Eine Arche Noah für die Zukunft
Warum Naturschützer ein Ende des Holzeinschlags am Possenwald fordern, und das Naturgebiet zu einem Urwald wachsen soll
Die Nabu-Aktivisten Lothar Wandt (links) und Silvester Tamas im Possenwald bei Sondershausen, um dessen Zukunft Forst und Naturschutz sich derzeit einen veritablen Streit liefern. Fotos: Dirk Bernkopf Der reinste Stangenspargel! Silvester Tamas wirft den Kopf in den Nacken. Was er oben sieht, sieht nicht gut aus für den Mann vom Nabu. Keine knorrigen alten Stämme, deren Furchen und Höhlen Unterschlupf für das Große Mausohr oder die Mopsfledermaus bieten könnten. Keine ausladenden Baumkronen, die mächtig genug wären, um einen Horst für den Schwarzstorch zu tragen.
Rank und schlank stehen Buchen, Ahorn, Linden nebeneinander, wie der Forst es mag. Dazwischen Stämme gefällter Bäume, die Spuren der letzten Revierarbeiten. Damit alles schön gerade wächst, muss regelmäßig durchforstet werden, die Bäume dürfen nicht zu eng stehen, aber auch nicht zu weit auseinander. Holz ist ein gefragter Rohstoff, eine Buche zum Beispiel liefert exzellentes Furnierholz, dafür gibt es Höchstpreise auf dem Markt.
Lothar Wandt, ebenfalls Nabu-Aktivist, lässt seinen Kennerblick über den Boden schweifen. Da, die schlanken Blätter gehören zum Weißwurz, die gingkoartigen sind Keimlinge der Rotbuche. Ein paar Schritte weiter schwimmt eine Kolonie Buschwindröschen als grün-weiße Insel auf dem Waldboden, daneben
verströmt Bärlauch seinen appetitlichen Duft. Frühlingsgefühle ausgerechnet in jenem Wald, um dessen Zukunft ein handfester Streit zwischen Naturschutz und Forst entbrannt ist, der inzwischen in der Landespolitik angekommen ist. In dem harte Worte fallen, bis zu Rücktrittsforderungen gegenüber der Umweltministerin Anja Siegesmund, nachdem sie gegen die „Kahlschlags-Lobby“am Possen gewettert hat. Frühlingsduft auf dem Possen also und allem Zoff zum Trotz. Fehlt nur noch Vogelgesang. Den hört man aber nicht. Müsste man aber, bemerkt Lothar Wendt, es ist Paarungszeit. Wenigstens den Specht müsste man hören. Statt dessen heult ein Motor auf, am Stahlseil einer Lademaschine wird gerade ein Baumstamm seiner Verwertung entgegengeschleift.
Sehen sie dort, Lothar Wandt deutet auf eine Schneise zwischen den Bäumen. Eine der Rückegassen, damit die schwere Technik überhaupt durch den Wald kommt. „Harvester“werden die Holzernte-Maschinen genannt, sie fixieren, fällen und
entasten im Akkord, rund um die Uhr im Dreischichtsystem. Umweltaktivist Wandt hat einmal selbst beim Forst gearbeitet, er weiß wie das läuft, wenn „geerntet“wird. Dass dabei auch Rinde und Wurzeln von Nachbarbäumen beschädigt werden, ist Kollateralschaden.
Einige Schritte weiter hat eine schwere Maschine tiefe Rinnen in den Boden gegraben. Silvester Tamas springt in die knietiefe Grube, greift sich eine Handvoll Erde, zieht den Geruch ein. Humusboden. Die Erdschicht, die alles am Leben hält.
Man könne sich vorstellen, was darin passiert, wenn sie tonnenschweres Gerät zusammenpresst. Was darin kreucht und fleucht – Regenwürmer, Milben,
Asseln, ist tot. Das Laub verdichtet, die Humusproduktion wird gestoppt. Über 200 Jahre wird es dauern, bis sich das Stück Boden aus sich heraus regeneriert. Es ist ja nicht so, dass hier Unerhörtes und Skandalöses passiert. Der Wald als idyllisches Refugium, als letzter Rückzugsort der Natur – das ist längst ein Märchen aus uralter Zeit. Der Possenwald ist ein Nutzwald, wie die meisten deutschen Wälder. Er hat zwar ausgewiesene Schutzzonen, der Forst hat Auflagen zu erfüllen. Doch das alles Mindestens fünf Prozent der Wälder in Thüringen sollen dauerhaft der forstwirtschaftlichen Nutzung entzogen und zu Waldwildnisgebieten entwickelt werden. So steht es im Koalitionsvertrag.
