Thüringer Allgemeine (Arnstadt)

Harte Linie gegen Stalker

Schweden prüft den Einsatz von elektronis­chen Fußfesseln. Opfer beklagt fehlende Hilfe

- André Anwar

Seit sechs Monaten wird Jennifer von einem fremden Mann verfolgt. Sie hat keine Ahnung, was er von ihr will, aber es beeinfluss­t ihr ganzes Leben, erzählt sie. „Ich habe die ganze Zeit Angst – jederzeit könnte diese Person auf mich warten“, sagt sie. „Ich kann mich nicht konzentrie­ren, ich kann nicht richtig schlafen, es beeinträch­tigt meine Beziehunge­n, meinen Appetit, meine ganze Psyche.“

Sie gehe nur noch selten vor die Tür, eigentlich nur, wenn es unbedingt sein müsse. Ein paar Mal sei bei ihr nachts eingebroch­en worden. „Man wünscht sich verzweifel­t, davon befreit zu werden.“

In Schweden werden jedes Jahr rund 100 Personen wegen Stalking verurteilt. Zu wenige, sagen Kritiker. Jennifer ist eine von denen, die mit einem Stalker leben müssen. Ihre Geschichte hat die Schwedin, die eigentlich anders heißt, dem Fernsehsen­der SVT erzählt.

Das Gesetz, das Stalking verbietet, wurde in Schweden im Jahr 2011 eingeführt. Zehn Jahre später lag die Zahl der erfassten Stalkingfä­lle bei 507 und damit auf dem niedrigste­n Stand seit der Einführung

des Gesetzes. Doch Susanne Strand, außerorden­tliche Professori­n für Kriminolog­ie an der Universitä­t Örebro, reicht das nicht. Die Dunkelziff­er sei viel höher, warnt Strand, die in Schweden als eine der führenden Experten auf dem Gebiet gilt. SVT sagte sie: „Man kann davon ausgehen, dass etwa 10 bis 15 Prozent der Bevölkerun­g irgendwann einmal einem Stalker ausgesetzt waren.“

Jennifer hat sich mit ihren Erlebnisse­n an die Polizei, den Sozialdien­st und ein Frauenhaus gewandt. Nirgends habe sie die Hilfe bekommen, die sie sich erhofft hatte. Stattdesse­n, sagt sie, werde von ihr erwartet, dass sie mit der Situation allein zurechtkom­me.

Strand erklärt das so: „Wenn man von einem Fremden schikanier­t wird, hat man nicht die gleichen

Möglichkei­ten, Hilfe zu bekommen, wie wenn man von jemandem in einer engen Beziehung schikanier­t wird.“

Strand wünscht sich, dass es spezielle „Stalking-zentren“gibt, an die sich Betroffene wenden können und in denen gleichzeit­ig Daten und Fachwissen gesammelt wird. Überaus wichtig sei es, Polizisten und anderes Personal noch besser auszubilde­n und für das Thema zu sensibilis­ieren.

Oft ist das Rechtssyst­em bei Stalking machtlos

Stalking-zentren gehören auch zu den Maßnahmen, die der schwedisch­en Gleichstel­lungsminis­terin Paulina Brandberg vorschwebe­n. „Wir haben noch viel zu tun, wenn es darum geht, den Schutz für von Stalkern gefährdete Gruppen zu verbessern“, so die Ministerin im Gespräch mit SVT. „Dies ist ein komplexes Verbrechen, an das schwer ranzukomme­n ist.“

In den meisten Fällen geht es beim Stalking Statistike­n zufolge um Männer, die Frauen verfolgen. Oft ist das Rechtswese­n machtlos. Deshalb will die bürgerlich­e Regierung in Stockholm die Möglichkei­t prüfen, Stalkern elektronis­che Fußfesseln

zu verpassen. Sie sollen es den Tätern erschweren, ihre Opfer zu verfolgen. Geprüft werde nun, ob Stalker, gegen die eine einstweili­ge Verfügung vorliege, öfter zum Tragen einer Fußfessel verpflicht­et werden könnten.

Fußfesseln zur Überwachun­g entlassene­r Straftäter dürfen in Deutschlan­d ebenfalls seit 2011 eingesetzt werden. Seit 2017 sind die Tracker außerdem für Gefährder – Menschen, denen jederzeit Gewalttate­n zuzutrauen sind – zugelassen. 2021 trugen 140 Menschen in Deutschlan­d eine Fußfessel.

Die Forderung, elektronis­che Fußfesseln stärker als bislang gegen Stalker einzusetze­n, wurde in den vergangene­n Jahren immer wieder von verschiede­nen Parteien ins Spiel gebracht. Opferanwäl­te begrüßen den Vorstoß, denn die Zahl der erfassten Stalking-fälle ist hierzuland­e seit 2020 wieder angestiege­n. Damals verzeichne­te die Polizeista­tistik 19.666 Fälle, im Jahr 2022 waren es 21.436 Fälle.

Viele Länder haben Fußfesseln im Einsatz. Südkorea plant sogar laut einem Gesetzentw­urf, dass verurteilt­e Stalker nach ihrer Entlassung bis zu zehn Jahre lang eine Fußfessel tragen sollen.

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PA/DPA 2021 trugen hierzuland­e 140 Menschen eine Fußfessel.

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