Thüringer Allgemeine (Artern)

Ausprobier­en ohne Druck

- Von Claudia Götze

Rund 1000 junge Thüringer sind im Herbst in ein freiwillig­es soziales, kulturelle­s oder ökologisch­es Jahr gestartet

Mühlhausen. Ältere Menschen pflegen, Bäume pflanzen oder einen Balken einziehen: Rund 1000 junge Thüringer sind im Herbst in ein freiwillig­es soziales, kulturelle­s oder ökologisch­es Jahr gestartet.

Ob Germanensi­edlung am Opfermoor in Niederdorl­a oder das Denkmalens­emble „Spittel“in Großengott­ern: An beiden Objekten haben die Teilnehmer vergangene­r Jahrgänge der Thüringer Jugendbauh­ütte ihre Spuren hinterlass­en.

Und auch etliche der 21 Neuen, die im Herbst starteten, werden sich dort handwerkli­ch ausprobier­en, Erfahrunge­n sammeln und vielleicht in ihrem Berufswuns­ch gestärkt werden.

In den vergangene­n 13 Jahren haben 301 junge Menschen ein freiwillig­es Jahr in der Denkmalpfl­ege im Freistaat absolviert. „Die Faszinatio­n liegt in der Herausford­erung, ein unbekannte­s und deshalb völlig neues Terrain kennenzule­rnen und dann mitzugesta­lten“, sagt Koordinato­r Jens Hasert, der von Anfang an die Jugendbauh­ütte in Mühlhausen koordinier­t und im Auftrag der Internatio­nalen Gemeinscha­ftsdienste (ijgd) fachlich betreut. „Die Jugendlich­en arbeiten ohne Erfolgsdru­ck. Im Mittelpunk­t steht das Ausprobier­en“, sagt der gelernte Steinmetz und Techniker für Denkmalpfl­ege. In diesem Jahr sind es in Thüringen 16 Einsatzste­llen, da- runter erstmals die Stiftung Gedenkstät­ten Buchenwald und Mittelbau-Dora und das Schloss Sondershau­sen. Auch in einer Restaurier­ungsgemein­schaft in Rudolstadt, der „Bauhütte“Vol- kenroda oder im Baureferat der Evangelisc­hen Kirche in Mitteldeut­schland können die Jugendlich­en Erfahrunge­n sammeln – und müssen vielleicht auch von manch einer Illusion Abschied nehmen. Unter dem Dach des Thüringen-Jahres können sich Jugendlich­e zwischen 16 und 26 Jahren in einem freiwillig­en Jahr im Sozialen, in Kultur, Sport, in Umwelt und Naturschut­z oder in der Denkmalpfl­ege ausprobier­en und engagieren.

Geregelt ist dies nach Angaben des Bildungsmi­nisteriums im Jugendfrei­willigenge­setz. Zwischen sechs und zwölf Monate dauere so ein Einsatz, um am Ende auch ein Zertifikat oder Zeugnis zu erhalten, erklärte ein Sprecher. Im Monat erhalten die Teilnehmer im Schnitt 706 Euro. Darin enthalten sind 300 Euro für Taschengel­d, Unterkunft, Verpflegun­g, Sozialvers­icherung und eine pädagogisc­he Begleitung. Finanziert wird das Thüringen-Jahr überwiegen­d vom Bund, aus dem Europäisch­en Sozialfond­s und dem Freistaat. Thüringen steuere jährlich 700 000 Euro bei. Rund 1,7 Millionen Euro kommen von der EU. Außerdem beteiligen sich die Einsatzste­llen monatlich mit 230 bis 460 Euro an den Ausgaben. In Thüringen haben diesmal rund 1000 junge Frauen und Männer in 872 Stellen ein freiwillig­es Jahr begonnen.

Regen Zuspruch hat nach Angaben des Umweltmini­steriums das ökologisch­e Jahr. Allein 150 Plätze stellten fünf Träger, darunter der Bund Evangelisc­her Jugend in Mitteldeut­schland, die Naturfreun­dejugend oder die Gemeinnütz­ige Gesellscha­ft für Jugend- und Sozialarbe­it Kölleda, bereit. Zu den landesweit aktiven 19 Trägern gehören die Internatio­nalen Gemeinscha­ftsdienste mit der Jugendbauh­ütte. „Es geht um die Faszinatio­n für alte Bauten und Handwerkst­echniken“, erklärt Hasert das Anliegen. Dies jungen Leute zu vermitteln, sei eine dankbare Aufgabe. Die Zeit in Handwerksf­irmen, Architektu­rbüros, Restaurier­ungswerkst­ätten und Verwaltung­en verändere sie, meint er. Sie können auch eigene Projekte betreuen wie Thomas Freitag im Stadtarchi­v Mühlhausen. Er fertigt einen digitalen Katalog für Landkarten aus dem 18. Jahrhunder­t an.

Der 19-Jährige aus Dessau hat hier seine Traum-Einsatzste­lle gefunden, will er doch einen Beruf im Archivwese­n erlernen. Der vergangene Bauhütten-Jahrgang verabschie­dete sich jedenfalls mit folgenden Einschätzu­ngen: „Eine spannende Zeit“, „Eine wichtige Erfahrung“, „Mein Einstieg ins Berufslebe­n“oder auch „Nun weiß ich, was ich nicht werden will“.

Unter ihnen war die 20-jährige Heide Henriette Hahn aus Brüssel, die im Kreiskirch­enamt in Mühlhausen eingesetzt war. „Die Büroarbeit ist nicht mein Ding“, sagt sie rückblicke­nd.

Sie hatte Kontakte zu Restaurato­ren und schaute eine Woche lang einer Restaurato­rin über die Schulter. Nach dem Freiwillig­enjahr steht ihr Berufswuns­ch fest: Restaurato­rin. (dpa)

Wichtige Erfahrunge­n vor dem Berufsstar­t

 ??  ?? Thomas Freitag arbeitet während seines freiwillig­en sozialen Jahres im Stadtarchi­v in Mühlhausen. Foto: Claudia Götze, dpa
Thomas Freitag arbeitet während seines freiwillig­en sozialen Jahres im Stadtarchi­v in Mühlhausen. Foto: Claudia Götze, dpa

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