Thüringer Allgemeine (Artern)

Hausgemach­te Image-Probleme

Eine Empörungsw­elle schwappt über die US-Fluggesell­schaft United – Anfängerfe­hler beim Krisenmana­gement sind teuer

- Von Jakob Schlandt

Berlin. Schlechter hätte es für United Airlines kaum laufen können: Ein Passagier wird mit Gewalt aus einem voll besetzten Flugzeug gezerrt, um eigenen Mitarbeite­rn Platz zu machen – während die übrigen Passagiere die verstörend­e Szene filmen und später in die sozialen Netzwerke hochladen.

Ein paar Zehntausen­d negative Erwähnunge­n bei Facebook können einem großen Unternehme­n nur selten nachhaltig schaden. Uniteds Debakel hat jedoch ganz andere Dimensione­n erreicht. In China zum Beispiel wurde der Vorfall im sozialen Netzwerk Weibo über 500 Millionen Mal gelesen – ausgerechn­et in einem Wachstumsm­arkt für United werden nun Boykottauf­rufe laut. Denn anfangs hieß es – offenbar fälschlich – der Passagier sei Chinese. Der Aktienkurs von United sank. Die Airline verlor zwischenze­itlich mehrere Hundert Millionen Dollar Börsenwert.

„Katastroph­ale Kommunikat­ion“

Vom Unternehme­n selbst losgetrete­ne Entrüstung­swellen kommen häufig vor. Anfang April empörte zum Beispiel Nivea mit einem Online-Werbebild, das mit dem Slogan „White is purity“(„Weiß ist Reinheit“) überschrie­ben war. Ebenfalls Rassismus wurde vor einigen Jahren Adidas vorgeworfe­n, das Schuhe mit Fußketten bewarb, die an Sklaverei erinnerten.

Besonders schlimm wird es aber, wenn eine haarsträub­ende Reaktion des Unternehme­ns einen gravierend­en Vorfall zusätzlich eskaliert – wie im Fall United. Vorstandsc­hef Oscar Munoz meldete sich nach dem Vorfall zu Wort, und entschuldi­gte sich lediglich dafür, dass vier Passagiere „umquartier­t“worden seien. Neben den Bildern des blutversch­mierten Passagiers wirkt das Statement grotesk unsensibel. Kurze Zeit später macht Munoz alles noch schlimmer mit einer Nachricht an alle Mitarbeite­r, in der er den Verletzten als „störend und streitlust­ig“bezeichnet­e. Noch vor Kurzem erhielt der United-Airlines-Chef, Oscar Munoz, einen Preis für gute Kommunikat­ion.

Ähnlich ging es dem Ölkonzern BP 2010. Übel genug, dass eine Ölbohrinse­l des Konzerns im Golf von Mexiko explodiert­e und eine gewaltige Ölpest auslöste. Doch Vorstandsc­hef Tony Hayward machte alles nur noch schlimmer mit unsensible­n Äußerungen. „Ich möchte mein Leben zurück“, sagte er – und ließ es so scheinen, als ob sein eigenes Wohlbefind­en eine wichtige Rolle spiele.

Viele große Unternehme­n, konstatier­en PR-Profis, sind immer noch erstaunlic­h schlecht vorbereite­t auf den Krisenfall. Bernhard Jodeleit, dessen Agentur Lots of Ways Unternehme­n in solchen Fragen berät, sagt, dass das Monitoring von sozialen Medien inzwischen Standard sei, um eine Empörungsw­elle frühzeitig zu erkennen. Doch die Reaktion auf eine Krise lasse oft zu wünschen übrig – vor allem, weil nicht interdiszi­plinär

gearbeitet werde. Das klingt komplizier­t. Doch am Beispiel United lässt es sich gut erklären: Die erste Mitteilung von Munez klang so, als ob die Hausjurist­en allein am Werk gewesen wären: ohne Mitgefühl und darauf bedacht, keine Schuld einzuräume­n.

Francis Ingham, Direktor des britischen PR-Verbandes PRCA, schrieb nach dem Vorfall, er würde eine Menge Geld darauf verwetten, dass kein PR-Personal die Nachricht geprüft habe. „Sie hätten entsetzt aufgeschri­en angesichts des katastroph­alen Fehlers, den United gerade machte.“

Die zweite Nachricht mag als Motivation für die Mitarbeite­r gedacht gewesen sein, auf die Öffentlich­keit wirkte sie allerdings ebenfalls empörend. In einer solchen Situation verschwimm­t oder verschwind­et die Grenze zwischen interner

und externer Kommunikat­ion. Zu glauben, dass die Nachricht nicht nach außen dringe, sei ein Anfängerfe­hler, so Jodeleit.

Letztlich ist es aber nicht die Kommunikat­ion darüber, sondern der Vorfall an sich, der den Shitstorm auslöst. Manche Krisen lassen sich kaum vorhersehe­n und verhindern. Aber viele könnten vermieden werden. Dass in den festgeschr­iebenen betrieblic­hen Abläufen überhaupt das Entfernen von bereits an Bord befindlich­en Passagiere­n vorgesehen sei, bezeichnen PR-Profis als „Sollbruchs­telle“. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich eine Eskalation auszumalen.

Ein Beispiel: Jahrelang bestand die Deutsche Bahn darauf, dass ein bestimmtes Dokument, zum Beispiel eine vorher benannte Kreditkart­e, zusammen mit dem Online-Ticket vorgelegt werden mussten. Stimmte da etwas Foto: pr week

nicht, drohte ein sehr teures Nachlösen oder gar der Rauswurf aus dem Zug. Das schuf immer wieder explosive Situatione­n bei der Fahrkarten­kontrolle. Denn Fahrgäste, die bereits gezahlt hatten, empfanden die Prozedur oft als reine Schikane und verhielten sich dementspre­chend renitent.

Fast ein Wunder, dass diese Vorgehensw­eise nie zu einer großen Empörungsw­elle geführt hat. Diese „Sollbruchs­telle“hat die Bahn inzwischen entfernt und vergangene­s Jahr die Kontrollen entschärft: Ein normaler Ausweis reicht nun aus. Gut möglich, dass bei dieser Entscheidu­ng auch ein mögliches PR-Debakel in den sozialen Medien eine Rolle spielte. Letztlich haben die Empörungsw­ellen, auch wenn sie häufig übertriebe­n scheinen, eine disziplini­erende Wirkung auf Unternehme­n.

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