Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Herrlich hemmungslos
Die Ärzte beweisen auf dem Erfurter Domplatz, dass sie die „beste Band der Welt“sind
Erfurt. Ja, wir haben es vermisst. Diese Leichtigkeit des Augenblicks, wenn die ersten Akkorde von „Himmelblau“über den Domplatz flirren. Dazu der Bass, der aus den Boxen dröhnt, das treibende Schlagzeug. Konzertverschiebung, Tourabsage, Corona-wahnsinn – plötzlich alles ganz weit weg. Farin, Bela B. und Rod legen in Erfurt brachial los. Gleich ihr zweiter Song „Noise“bringt es auf den Punkt: „Es wird Zeit für etwas Neues.“
Dabei, wirklich Neues gibt es von den Ärzten nicht. Und eigentlich will das auch keiner. Seit gut 40 Jahren sind die Berliner nun die beste Band der Welt – und das feiern die Musiker mit jedem ihrer Songs. Vor allen Dingen mit den älteren Hits, wie etwa „Meine Freunde“und den ganz, ganz alten Werken a la „Vollmilch“und „Zitroneneis“. Feinster Punkrock eben.
Es gibt wahrlich nicht viele Bands, die sich so hemmungslos hingeben – und dabei so viel Spaß versprühen. „Es soll ja sogar Musiker geben, die proben täglich“, erklärt Bela B. dem Publikum. Und dann geht es wild und fröhlich wei
ter durch den musikalischen Ärztekosmos – von Rummelpunk bis Streicherromantik: „Warum kanns nicht perfekt sein“, „Rebell“, „Der Graf“, „1/2 Lovesong“. Die Texte erzählen seit einer halben Ewigkeit vom Erwachsenwerden und Liebestrennungsschmerz.
Auffällig ist, dass Farin, Bela und Rod am Donnerstagabend nur eine überschaubare Menge Songs ihrer aktuellen Alben „Hell“und „Dunkel“spielen. Egal, vergeben und vergessen. Bei „Fiasko“müssen sich alle Fans laurentiamäßig hinhocken. Ein Ärzte-publikum lässt sich bei solchen Mitmachaktionen nicht lange bitten . . .
Die Bandquerelen der letzten Jahre scheinen endgültig überwunden. Jedwede Trennungsgerüchte sind mit der aktuellen Buffalo-billin-rom-tour vom Tisch.
Es wird auf der Bühne wie eh und je viel improvisiert, gealbert, gefragt. „Welche Tonart spielen wir? In E oder A jetzt?“. Das Publikum stört sich nicht an schiefen Gitarrenriffs, zahlreichen Liedunterbrechungen und dem einen oder anderen Texthänger. Stattdessen wird jeder noch so schlüpfrige Gag bejubelt. Dass sich die Band immer wieder auch gegen Rechts positioniert, versteht sich von selbst. Björn Höcke bekommt in den Ansagen ordentlich
sein Fett weg. Passend dazu: „Schrei nach Liebe“.
Für das Thüringer Publikum enden zweieinhalb grandiose Stunden bei bestem Open-air-wetter. Ein bisschen war das Konzert wie ein Treffen unter Freunden. Man hat sich eine ganze Weile nicht gesehen, aber schon nach wenigen Augenblicken ist das Eis gebrochen. Und man liegt sich selig in den Armen.
Die Berliner Band hat es über eine lange Zeit verstanden, Generationen und Geschmäcker zu verbinden. Der Sänger der Vorband „The Donots“weiß auch wie und warum das gelingt: Es gibt nur einen Gott – Bela, Farin, Rod.