Thüringer Allgemeine (Arnstadt)
Ramelow gibt Fehler in Corona-politik zu
Thüringer Ministerpräsident beim politischen Stammtisch in Ilmenau. Auch das Thema Energie und ein Afd-verbot kommen zur Sprache
Diesen Empfang hatte sich Bodo Ramelow (Linke) wohl etwas anders vorgestellt. Thüringens Ministerpräsident war am Montagabend in Ilmenau Gast beim politischen Stammtisch des Linke-landtagsabgeordneten Christian Schaft. Davon haben wohl auch die Montagsdemonstranten erfahren, die nach wie vor zu Wochenbeginn durch Ilmenau laufen. Ihre Route führte sie deshalb diesmal zum Hochhaus am Stollen, wo der Stammtisch mit Ramelow stattfand.
Mit lauter Musik, Protestplakaten („Wir sind die rote Linie“; „Diplomaten statt Granaten“) und Sprechchorparolen („Kriegstreiber“; „Ramelow raus!“) versammelten sie sich draußen vor dem Eingang des Hauses – nur rein kamen sie nicht. „Der Aufmarsch hatte nur die Funktion, die Veranstaltung zu stören. Bei Rufen wie ‚Haut ab‘ ist mehr als offensichtlich keine Bereitschaft zur sachlichen Debatte zu erkennen. Daher haben wir entsprechend vom Hausrecht Gebrauch gemacht, um mit all jenen zu diskutieren, die ein tatsächliches Interesse am gemeinsamen Austausch haben“, so Christian Schaft auf Nachfrage.
Die Versuche der Demonstranten, durch die Fenster hinein zu fotografieren, wurden mit geschlossenen Vorhängen gestoppt. Übrig blieben nur noch die Musik und
Sprechparolen, die etwa eine halbe Stunde nach Veranstaltungsbeginn zunehmend zu verstummen begannen.
Dabei hätten die Demonstranten wohl sogar Gefallen an so mancher Aussage des Thüringen-oberhauptes finden können - gingen die Spaziergänger doch einst in der Pandemie auf die Straße, um ihren Unmut über die Corona-maßnahmen kundzutun. Corona war auch im Hochhaus am Montagabend noch einmal Thema, der Ministerpräsident zeigte sich zuweilen selbstkritisch und reflektiert, gab Fehler zu. „Es sind auch falsche Entscheidungen
getroffen worden, auch von mir“, so Ramelow. „Die Entscheidung, Kitas und Schulen zu schließen, hat sich hinterher als Fehler erwiesen“, räumte er ein. Bildungsminister Helmut Holter sei von Anfang an gegen Schließungen gewesen, Ramelow habe sich aber dem Druck, den die Mehrheit ausgeübt habe, gebeugt. Auch die Idee einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht habe der Ministerpräsident für „einen Rohrkrepierer“gehalten. „Ich habe Scholz bekniet, eine allgemeine und keine einrichtungsbezogene Impfpflicht einzuführen, denn die hätte für alle gegolten“, so
der Ministerpräsident. Dann hätte am Ende der Fachmann, also der Arzt, aufgrund medizinischer Faktoren bei jedem einzelnen entscheiden müssen, ob eine Impfung möglich ist - und nicht die Politik. „Ich bin nach wie vor der Meinung, das Impfen war richtig - aber nach Meinung des Arztes, nicht der Politik“, so Ramelow.
Weiterhin kritisierte er, dass es ab einem gewissen Punkt einen bundesweiten Corona-krisenstab gebraucht hätte und in der Ministerpräsidentenkonferenz gar nicht mehr weiter hätte darüber geredet werden dürfen. Der Ministerpräsident erinnerte sich an die paradoxe Debatte, dass Sportplätze geschlossen wurden, die Bundesliga aber stattfinden sollte, angeblich aus gewerbebetrieblichen Gründen. „Da bin ich zum ersten Mal ausfällig geworden und habe gesagt ‚Jetzt reicht’s mir!’“, so Ramelow. Und doch: „Ich bleibe dabei, dass die Maßnahmen weitestgehend richtig waren, einfach weil wir keine anderen hatten. Aber es wurden teilweise Entscheidungen getroffen, die nicht gut waren“. Doch deshalb müsse man jetzt darüber reden und es aufarbeiten - und nicht auf die nächste Pandemie warten.
Neben der Pandemie gab es aber auch noch andere Themen, die den gut 30 Ilmenauern und Bewohnern der Ortsteile auf dem Herzen lagen. Darunter auch das Thema steigende Energiepreise. „Was Deutschland gemacht hat, ist an vielen Stellen grundfalsch“, so Bodo Ramelow - das habe er auch in jeder Beratung gesagt. In der Kriegswirtschaft hätte man genug Instrumente gehabt, um in den Preis einzusteigen und zu helfen. Stattdessen hat Deutschland Geld ausgezahlt - und dabei zunächst Rentner und Studierende vergessen.
Weiterhin forderte er das Ende des Merit-order-prinzips, nach dem der Strompreis an der Strombörse gebildet wird, und sprach sich für regional unterschiedliche Strompreise aus. „Die Energiearchitektur, wie wir sie in diesem Land haben, ist falsch aufgebaut!“, so Ramelow. „Ich finde die Strompolitik der Bundesregierung vom Arsch paradox“, so ein Besucher. „Ja, da rennen Sie bei mir offene Scheunentore ein“, stimmte der Ministerpräsident zu.„warum muss man auf Rente Steuern bezahlen?“, wollte ein anderer Gast wissen. „Fragen Sie mich das lieber nicht“, sagte Ramelow kopfschüttelnd, um es dann doch zu erklären und zu dem Entschluss zu kommen, wenn man schon versteuertes Geld noch mal versteuern muss, sei das System falsch.
Und was sagt der Ministerpräsident zu einem Parteiverbotsverfahren der AFD? Da müsse er höllisch aufpassen, weil er als Ministerpräsident dazu nichts sagen dürfe, so der Politiker. Das frühere Npd-verbotsverfahren habe die Mechanismen gezeigt, und doch werde man das Problem, das die AFD sichtbar macht, nicht los, weil man die Partei verbiete. Das Denken sei schließlich immer noch da. „Wir werden uns der Mühe unterziehen müssen, inhaltlich zu diskutieren“, so Ramelow. Es brauche einen gesellschaftlichen Dialog. Darüber hinaus kritisierte der Ministerpräsident auch einige Entscheidungen der Bundesregierung, wie – auf Nachfrage eines Gastes – die Kürzungen im Sportbereich. Hierbei ärgerte sich Bodo Ramelow, dass seine Partei auf Bundesebene zu sehr mit sich selbst beschäftigt sei, statt diese Fehler laut auszusprechen.