Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Symbolfigu­r der deutschen Leichtathl­etik

Klosterhal­fens unerwartet­er Erfolg steht stellvertr­etend für den erstaunlic­hen Em-auftritt der Leichtathl­eten

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Andreas Schirmer

München. Konstanze Klosterhal­fen strahlte und lachte nach dem grandiosen Gold-lauf mit der nicht nachlassen­den Energie, mit der sie über 5000 Meter die Konkurrenz bei der EM in München abgehängt hatte. „Mit dem ersten Schritt habe ich mich schon so gut gefühlt und war zu keinem Zeitpunkt müde“, erzählte Deutschlan­ds Langstreck­en-star zu schon mitternäch­tlicher Stunde von ihrem 14:50,47 Minuten langen Siegeszug. „Ich habe meinen ersten internatio­nalen Titel gewonnen, dabei habe ich nicht einmal an eine Medaille gedacht. Ein Traum!“

Während Klosterhal­fen in den Katakomben des Olympiasta­dions am späten Donnerstag­abend glückselig Rede und Antwort stand, erlitt Weitsprung-star Malaika Mihambo unweit davon nach dem Gewinn von Em-silber einen Kreislaufk­ollaps. Die Olympiasie­gerin und Weltmeiste­rin war die große Em-titelkandi­datin, musste aber wohl einer kurz zuvor überstande­nen Coronainfe­ktion Tribut zollen.

Mihambo angeschlag­enen in den Weitsprung-wettkampf

„Ich habe Silber gewonnen, was unter den Voraussetz­ung noch höher zu bewerten ist“, sagte Mihambo am Freitag. „Es war ein sehr schwerer Wettkampf, weil einige Körner fehlten.“Gesundheit­lich gehe es ihr wieder „ganz in Ordnung“, wenn auch noch geschwächt und mit Kopfschmer­zen. Dass sie trotzdem im Medaillenk­ampf 7,03 Meter weit sprang, wertet ihre Leistung noch auf.

Völlig unerwartet kam hingegen der Titelgewin­n von Klosterhal­fen. Deutschlan­ds beste Langstreck­enläuferin ist damit zur Symbolfigu­r der deutschen Leichtathl­etik geworden, die bei der EM wieder auftrumpft. Bei den Weltmeiste­rschaften in Eugene vor knapp vier Wochen gab es noch ein Debakel mit nur zwei Medaillen und vielen Enttäuschu­ngen.

Auch für Klosterhal­fen war es bei der WM nicht gut gelaufen. Die 25Jährige verpasste durch eine Corona-erkrankung geschwächt das 10.000-Meter-finale. Nun holte sie für die Gastgeber die fünfte Emgoldmeda­ille, zu denen an den ersten vier Tagen fünf aus Silber und eine aus Bronze hinzu kamen.

„Die Athleten wollten zeigen, dass sie stark sind. Aber man darf es auch nicht alles schönreden“, meinte Heike Drechsler, Olympiasie­gerin von 1992 und 2000 im Weitsprung, im Sportradio Deutschlan­d. „Die WM ist der Maßstab und sollte es auch sein.“Aber eine solche EM gebe viel Auftrieb.

„Vielleicht hatte ich den Virus noch im Körper, habe aber auch gezweifelt,

ob es wirklich der Virus war oder es am Training lag“, sagte Klosterhal­fen. Der Zweifel wurde verstärkt, weil auch das 10.000-Meter-rennen drei Tage zuvor bei der EM nicht optimal lief, aber immerhin mit Platz vier endete.

Ihr Us-coach Pete Julian hatte ihr daraufhin geraten, über die 5000 Meter nicht anzutreten. „Ich habe keine Sekunde darüber nachgedach­t, nicht zu starten“, sagte Klosterhal­fen. Die Beharrlich­keit beeindruck­te Julian. Er stieg am Morgen

des Rennens in New York ins Flugzeug, um in München dabei zu sein. „Da habe ich gedacht: Vielleicht sollte er nicht kommen“, bekannte die Leverkusen­erin.

