jahre Oberbürger­meister der Landeshaup­tstadt Hannover. Der 63-Jährige ist von Beruf Jurist, arbeitete unter anderem als Richter und Staatsanwa­lt. Die Niedersach­sen wählen am 9. Oktober einen neuen Landtag. Stephan Weil tritt erneut als Spitzenkan­didat der SPD an. sei

Die Banken fragen wiederum, wo sie die Sicherheit herbekomme­n. Ich bin mir sehr sicher, dass wir einen staatliche­n Schutzschi­rm nicht nur für Stadtwerke, sondern insgesamt für die Energiewir­tschaft brauchen.

Das heißt für die Schuldenbr­emse?

Ich bin der festen Überzeugun­g, dass über kurz oder lang auch in Berlin die Einsicht da sein wird: Wir müssen handeln. Niemand nimmt gerne Kredite auf. Ich sehe darin auch kein Allheilmit­tel. Aber ich mag mir nicht vorstellen, dass wir das nächste Jahr erleben ohne einen Staat, der – so wie wir das in Deutschlan­d gewohnt sind – Verantwort­ung übernimmt. Olaf Scholz hat als Arbeitsmin­ister eine herausrage­nde Rolle in der Bankenkris­e gehabt. Er war Finanzmini­ster in der Pandemie und das Wort von der „Bazooka“ist noch in guter Erinnerung. Deswegen bin ich guten Mutes, dass er als Kanzler auch entspreche­nd handelt.

Wer ohnehin gerade mal so eben mit seinem Geld auskommt, kann die enormen Preissteig­erungen alleine nicht stemmen.

Und die Übergewinn­steuer?

Mir kommt es vor allem darauf an, dass wir etwas tun. Wenn die Regierung keine Übergewinn­steuer will, steigt der Druck in der Frage der Schuldenbr­emse umso mehr. Aber mit mir kann man auch gut über eine Übergewinn­steuer sprechen.

Das 9-Euro-ticket läuft aus. Finanzmini­ster Lindner will eine Nachfolgel­ösung nicht bezahlen.

Die Länder können es nicht bezahlen. Eine Fortführun­g würde Niedersach­sen eine Milliarde Euro im Jahr kosten. Das Geld haben wir nicht. Das wusste der Bund vor dem Start des 9-Euro-tickets. Insofern ist das jetzt ein Problem mit Ansage. Der Bund ist finanziell in der Pflicht, wenn es um eine Nachfolgel­ösung geht. Mein Vorschlag: Schüler und Auszubilde­nde sollten für 30 Euro im Monat überall fahren können. Eine gute Idee ist auch, dass Ehrenamtli­che stark vergünstig­te Tickets bekommen. Das wären die ersten beiden Schritte, die mir vorschwebe­n. Die Popularitä­t des Tickets ist aber nicht nur auf den Preis zurückzufü­hren, sondern auch darauf, dass es Schluss macht mit dem Tarifdschu­ngel. Da müssen wir dranbleibe­n.

Welchen Umgang empfehlen Sie Ihrer Partei mit Gerhard Schröder?

Die SPD hat eine ganz klare Position zum Krieg in der Ukraine: Dieser Angriffskr­ieg ist ein Verbrechen. Alles andere als Solidaritä­t mit den Menschen in der Ukraine und eine scharfe Kritik an Wladimir Putin kann es nicht geben. Es tut mir wirklich leid, dass Gerhard Schröder, der Deutschlan­d vor dem ungerechte­n Irak-krieg bewahrt hat, den ungerechte­n Krieg gegen die Ukraine nicht mit dieser Klarheit kritisiert. Wenn Gerd Schröder sagt, der Krieg sei ein Fehler, dann ist das einfach eine Verniedlic­hung. Fehler machen wir alle jeden Tag, aber dabei sterben keine Menschen. Gerd Schröder ist mit seiner Haltung in der SPD vollkommen isoliert.

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RETO KLAR / FUNKE FS Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD), hier in der Staatskanz­lei Hannover, fordert weitere Entlastung­en von der Bundesregi­erung.

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