Damit sollen Lebensräume für Pflanzen und Tiere geschaffen werden, die in Wirtschaftswäldern dauerhaft keine Chance haben. Von den
reicht nicht, befindet Silvester Tamas, um dieses Stück Natur zu sichern, wie es nötig wäre. Ginge es nach ihm, würde lieber heute als morgen der Forst den letzten Baum im Possenwald fällen. Und der Wald würde wachsen, wie er will. Mit einem natürlichen Sterben und einem natürlichen Erneuern. Ein Wildniswald, ein Urwald.
Wenn man jetzt in den Wald blickt, schaut man auf maximal 80 Jahre. Kein Alter für einen Wald, bemerkt Silvester Tamas. Er ist Spezialist für das seltene Fach der Archäozoologie, er ist gewohnt in großen Zeiträumen zu denken. Seine Vision vom Possenwald sieht etwa so aus: Die ausladenden Kronen alter Buchen bedecken den Waldraum insgesamt 26 200 Hektar, die das betrifft, werden bereits jetzt rund 18 800 Hektar Waldfläche in Thüringen nicht bewirtschaftet. Mit dem Possenwald kämen etwa 2500 Hektar künftiger Urwald hinzu. Im Gespräch sind außerdem das Vessertal und die Region Wartburg-Inselsberg. Unterstützt wird das PossenVorhaben auch von einer Bürgerinitiative. Tonnenschwere Technik hinterlässt auch im Waldboden tiefe Spuren. Die Natur braucht Jahrzehnte, um sich davon zu erholen. Silvester Tamas begutachtet den Stumpf eines jüngst gefällten Baumes.
Holzeinschlag im Dreischichtsystem
80 Jahre – kein Alter für einen Wald
wie ein grünes Gewölbe. In Sumpfgebieten wimmelt es von Lurchen. Eine Wildkatzenmutter findet mit ihren Jungen Schutz in der Höhlung eines abgestorbenen Baumes. In den Löchern und Spalten zwischen der Rinde uralter Buchen und Eichen hausen Fledermäuse und nisten Schwarzspechte. Mit der „Umwandlung einer Produktionshalle in ein Museum“verglich Landesforstchef Volker Gebhardt solche Vorstellungen. Silvester Tamas spricht lieber von einer Arche Noah. Widerstand kommt vor allem aus dem Agrarministerium und der Landesforstanstalt, die das umstrittene Gebiet bewirtschaftet. Mit einem Ende der Nutzung würden etwa 200 Arbeitsplätze verloren gehen, außerdem jährliche Steuereinnahmen in Millionenhöhe, argumentieren die Gegner eines Urwaldes am Possen.
Ein Ort, der Pflanzen und Tieren Lebensraum wäre, die sonst irgendwann verschwinden würden. Oder es schon sind.
Trotzdem. Warum gerade der Possenwald? Der Nabu-Mann holt weit aus. Spricht von den Buchenwäldern, die in Urzeiten unser heutiges Gebiet bedeckten, vom Artenreichtum gerade solcher Laubmischwälder. Davon, wie ein naturbelassener Possenwald zwischen Hainich und Hoher Schrecke ein zusammenhängendes Wildwaldgebiet bilden würde. Große Flächen, die seltene Arten wie Wildkatze und Luchs Lebensräume schaffen könnten. Schwarzstörche oder Uhus brauchen viel Ruhe beim Brüten. Bedingungen, die Splitterflächen, wie der Forst es vorschlägt, nicht bieten.
Wir wollen, sagt er, doch keinen Krieg mit dem Forst. Wir wollen nur fünf Prozent des Waldes in Thüringen. Fünf Prozent! Wenn wir nicht aufhören, den Wald nur ökonomisch zu denken, ist es irgendwann zu spät. Von der Wildnis am Possen werden im Übrigen höchstens unsere Urenkel eine erste Ahnung bekommen. Naturschutz braucht einen langen Atem.
Derweil ist abseits vom heulenden Motor doch noch ein Specht zu hören. Das muss, wie es aussieht, vorerst reichen für diese Stunde.
Lebensraum für Luchs und Uhu