Verfassungsschutz enttarnt Spion in den eigenen Reihen
Ein Radikaler schleuste sich in den Geheimdienst ein. Offenbar fiel sein Gedankengut in keiner Sicherheitsprüfung auf
Berlin/Köln. Es muss zwei Jahre her sein, da begann der heute 51 Jahre alte Mann sein altes Leben gegen ein neues zu tauschen. Erst konvertierte der Deutsche zum Islam – nicht in einer Moschee, sondern unauffällig über das Telefon. Er radikalisierte sich heimlich. Nicht einmal seine Frau und die vier Kinder sollen von seinen extremen Gedanken gewusst haben. Niemandem in seinem Umfeld fielen Gebete oder ein radikaler Lebenswandel auf, wie die Sicherheitsbehörden dies von anderen jungen Salafisten kennen – wenn Jugendliche plötzlich dem Alkohol abschwören oder aufhören, Musik zu hören.
Und auch an dem Ort, an dem Ermittler sitzen, die Deutschland vor Extremisten schützen sollen, wussten sie lange nichts: beim Bundesamt für Verfassungsschutz, dem BfV. Im April begann der Mann dort seinen Dienst. Er hatte sich selbst auf eine Ausschreibung des BfV gemeldet und vor Beginn seiner Arbeit dort die höchste Sicherheitsprüfung durchlaufen, die „Ü3“, wie sie im Behördenjargon genannt wird.
Der 51-Jährige wurde befragt, seine Vergangenheit überprüft, der Mann musste Namen nennen von Familienmitgliedern und Freunden. Nach Informationen dieser Zeitung wurden fünf Personen als sogenannte „Referenzen“vom Verfassungsschutz interviewt. In all diesen Befragungen geht es auch um die Psyche eines künftigen Mitarbeiters – darum, ob er etwa Schulden hat, eine kriminelle Vergangenheit oder ob er ein Doppelleben führt. Beim BfV heißt es: Nichts war auffällig. Die „Washington Post“berichtet nun unter Berufung auf Ermittlerkreise, dass der Mann in seiner Vergangenheit in Pornos mitgespielt haben soll. Offiziell war bekannt, dass er bei einer Bank in seiner Heimatregion in Nordrhein-Westfalen gearbeitet und dort eine Leitungsfunktion hatte. Geboren war er in Spanien.
Derzeit suchen die Sicherheitsbehörden zu Hunderten neue Mitarbeiter – die Etats wurden nach den Terrorattacken vor allem des „Islamischen Staates“massiv aufgestockt. Der 51Jährige war bei Observationen eingesetzt. Er beobachtete gewaltbereite Islamisten – und war selbst Islamist.
Und der Spion in den eigenen Reihen könnte womöglich Amtsinterna wie etwa Einsatzorte und Anlässe von Maßnahmen an die Szene weitergegeben haben – bislang ist das allerdings nur ein Verdacht. Auch hätten die Ermittlungen bislang keine Hinweise ergeben, dass eine Anschlagsgefahr bestanden habe.
Dass die Bundesanwaltschaft den Fall noch nicht an sich gezogen hat, spricht dafür, dass konkrete Pläne etwa über ein Attentat bisher nicht bekannt sind. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf ermittelt gegen den Mann dennoch wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und der versuchten Verletzung von Dienstgeheimnissen. Inzwischen soll der Verdächtige ein Teilgeständnis abgelegt haben.
Vor gut zwei Wochen hatte das BfV dann das Landeskriminalamt eingeschaltet. Denn der mutmaßliche Spitzel flog auf, als er mit geheimen Informationen gegenüber einem als Islamisten getarnten anderen Mitarbeiter des Bundesamtes prahlte. Die Geheimdienstler überwachen regelmäßig Chats und Facebook-Einträge von radikalen Islamisten und Salafisten. Bei den Recherchen zu dem kürzlich verhafteten Top-Islamisten Abu Walaa fiel der 51 Jahre alte Mann offenbar auf. Walaa gilt als wichtiger Kontaktmann des „Islamischen Staats“in Deutschland. Ob der Islamist im BfV den Prediger Abu Walaa kannte, ist nicht bekannt.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) zeigte sich erfreut über die Enttarnung des mutmaßlichen Islamisten. Das sei eine „gute Leistung“der Verfassungsschützer gewesen. Auch der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, sagte, die Enttarnung sei einer sorgfältigen Aufklärung zu verdanken.
Vom Regierungspartner SPD kam jedoch Kritik. „Die Sicherheitsbehörden von Verfassungsschutz bis zu Kriminalamt benötigen Sicherheitschecks, die für die raffinierten Strategien von Islamisten gerüstet sind“, sagte Innenexperte Konrad Lischka dieser Redaktion. „Wenn es Islamisten gelingt, in Geheimdienste vorzudringen, dann ist Deutschlands Sicherheit im Kern gefährdet.“
Es ist nicht der erste Verdacht, bei dem Radikale in Sicherheitsbehörden vordringen. Der Militärische Abschirmdienst hatte zuletzt 20 Islamisten in der Bundeswehr enttarnt. 60 Verdachtsfälle würden verfolgt.
Und nun der Islamist im Verfassungsschutz. Die Grünen üben scharfe Kritik an der Behörde. „Mit Blick auf den rechtsterroristischen NSU stellen wir uns schon lange die Frage, ob Nazis direkt in die Sicherheitsbehörden, in den Verfassungsschutz geschleust wurden, um terroristische Zellen zu unterstützen“, sagte die Innenexpertin der Grünen, Irene Mihalic, dieser Redaktion. Der GrünenPolitiker Christian Ströbele sprach im aktuellen Fall von einem „gruseligen Vorgang“.
Andere reagierten gelassener. Fälle wie der mutmaßliche Islamist in den Reihen des Verfassungsschutzes ließen sich nie ganz ausschließen, sagt SPD-Innenpolitiker Uli Grötsch: „Hundertprozentige Sicherheit gibt es nirgendwo, auch nicht in den Sicherheitsbehörden.“Was ihn ärgere, sei der Umgang des BfV mit der Angelegenheit: „Wieder haben wir Parlamentarier erst aus den Medien von dem Vorfall erfahren – obwohl die Sachlage schon mindestens seit zwei Wochen beim Bundesamt bekannt ist“, sagte er.
„Deutschlands Sicherheit ist im Kern gefährdet.“