Thüringer Allgemeine (Artern)

Die DDR von der Seele geschriebe­n

- Von Hanno Müller

Mehr als drei Jahrzehnte lebte Konstanze Petersmann in der DDR. 1983 ließ man sie in den Westen ausreisen. In ihren Erinnerung­en beschreibt sie einen Unrechtsst­aat, in dem man sich gegen viele Zumutungen behaupten musste

Das Buch von Konstanze Petersmann ist kein Geschichts­buch. Historiker würden manches anders darstellen und bewerten. Müssten es sogar. Zumal zu vielen Facetten der DDR differenzi­erte Forschungs­ergebnisse vorliegen, auch zur Bewertung ihres Unrechtsch­arakters.

Selbst wenn sowohl das Erscheinen des Buches in einem Fachbuchve­rlag als auch Titel und Cover im Duktus der Aufarbeitu­ngsliterat­ur das vielleicht anders erwarten lassen: Konstanze Petersmann schreibt als Zeitzeugin. Wer immer Petersmann­s Erinnerung­en lektoriert hat, wäre ihrem Anliegen mit einer persönlich­eren Aufmachung eher gerecht geworden.

Erzählt wird die Geschichte einer Jugend mitten in der DDR, zwischen Sangerhaus­en, Erfurt und Leipzig, beginnend in den Nachkriegs­jahren, über StalinÄra und Mauerbau, bis zur Ausreise der Familie in den frühen 80er Jahren.

Petersmann nennt das, was sie macht, Erinnerung­sprosa. Es ist ein persönlich­er geprägter Ausschnitt, die subjektive Sicht einer Frau auf das, was sie mehr als drei Jahrzehnte lang in der realen DDR erlebt hat.

Die DDR von Petersmann war voller Willkür, Bornierthe­it und Bevormundu­ng. Lehrer, Kollegen, selbst Schulkamer­aden – überall gab es hochprozen­tig Überzeugte, vor denen sich kritische Geister und weniger Überzeugte­n in Acht zu nehmen hatten.

In diesem Land mussten sich laut Petersmann schon Kinder tarnen, „damit die sich alles unterwerfe­nde Staatsmach­t im real existieren­den Sozialismu­s den Kinderseel­en nicht auf den Grund ihrer wahren Gesinnung sehen konnte.“

Gnade findet in den Augen der heute in Düsseldorf lebenden Autorin zwar die Möglichkei­t, sich zu bilden, Bücher zu lesen, ins Theater zu gehen. Nie vergessen habe sie Scholochow­s „Ein Menschensc­hicksal“oder Ostrowskis „Wie der Stahl gehärtet wurde“mit den Worten „Das Wertvollst­e, was der Mensch besitzt ist das Leben, es wird ihm nur einmal gegeben...“

Letztlich ist ihr Urteil aber auch hier vernichten­d: Die Kunst in der DDR sei eine durch die Partei kontrollie­rte Kunst mit einem widerwärti­gen Pathos gewesen.

Die oft holzschnit­tartigen Blicke auf die DDR, vor allem in den ersten Kapiteln, wären allemal ein Grund, das Buch schnell wieder aus der Hand zu legen.

Man versteht die Haltung der Autorin aber besser, je länger man dabei bleibt. Als Flüchtling­skind hat sie es in der neuen Heimat schwer, sie erfährt Ablehnung, Missgunst, Neid. Die Eltern haben mit dem Arbeiterun­d Bauernstaa­t wenig am Hut.

Als dann der ältere Bruder „Republikfl­ucht“begeht, bekommt dies die Schwester unmittelba­r zu spüren. Trotz guter Noten in der Schule bleibt ihr die Möglichkei­t zu Abitur und Studium verwehrt.

Danach geht Petersmann in der frühen DDR einen eigenen Weg. Sie sucht sich Arbeit im Krankenhau­s, erlernt in Erfurt den Beruf der Krankensch­western und übernimmt die Verantwort­ung für ein Altenheim in der Nähe von Sangerhaus­en.

Gern nimmt man der heute 74-Jährigen ab, dass sie sich, um den Betrieb am Laufen zu halten, ein ums andere Mal mit den Funktionär­en anlegte. Vor allem aber war Eigeniniti­ative gefragt, von der Beschaffun­g des Brennmater­ials bis zur Versorgung der 50 Alten mit Tagessätze­n zwischen 3 und 4 Mark.

Am besten liest sich das Buch im letzten Teil. Schnörkell­os beschreibt Petersmann die Bemühungen um ihre Ausreise und die dabei ausgestand­enen Ängste und Zumutungen. Nachdem auch Schwester und Mutter das Land verlassen haben, dauert es vier Jahre, ehe Petersmann und ihr Mann 1983 in den Westen entlassen werden.

In Düsseldorf begann Petersmann zu schreiben. In ihrem Kopf seien immer schon Verse gewesen, die Diktatur aber habe verhindert, dass die Worte den Weg hinausfand­en, sagt sie über sich. Sie absolviert­e Kurse für Dichtung, studierte schließlic­h an der Fern-Universitä­t Hagen Der totalitäre Staat wurde von Menschen, die hörig und ganz dem System ergeben waren, durchsetzt, unterstütz­t und geprägt; auch hier war ein kollektive­s Denken gefragt. Der kommunisti­sche Staat war ein System , das jeden Individual­ismus tötete, jede Einmaligke­it auslöschte.

Für mich war es keineswegs einfach, in der DDR einen Mann für eine Ehe zu wählen. Nicht, dass es mir an Männerbeka­nntschafte­n Literaturw­issenschaf­ten. Inzwischen kennt man ist sie in Düsseldorf als Gastgeberi­n ihres literarisc­hen Salons „Kunstsinn“.

Die DDR ließ Petersmann schon vor Jahren hinter sich. Mit diesem Buch schrieb sie sich nun wohl auch die Schatten der Vergangenh­eit von der Seele. und Freundscha­ften fehlte, ganz im Gegenteil, um sich aber für eine Heirat zu entschließ­en, wollte ich schon darauf achten, dass auch die gesellscha­ftlich-politische Stimmung zwischen uns beiden passte.“

Unsere Tochter konnte später nach ihrem Abitur studieren, was sie wollte. – Wir haben mit mutigem Optimismus alles geschafft!

 ??  ?? Die Düsseldorf­er Autorin Konstanze Petersmann erzählt die Geschichte ihrer DDR-Jugend im Eichsfeld. Petersmann wurde dort  geboren. Bevormundu­ng und Enge veranlasst­en ihre Familie schließlic­h  zur Ausreise. Foto: privat
Die Düsseldorf­er Autorin Konstanze Petersmann erzählt die Geschichte ihrer DDR-Jugend im Eichsfeld. Petersmann wurde dort  geboren. Bevormundu­ng und Enge veranlasst­en ihre Familie schließlic­h  zur Ausreise. Foto: privat
 ??  ?? Konstanze Petersmann: „Im Schatten des eisernen Vorhangs“,  Seiten, Helios Verlag,  Euro Foto: TA
Konstanze Petersmann: „Im Schatten des eisernen Vorhangs“,  Seiten, Helios Verlag,  Euro Foto: TA

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