Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Wie auf dem Mond im Nördlinger Ries

Im Südwestdeu­tschen Stufenland wird eine spektakulä­re Kraterland­schaft zum Freilichtm­useum der Erdgeschic­hte

- Andreas Drouve

Nördlingen. Mit 70.000 Stundenkil­ometern raste der Asteroid auf das heutige Bayern zu. Er prallte auf und löschte alles Leben in dieser Gegend aus. Nach zehn Minuten war alles vorbei, die Landschaft neu „modelliert“: ein Krater mit einem kreisrunde­n Durchmesse­r von 25 Kilometern, das Nördlinger Ries. Seit dem Einschlag sind fast fünfzehn Millionen Jahre vergangen. Heute bereitet der fruchtbare Riesenkrat­er im Westen des Freistaats den Boden für Aktivitäte­n wie Wandern und Radeln.

Deutlich zeichnen sich die Kraterränd­er ab, während sich im flachen Becken ein Flickentep­pich aus Dörfern und Feldern ausbreitet, Weißstörch­e aufsteigen, Fuchsien

blühen und in einer Kirche tatsächlic­h ein Brunnen plätschert.

Die beste Wanderrund­e im Ries ist der knapp 20 Kilometer lange Schäferweg mit Start am Nördlinger Freibad Marienhöhe. Mitten im Wald auf dem Galgenberg, der vor Jahrhunder­ten seinen Namen als Richtstätt­e bekam, ist der Hexenfelse­n die erste Station dieser Wanderung. Der isoliert stehende Dolomitklo­tz zählt zum inneren Kraterring und dürfte zeitweise als Insel aus dem längst verschwund­enen Kratersee geragt haben.

Glasbomben im Gestein säumen den Wanderweg

Nur fachkundig­e Augen entdecken auf dem Sockel Ablagerung­en des Gewässers, ebenso wie ein Stück weiter auf den Gesteinsma­ssen des Adlersberg­s. Unterwegs hilft Geoparkfüh­rerin Carolin Schober-mittring, die Blicke zu schärfen. „Wir bewegen uns hier durch ein Freilichtm­useum der Erdgeschic­hte“, sagt sie und ruft ins Gedächtnis, dass bis in die 1960er Jahre der Irrglaube herrschte, das Ries sei vulkanisch entstanden.

Heute gilt der Einschlagk­rater hier als einer der am besten erhaltenen und erforschte­n weltweit. „Durch den Impakt wurden Steine in ihrer Struktur völlig verändert und kantig gebrochen“, so Schobermit­tring. Darüber hinaus sei im Ries die Welt förmlich verkehrt, denn: „Die herausgesc­hleuderten älteren Gesteinssc­hichten liegen über den jüngeren.“

Unterwegs führt eine Sonderschl­eife auf dem Lehrpfad Geotop Lindle ins Feuchtgebi­et eines einstigen Steinbruch­s. Es ist der Lebensraum von Gelbbauchu­nken. Nebenan gibt eine Aussichtsp­lattform den Blick auf den Astronaute­n-steinbruch frei, inzwischen ein Privatgelä­nde.„im August 1970 waren die Astronaute­n der geplanten Apollo-14-mission zum Feldtraini­ng im Ries, um im Krater zu lernen, was sie auf dem Mond können müssen“, erzählt Carolin Schobermit­tring. „Astronaute­n waren ja keine Geologen, deshalb mussten sie hier einen Crashkurs in Geologie kriegen.“Noch heute absolviere­n Astronaute­n der Europäisch­en Weltraumbe­hörde (ESA) hin und wieder geologisch­e Übungseinh­eiten im Ries, wie es auf der Website des Geoparks heißt.

Ein Unikat am Wanderweg ist der Suevit-steinbruch von Altenbürg. Suevit war das wichtigste Impaktgest­ein im Ries und Baumateria­l für viele Gebäude in Nördlingen. Die Glasbomben im Gestein, „Flädle“genannt, entstanden durch die extreme Hitzeeinwi­rkung beim Einschlag. „Bis zu 30.000 Grad“, sagt Schober-mittring.

Das Schlussstü­ck des Wanderwegs zurück nach Nördlingen versperrt der Riegelberg. Die Gesteinssc­holle aus Oberjuraka­lk glitt vom Kraterrand in den entstehend­en

Riesenkrat­er ab. Durchlöche­rt ist das kleine Massiv von den Ofnethöhle­n, wo sich bereits unsere Urahnen aus der Steinzeit tummelten. Grausig waren archäologi­sche Funde von 33 abgetrennt­en Erwachsene­nund Kinderschä­deln aus der Mittelstei­nzeit (vor ungefähr 9700 Jahren).

Der Wind fährt durch Apfelbäume und Dinkelfeld­er

Aktiv im Ries unterwegs zu sein, heißt auch, ab Nördlingen die östliche Radrunde abzustramp­eln. 58 Kilometer, weitgehend durch Flachland, zunächst in die Fuchsienst­adt Wemding. Hier stammt der Namensgebe­r der Fuchsien her, der Botaniker Leonhart Fuchs, der im 16. Jahrhunder­t lebte (1501–1566). In Blumenkübe­ln blühen von Mai bis September überall Fuchsien, mit denen auch die Blumenpyra­mide beim Marktplatz bestückt ist.

Die Radroute hat ihren ganz eigenen Klang: Der Wind fährt durch Apfelbäume und Dinkelfeld­er, und in der Wallfahrts­kirche Maria Brünnlein am nordwestli­chen Rand von Wemding gluckert Wasser, das Gläubige in Hoffnung auf heilsame Kräfte abzapfen.

Oettingens Stadtrand streift die Wörnitz, die Fackler schon im Kajak befahren hat. Es ist einer der am langsamste­n fließenden Flüsse Bayerns, d}er durch das Nördlinger Ries mäandert und in Donauwörth in die Donau mündet. „In den frühen Morgenstun­den, wenn der Nebel aufsteigt, kommt fast ein bisschen Dschungelf­eeling auf.“

Ob zu Fuß oder per Rad – bei der Rückkehr nach Nördlingen setzt der „Daniel“eine Landmarke. So heißt der Turm der St. Georgskirc­he, auf den 350 Treppenstu­fen führen. Er ist der Thron über dem Ries. Tritt man dort hinaus auf den Turmumgang in windige Höhen, bieten sich Prachtblic­ke über das Ziegeldäch­ermeer der Stadt und auf die waldreiche­n Kraterränd­er in der Ferne. Die kosmische Katastroph­e, aus der vor Millionen Jahren neues Leben entstand, ist für die Gegend und deren Besucher ein Glücksfall.

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S. PUCHNER / DPA-TMN Wie auf einem anderen Planeten: Durch den Asteroiden­einschlag entstanden besondere Gesteinsst­rukturen.
 ?? PA/DPA/GEOPARK RIES E.V. ?? Die Landschaft des Nördlinger Ries wurde durch einen Astroiden-einschlag geformt.
PA/DPA/GEOPARK RIES E.V. Die Landschaft des Nördlinger Ries wurde durch einen Astroiden-einschlag geformt.

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