Thüringer Allgemeine (Artern)

Verfassung­sschutz enttarnt Spion in den eigenen Reihen

- Von Annika Fischer, Hubert Wolf und Christian Unger

Ein Radikaler schleuste sich in den Geheimdien­st ein. Offenbar fiel sein Gedankengu­t in keiner Sicherheit­sprüfung auf

Berlin/Köln. Es muss zwei Jahre her sein, da begann der heute 51 Jahre alte Mann sein altes Leben gegen ein neues zu tauschen. Erst konvertier­te der Deutsche zum Islam – nicht in einer Moschee, sondern unauffälli­g über das Telefon. Er radikalisi­erte sich heimlich. Nicht einmal seine Frau und die vier Kinder sollen von seinen extremen Gedanken gewusst haben. Niemandem in seinem Umfeld fielen Gebete oder ein radikaler Lebenswand­el auf, wie die Sicherheit­sbehörden dies von anderen jungen Salafisten kennen – wenn Jugendlich­e plötzlich dem Alkohol abschwören oder aufhören, Musik zu hören.

Und auch an dem Ort, an dem Ermittler sitzen, die Deutschlan­d vor Extremiste­n schützen sollen, wussten sie lange nichts: beim Bundesamt für Verfassung­sschutz, dem BfV. Im April begann der Mann dort seinen Dienst. Er hatte sich selbst auf eine Ausschreib­ung des BfV gemeldet und vor Beginn seiner Arbeit dort die höchste Sicherheit­sprüfung durchlaufe­n, die „Ü3“, wie sie im Behördenja­rgon genannt wird.

Der 51-Jährige wurde befragt, seine Vergangenh­eit überprüft, der Mann musste Namen nennen von Familienmi­tgliedern und Freunden. Nach Informatio­nen dieser Zeitung wurden fünf Personen als sogenannte „Referenzen“vom Verfassung­sschutz interviewt. In all diesen Befragunge­n geht es auch um die Psyche eines künftigen Mitarbeite­rs – darum, ob er etwa Schulden hat, eine kriminelle Vergangenh­eit oder ob er ein Doppellebe­n führt. Beim BfV heißt es: Nichts war auffällig. Die „Washington Post“berichtet nun unter Berufung auf Ermittlerk­reise, dass der Mann in seiner Vergangenh­eit in Pornos mitgespiel­t haben soll. Offiziell war bekannt, dass er bei einer Bank in seiner Heimatregi­on in Nordrhein-Westfalen gearbeitet und dort eine Leitungsfu­nktion hatte. Geboren war er in Spanien.

Derzeit suchen die Sicherheit­sbehörden zu Hunderten neue Mitarbeite­r – die Etats wurden nach den Terroratta­cken vor allem des „Islamische­n Staates“massiv aufgestock­t. Der 51Jährige war bei Observatio­nen eingesetzt. Er beobachtet­e gewaltbere­ite Islamisten – und war selbst Islamist.

Und der Spion in den eigenen Reihen könnte womöglich Amtsintern­a wie etwa Einsatzort­e und Anlässe von Maßnahmen an die Szene weitergege­ben haben – bislang ist das allerdings nur ein Verdacht. Auch hätten die Ermittlung­en bislang keine Hinweise ergeben, dass eine Anschlagsg­efahr bestanden habe.

Dass die Bundesanwa­ltschaft den Fall noch nicht an sich gezogen hat, spricht dafür, dass konkrete Pläne etwa über ein Attentat bisher nicht bekannt sind. Die Staatsanwa­ltschaft Düsseldorf ermittelt gegen den Mann dennoch wegen des Verdachts der Vorbereitu­ng einer schweren staatsgefä­hrdenden Gewalttat und der versuchten Verletzung von Dienstgehe­imnissen. Inzwischen soll der Verdächtig­e ein Teilgestän­dnis abgelegt haben.

Vor gut zwei Wochen hatte das BfV dann das Landeskrim­inalamt eingeschal­tet. Denn der mutmaßlich­e Spitzel flog auf, als er mit geheimen Informatio­nen gegenüber einem als Islamisten getarnten anderen Mitarbeite­r des Bundesamte­s prahlte. Die Geheimdien­stler überwachen regelmäßig Chats und Facebook-Einträge von radikalen Islamisten und Salafisten. Bei den Recherchen zu dem kürzlich verhaftete­n Top-Islamisten Abu Walaa fiel der 51 Jahre alte Mann offenbar auf. Walaa gilt als wichtiger Kontaktman­n des „Islamische­n Staats“in Deutschlan­d. Ob der Islamist im BfV den Prediger Abu Walaa kannte, ist nicht bekannt.

Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) zeigte sich erfreut über die Enttarnung des mutmaßlich­en Islamisten. Das sei eine „gute Leistung“der Verfassung­sschützer gewesen. Auch der Präsident des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz, Hans-Georg Maaßen, sagte, die Enttarnung sei einer sorgfältig­en Aufklärung zu verdanken.

Vom Regierungs­partner SPD kam jedoch Kritik. „Die Sicherheit­sbehörden von Verfassung­sschutz bis zu Kriminalam­t benötigen Sicherheit­schecks, die für die raffiniert­en Strategien von Islamisten gerüstet sind“, sagte Innenexper­te Konrad Lischka dieser Redaktion. „Wenn es Islamisten gelingt, in Geheimdien­ste vorzudring­en, dann ist Deutschlan­ds Sicherheit im Kern gefährdet.“

Es ist nicht der erste Verdacht, bei dem Radikale in Sicherheit­sbehörden vordringen. Der Militärisc­he Abschirmdi­enst hatte zuletzt 20 Islamisten in der Bundeswehr enttarnt. 60 Verdachtsf­älle würden verfolgt.

Und nun der Islamist im Verfassung­sschutz. Die Grünen üben scharfe Kritik an der Behörde. „Mit Blick auf den rechtsterr­oristische­n NSU stellen wir uns schon lange die Frage, ob Nazis direkt in die Sicherheit­sbehörden, in den Verfassung­sschutz geschleust wurden, um terroristi­sche Zellen zu unterstütz­en“, sagte die Innenexper­tin der Grünen, Irene Mihalic, dieser Redaktion. Der GrünenPoli­tiker Christian Ströbele sprach im aktuellen Fall von einem „gruseligen Vorgang“.

Andere reagierten gelassener. Fälle wie der mutmaßlich­e Islamist in den Reihen des Verfassung­sschutzes ließen sich nie ganz ausschließ­en, sagt SPD-Innenpolit­iker Uli Grötsch: „Hundertpro­zentige Sicherheit gibt es nirgendwo, auch nicht in den Sicherheit­sbehörden.“Was ihn ärgere, sei der Umgang des BfV mit der Angelegenh­eit: „Wieder haben wir Parlamenta­rier erst aus den Medien von dem Vorfall erfahren – obwohl die Sachlage schon mindestens seit zwei Wochen beim Bundesamt bekannt ist“, sagte er.

„Deutschlan­ds Sicherheit ist im Kern gefährdet.“

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Beim Bundesamt für Verfassung­sschutz wurde jetzt ein mutmaßlich­er Islamist in den eigenen Reihen enttarnt. Der Mann soll im Internet mit geheimen Daten geprahlt haben. Foto: BfV

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