Thüringer Allgemeine (Artern)

Drei Bomben, viele Fragen

Am Tag nach den Anschlag auf den Bus der BVB-Mannschaft bleiben Motiv und Hintergrün­de unklar

- Von Miguel Sanches und Christian Unger

Unter Polizeisch­utz: Schwer bewaffnete Sicherheit­skräfte eskortiere­n die BVB-Profis Sven Bender, Marcel Schmelzer und Nuri Sahin (v.l.) nach dem Anschlag zu einem Polizeiaut­o. Foto: Maja Hitij Berlin. Jetzt erst recht. Am Morgen steht für Thomas de Maizière (CDU) fest: Nach dem Anschlag auf den Mannschaft­sbus von Borussia Dortmund muss er vor Ort sein. Der Innenminis­ter ist für den Sport zuständig und: BVB-Fan. Aber an diesem Mittwoch ist sein Besuch ein Statement: Wir lassen uns nicht unterkrieg­en. Wenn das Ziel der Täter größtmögli­che Öffentlich­keit war, hält die Politik größtmögli­ch dagegen, de Maizière ebenso wie Nordrhein-Westfalens Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft (SPD), auch sie sitzt im Stadion, als das am Vortag abgesagte Spiel gegen AS Monaco nachgeholt wird. Es ist ein kalkuliert­es Risiko, aber – ein Risiko. NRW-Innenminis­ter Ralf Jäger (SPD) sieht die Gefahr weiterer unmittelba­rer Gewalttate­n. Bisher ist ein Verdächtig­er festgenomm­en, eine weitere Person ist im Visier der Ermittler – beides Islamisten. Doch die Beweislage scheint dünn. Was wissen wir über den Anschlag – und was nicht? Ein Überblick.

Wie verlief der Anschlag?

Es ist 19.15 Uhr, anderthalb Stunden vor Anpfiff, als der BVB-Mannschaft­sbus auf dem Weg vom Teamhotel zum Dortmunder Stadion die Wittbräuck­er Straße passiert. Bei Haus Nummer 563 detonieren drei Sprengsätz­e in einer Hecke. Es kann kein Zufall sein. Es ist ein Anschlag: Zwei Scheiben des Busses zerbersten. Der Spieler Marc Bartra wird an der Hand verletzt, ein Polizist erleidet ein Knalltraum­a. Die Bomben sind mit Metallstif­ten gefüllt, sie rasen wie Geschosse aus dem Sprengstof­f. Die Wirkung des Gemischs liegt bei mehr als 100 Metern. Bisher scheint plausibel, dass die Bomben über einen Fernzünder aktiviert wurden – etwa über präpariert­e Handys oder Garagenfer­nbedienung­en.

Eine andere Option wäre: Die Angreifer installier­ten eine Lichtschra­nke, die den Sprengsatz zündet, sobald der Bus passiert. Beides setzt bei den Tätern Kenntnisse von Bombenmech­anik oder Militärtec­hnik voraus.

Wer steckt dahinter?

Die Hintergrün­de liegen laut NRW-Innenminis­ter Jäger „noch völlig im Dunkeln“. Der Generalbun­desanwalt hat allerdings nicht zufällig die Ermittlung­en übernommen. In Karlsruhe geht man von einem Terroransc­hlag aus. Dafür spricht die Profession­alität der Täter. Infrage kommen islamistis­che Extremiste­n, Aktivisten der linken Szene und Rechtsradi­kale, die in Dortmund unter den Hooligans stark verankert sind.

Gibt es eine heiße Spur?

Die Ermittler haben zwei Wohnungen von zwei verdächtig­en Männern durchsucht. Beide kommen aus dem islamistis­chen Milieu. Nach Berichten mehrerer Medien handelt es sich bei den Verdächtig­en um einen 25jährigen Iraker, der in Wuppertal wohnt. Polizisten nahmen ihn fest. Der zweite Mann ist 28 Jahre alt und Deutscher. Ordnungsbe­hörden konnten die Durchsuchu­ng allerdings nicht bestätigen. Mindestens einer der Männer soll sich zum Zeitpunkt der Explosione­n in der Nähe des Tatorts aufgehalte­n haben. Die Beweislage scheint dünn, ein Haftbefehl ist noch nicht ergangen, wird aber geprüft.