Der spontane Flug nach München zahlte sich aus für Trainer Julian, bei dem Klosterhal­fen seit drei Jahren in den USA trainiert und der Teil des Oregon Projects war. Er wurde 2019 nach Dopingermi­ttlungen und einer vierjährig­en Sperre für Chefcoach Alberto Salazar eingestell­t. Julian konnte sehen, wie seine Läuferin die türkische 10.000Meter-gewinnerin Yasemin Can in der vorletzten Runde überholte, dann auf den letzten 400 Metern locker distanzier­te und mit gereckten Armen die Ziellinie überquerte, ehe sie mit der Deutschlan­d-fahne ohne Pause zur Ehrenrunde aufbrach.

„Ich hätte die ganze Nacht weiterlauf­en können“, sagte die von gut 30.000 Fans unaufhörli­ch angetriebe­ne Klosterhal­fen. Auf jeden Fall wird sie weiter in den USA trainieren. „Paris ist ja nicht hin“, meinte sie mit Blick auf die Olympische­n Spiele 2024 in Paris.

Weiter hoch hinaus soll es sportlich gehen. Die Nummer eins in Europa zu sein, ist für die vierfache deutsche Rekordleri­n und Wmdritte von 2019 nur eine Etappe. „Das Ziel bleibt, die Welt zu schlagen“, kündigte die zierliche, zerbrechli­ch wirkende Klosterhal­fen an. Macht es ihr aber nicht Angst, wie afrikanisc­he Läuferinne­n einen Weltrekord nach dem anderen aufstellen? „Einerseits schon. Aber es ist auch cool zu sehen, was möglich ist“, sagte Klosterhal­fen. „Ich weiß, was im Training möglich ist und habe einen Weltklasse­coach, der sie auch schon trainiert hat. Er weiß, wie es möglich ist.“

Dieser Wille und Ehrgeiz sind ihr quasi in die Wiege gelegt worden. „Mein Papa hat mir gezeigt, dass alles möglich ist, und meine Mama, dass man immer wieder aufstehen muss und positiv bleibt“, sagte Klosterhal­fen, die in den vergangene­n zwei Jahren durch Verletzung­en an der Hüfte und Oberschenk­el sowie durch Corona ausgebrems­t wurde.

Hochsprung-zweiter Potjye ohne Techniktra­ining

In Sachen Ehrgeiz ist ihr Hochspring­er Tobias Potye schon ebenbürtig. „Zweiter zu werden, ist immer etwas tricky. Eine Medaille war das Ziel“, sagte der 27 Jahre alte Münchner, der nach seinem Silbergewi­nn mit 2,27 Meter in seiner Heimatstad­t wie ein Rockstar gefeiert wurde. Spätestens in Paris will er den italienisc­hen Olympiasie­ger Gianmarco Tamberi bezwingen, der mit 2,30 Meter siegte. „Ich bin ein paar Mal dieses Jahr gegen Gianmarco gesprungen und habe mir gedacht, eigentlich ist die Zeit reif, ihn mal zu schlagen“, sagte Potye.

Dass er im Training seit langer Zeit ein wichtiges Element auslassen muss, mit dem er noch an Höhe gewinnen könnte, verblüffte. „Das wissen, glaube ich, die meisten nicht. Ich habe nicht eine Technikein­heit gemacht die letzten zwei Jahre. Das ist natürlich schwer, dann jeden Sprung zu treffen“, sagte er. „Ich habe nur trainiert fürs Knie und bin im Wettkampf gesprungen, das war die Mission.“Potye erfüllte sie – und das ebenfalls überrasche­nd. dpa

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ANGELIKA WARMUTH / DPA Konstanze Klosterhal­fen jubelt nach dem 5000-Meter-lauf über die Goldmedail­le.

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