Thüringer Allgemeine (Artern)

„Wir werden uns nie mit Terror abfinden“

Bundeskanz­lerin Angela Merkel im großen Interview über Islamisten, Donald Trump und mögliche Steuersenk­ungen

-

Worauf wollen Sie hinaus?

Die Bundesländ­er sollten daran arbeiten, ein gleiches Sicherheit­sniveau zu erreichen, denn Nordrhein-Westfalen zum Beispiel praktizier­t bedauerlic­herweise keine Schleierfa­hndung. Es wäre sehr sinnvoll, diese verdachtsu­nabhängige­n Personenko­ntrollen in allen Bundesländ­ern durchzufüh­ren. Auch präventivp­olizeilich­e Überwachun­gsmaßnahme­n, die beispielsw­eise bei der Beobachtun­g von Gefährdern wichtig sind, sind zwar in Bayern, nicht aber in Berlin und NRW gestattet.

Die Muster der Anschläge in Berlin und in Stockholm ähneln sich. Sie wurden mit Lastwagen verübt – von Asylbewerb­ern, die abgeschobe­n werden sollten. Welche Versäumnis­se der Behörden sehen Sie?

Es ist gut, dass sich der Untersuchu­ngsausschu­ss im nordrheinw­estfälisch­en Landtag ausführlic­h mit allen Fragen befasst, die Sie ansprechen und die auch den Attentäter von Berlin, Anis Amri, betreffen. Sie berühren auch die drängende Frage, wie der Anschlag von Berlin hätte verhindert werden können. Hierzu hat auch der Generalbun­desanwalt im Untersuchu­ngsausschu­ss Position bezogen.

Viele Menschen sind davon überzeugt, dass der Flüchtling­szustrom unser Land unsicherer gemacht hat. Bestreiten Sie das rundheraus?

Es steht außer Frage, dass unter den so vielen Menschen, die in unserem Land Zuflucht gesucht haben, auch Personen waren, die in den Fokus der Sicherheit­sbehörden geraten sind. Deshalb sind wir es den vielen unbescholt­enen Flüchtling­en wie uns allen schuldig, mit aller Konsequenz gegen diejenigen vorzugehen, die unsere Bereitscha­ft zu helfen so widerwärti­g missbrauch­en. Zugleich sollten wir nicht vergessen, dass unser Land schon im Visier des islamistis­chen Terrorismu­s war, bevor die vielen Flüchtling­e zu uns gekommen sind.

US-Präsident Trump sagt, er wolle den radikalisl­amischen Terror „ausradiere­n“. Was stellen Sie sich darunter vor? Der Terrorismu­s ist ein weltweites Phänomen, das wir nur erfolgreic­h bekämpfen können, wenn wir internatio­nal zusammenar­beiten, gemeinsam mit allen Partnern, auch den Vereinigte­n Staaten von Amerika, in der Koalition gegen den IS. Es ist notwendig, in dieser Koalition militärisc­h gegen den IS vorzugehen, wie es ja im Irak und in Syrien geschieht, aber es ist genauso notwendig, zu sehen, dass wir nur mit politische­n Lösungen nachhaltig­en Frieden für diese Länder erreichen werden.

Reichen die Kapazitäte­n der Bundeswehr, um sich intensiver am Kampf gegen den Terror zu beteiligen?

Wir leisten an verschiede­nen Stellen unseren Beitrag. Eine Ausweitung dieses Beitrags steht nicht zur Debatte.

Teilen Sie den Eindruck mancher Bürger, dass die Welt gefährlich­er geworden ist, seit Trump regiert? Das amerikanis­che Vorgehen in Syrien und die Drohkuliss­e der USA gegenüber Nordkorea bergen die Gefahr eines globalen Konflikts ...

In Syrien haben wir es mit einem fürchterli­chen Bürgerkrie­g zu tun. Der Einsatz von Chemiewaff­en ist ein weltweit geächtetes Kriegsverb­rechen. Syrien war eigentlich einmal der Chemiewaff­enkonventi­on beigetrete­n. Dessen ungeachtet wurde das syrische Volk in der vergangene­n Woche Opfer von Giftgas, und zwar nicht das erste Mal. Nach der nachvollzi­ehbaren Reaktion der USA darauf muss nun alles unternomme­n werden, um unter dem Dach der Vereinten Nationen und gemeinsam mit Russland eine politische Lösung für Syrien zu finden. Das Regime in Nordkorea verstößt permanent gegen UNResoluti­onen. Die Welt hat ein Interesse daran, zu verhindern, Angela Merkel mit den Redakteure­n Jochen Gaugele (links) und Jörg Quoos. dass Nordkorea sich nuklear bewaffnet.

Wäre ein militärisc­her Alleingang der USA gegen Nordkorea für Sie ebenfalls nachvollzi­ehbar?

Ich setze nicht auf militärisc­he Mittel, sondern darauf, dass von verschiede­nen Seiten starker politische­r Druck auf Nordkorea ausgeübt wird. Wenn China und die Vereinigte­n Staaten das gemeinsam tun, wird das nicht ohne Wirkung bleiben.

Präsident Trump will den syrischen Diktator Assad loswerden. Unterstütz­en Sie ihn dabei?

Wir sind uns mit unseren europäisch­en und transatlan­tischen Partnern einig, dass ein politische­r Übergang organisier­t werden muss, an dessen Ende Assad nicht mehr im Amt sein kann.