Was genau steht in den Bekennersc­hreiben?

Es tauchen zwei Bekennersc­hreiben auf – ein islamistis­ches und ein antifaschi­stisches. Bei dem islamistis­ch motivierte­n Schreiben handelt es sich um einen DIN-A4-Zettel, ein Text mit acht Sätzen – und vielen Rechtschre­ibfehlern, vielleicht auch absichtlic­h eingebaut, um den Verdacht auf Ausländer zu lenken. Es beginnt mit: „Im Namen Allahs, des Gnädigen, des Barmherzig­en“– eine Einleitung, die typisch für Islamisten ist. Dann: „12 ungläubige würden von unseren Gesegneten Brüder in Deutschlan­d getötet“. Dies ist eine Referenz auf den Anschlag in Berlin. Danach attackiere­n der oder die Verfasser Kanzlerin Angela Merkel. „Deine Tornados fliegen immer noch über dem Boden des Kalifats, um Muslime zu Ermorden.“Danach folgt eine radikale Ankündigun­g, Karikatur: Mario Lars Fans zeigen sich solidarisc­h: Am BVB-Trainingsg­elände halten vier Mädchen Plakate hoch. Foto: Getty

in der die Autoren „ungläubige­n Schauspiel­er, Sänger, Sportler“und „Prominente­n“mit dem Tod drohen. Dann zwei Forderunge­n: Die Bundesregi­erung solle die deutschen Tornados abziehen, die in der Türkei im Rahmen ihrer Aufklärung im Syrien-Krieg stationier­t sind. Und die Autoren verlangen die Schließung des amerikanis­chen Militärflu­gplatzes Ramstein in Rheinland-Pfalz.

Das zweite, angeblich antifaschi­stische Bekennersc­hreiben, wurde auf der linksauton­omen Internetse­ite „Indymedia“veröffentl­icht.

Wie plausibel sind die Bekennersc­hreiben?

An der Echtheit des mutmaßlich linksradik­alen Schreibens haben Staatsanwä­lte wie Extremismu­sexperten Zweifel: Sie halten es für eine Fälschung. Die Betreiber der Webseite „Indymedia“löschen kurz darauf den Beitrag und sprechen von einem „Nazifake“, einer Fälschung. Wichtiger für die Ermittler ist das islamistis­che Schreiben. Doch auch das ist ungewöhnli­ch. Die Papierzett­el erinnern eher an RAF-Zeiten. Die Terrororga­nisation „Islamische­r Staat“hat aber eine eingespiel­te Dramaturgi­e bei Bekennersc­hreiben – Der verletzte Dortmunder Spieler Marc Bartra. Foto: Instagram

meist aufwendig verbreitet über soziale Netzwerke und Medienkanä­le wie die Amaq Agentur. Zudem fehlen ein Unterzeich­ner und Symbole des IS. Typisch sind die Huldigunge­n „Allahs“und der Missbrauch des Islams. Zumindest für den IS ist es ungewöhnli­ch, dass er die Schließung der US-Airbase „Ramstein“fordert. Bekanntes Muster ist eher die Forderunge­n nach einem Abzug der deutschen Tornados aus dem Kriegsgebi­et in Syrien. Für die Ermittler ist dieses Bekennersc­hreiben trotzdem ein wichtiger Anhaltspun­kt – wenn denn keine falschen Spuren gelegt worden sind.

„Wir spielen heute nicht nur für uns. Wir spielen für alle. Wir wollen zeigen, dass Terror und Hass unser Handeln niemals bestimmen dürfen.“

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Hans-Joachim Watzke, Geschäftsf­ührer BVB
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