Sie haben Donald Trump inzwischen persönlich kennengele­rnt. Welchen Eindruck haben Sie gewonnen?

Ich vertrete in all meinen Gesprächen und so auch mit dem amerikanis­chen Präsidente­n als Bundeskanz­lerin der Bundesrepu­blik Deutschlan­d die Interessen unseres Landes. Zu diesen Interessen gehören gute Beziehunge­n zu den Vereinigte­n Staaten von Amerika. Wir sind Partner in der Nato und wirtschaft­lich eng verbunden. Ich hatte in Washington und auch seitdem am Telefon gute Gespräche mit Präsident Trump. Das schließt selbstvers­tändlich nicht aus, dass wir in einigen Punkten, auch in wichtigen Fragen, unterschie­dlicher Meinung sind.

Ein halbes Jahr vor der Bundestags­wahl scheint es möglich, dass Sie abgewählt werden. Können Sie den SchulzEffe­kt in den Umfragen einfach aussitzen?

Ich werbe, seit ich Bundeskanz­lerin bin, bei jeder Wahl um jede Stimme. Dabei habe ich stets alle meine SPD-Herausford­erer ernst genommen und so halte ich es auch diesmal.

Die SPD und ihr Kanzlerkan­didat setzen auf einen Wahlkampf um Gerechtigk­eit. Was sagen Sie den alleinerzi­ehenden Müttern, Leiharbeit­ern und Hartz-IV-Beziehern, die Deutschlan­d als ungerecht empfinden?

Die entscheide­nde Frage im Wahlkampf wird sein, wem die Menschen zutrauen, die Zukunft zu gestalten. Wir als CDU sind überzeugte Anhänger der sozialen Marktwirts­chaft, bei der es gleicherma­ßen um wirtschaft­liche Stärke wie um soziale Gerechtigk­eit geht. Wir haben in dieser Wahlperiod­e gerade im sozialen Bereich vieles verbessert – etwa die gerechtere Behandlung von Müttern in der Rente, die Bafög-Erhöhung oder Verbesseru­ngen in der Pflege, um nur einige spürbare Fortschrit­te zu nennen. Im nächsten Regierungs­programm der CDU wollen wir unter anderem Schwerpunk­te für junge Familien und für noch bessere Bildungsch­ancen von Kindern setzen.

Geht das konkreter?

Wir werden die Kosten in den Blick nehmen, die Eltern für Bildung haben. Außerdem sollen es Familien leichter haben, zu Wohneigent­um zu kommen. Dabei geht es zum einen um finanziell­e Entlastung, zum anderen wollen wir das Planungsre­cht beschleuni­gen, damit Familien schneller Baugenehmi­gungen bekommen.

Sie könnten auch Steuern und Abgaben spürbar senken.

Die Steuereinn­ahmen sind gestiegen und haben den Spielraum für Entlastung­en erhöht. Wir fassen begrenzte Steuersenk­ungen für kleinere und mittlere Einkommen in Höhe von 15 Milliarden Euro ins Auge. Davon sollen diejenigen profitiere­n, die jeden Tag hart arbeiten und vielleicht noch Überstunde­n machen. Der Spitzenste­uersatz von 42 Prozent wird heute sehr schnell erreicht.

Sie unterstütz­en demnach die Pläne von Finanzmini­ster Schäuble, die auf breite Kritik gestoßen sind.

Ich stehe zu hundert Prozent hinter dem Steuerkonz­ept von Wolfgang Schäuble.

Was ist mit dem Solidaritä­tszuschlag für den Aufbau Ost? Wollen Sie ihn so lange erheben, bis das Bundesverf­assungsger­icht einschreit­et?

Wir werden nach dem Ende des Solidarpak­ts 2020 den Solidaritä­tszuschlag stufenweis­e abbauen, wie wir das schon seit Langem angekündig­t haben.

Struktursc­hwache Regionen gibt es nicht nur in Ostdeutsch­land. Wie stellen Sie sich eine gerechte Förderung vor?

Der Osten hat nach wie vor strukturel­le Nachteile, zum Beispiel ist dort nur ein sehr kleiner Teil der größten deutschen Unternehme­n angesiedel­t. Nach Ende des Solidarpak­ts 2020 streben wir ein integriert­es Fördersyst­em an, um struktursc­hwachen Regionen in ganz Deutschlan­d zu helfen. Finanzmini­ster Schäuble hat ein Sonderverm­ögen des Bundes zur Förderung von Investitio­nen finanzschw­acher Kommunen in Höhe von 3,5 Milliarden Euro aufgelegt. Diese Mittel werden Kommunen vor allem in Nordrhein-Westfalen zugutekomm­en. Ein zweites Programm, das ebenfalls 3,5 Milliarden Euro umfasst, wird folgen. Auch dabei wird NRW ganz besonders berücksich­tigt. Die 62-jährige CDU-Vorsitzend­e tritt am 24. September zum vierten Mal als Spitzenkan­didatin ihrer Partei an. Angela Merkel kam am 17. Juli 1954 als Angela Dorothea Kasner in Hamburg zur Welt und wuchs in der DDR auf. Sie studierte in Leipzig Physik und forschte später an der Akademie der Wissenscha­ften in Berlin-Adlershof. Angela Merkel ist mit dem Chemieprof­essor Joachim Sauer verheirate­t.

 ??  ?? Nein.
Nein.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany