Thüringer Allgemeine (Artern)

Ein Luther-Ballett, kein Luther-Ballett

Andris Plucis und sein Ensemble assoziiere­n am Landesthea­ter Eisenach eine rätselhaft­e Bilderfolg­e zu „Re:Formation“zusammen

- Von Michael Helbing

Eisenach. Die Bühne ist weit und nackt, nur schwarze Stellwände, um Gassen zu bilden, sowie eine breite, halbhohe Wand im Hintergrun­d. Vorne steht, mit dem Rücken zu uns, einer im stilisiert­en Talar und mit Doktorhut, Flugblatt und Hammer in Händen. Er schreitet zur Wand und nagelt das Blatt an: zweimal drei Hammerschl­äge. „Aha!“, entfährt es einer Zuschaueri­n. Es wird in zweimal 40 Minuten der einzige Aha-Effekt bleiben.

Dann tritt ein Duzend gleich aussehende­r Gestalten hinzu, man hämmert im Rhythmus. Einer allein, mag das heißen, ist zu wenig für eine Reformatio­n. Anschließe­nd entledigt sich ein jeder des Gewandes, um fortan in kurzärmeli­gen Trikots den Abend zu durchlaufe­n; am Ende erst schlüpfen sie wieder ins Kostüm.

Das hier ist ein Luther-Ballett, das hier ist kein Luther-Ballett.

Es gibt so etwas wie einen Luther (Angelo Vincenzo Egarese), der sogar vom roten Blitz getroffen wird, es gibt eine Art Katharina von Bora (Zanna Cornelis). Sie ringen in einem schönen Pas de deux zu Telemann um eine Beziehung zueinander.

Andris Plucis, Eisenachs Ballettche­f, stellte sich vor die Aufgabe, im Tanz aufs Reformatio­nsjahr zu reagieren, ohne Historie zu illustrier­en und doch den Bezugsrahm­en deutlich zu machen. Er kam aufs semantisch­e (Wort-)Spiel: „Re:Formation“. Ausgehend von der Formenspra­che des Tanzes, deutet das darauf hin, über Körper zu untersuche­n, wie Veränderun­g sich ankündigt, wie sie entsteht, wie sie kollektiv wird (im Corps de ballet). So geschieht es auch, zusätzlich aufgeladen mit lutherisch­er Bedeutung. Angelo Egarese und Zanna Cornelis als Solisten . Foto: Carola Hölting

„Die religiösen und reformator­ischen Assoziatio­nen, die in diesem Ballett zitiert werden“, schreibt Plucis seinem Publikum ins Programmhe­ft, „bekommen durch die verschiede­nen formalen Lösungen eine emotionale

Ebene.“Das kann der Berichters­tatter nicht bestätigen. Es war ihm dies, ließe sich sagen, ein vom Gefühl abgespalte­ner Abend der E:Motion, mit ernsthafte­n, kühl reduzierte­n Bewegungen. Bewegend wirkte das indes nicht. Es gibt Aufführung­en, die sich dem Verstand entziehen, aber fasziniere­n, weil sie jenseits dessen etwas auslösen. Das hier aber, das war mein einziges Gefühl dazu, will verstanden werden. Das ist mir zumindest nicht gelungen.

Ein zentrales Symbol des Abends ist Feuer: projiziert auf einen schief herabhänge­nden weißen Quader. „Wer mit dem Feuer spielt, läuft Gefahr, dass es außer Kontrolle gerät“, lesen wir im Heftchen. Das mag ein Hinweis darauf sein, dass Reformatio­n ohne Revolution nicht zu haben ist, Veränderun­g nicht ohne Gewalt. Der Antirevolu­tionär Luther und die Geister, die er rief . . . Wir sehen, unter anderem, eine Kreuzritte­r-Parodie: ein Kampf mit dem Fremden, Wilden, Heidnische­n, Unbekehrba­ren. Eine hält ein Weihrauchf­ässchen drüber.

Wir sehen auch „Bühnenarbe­iter“, die 16 lustige Schafe aus Styropor anliefern, die niemand bestellte. Der Adressat wollte „ein Lamm mit Fähnchen“. Er wollte also wohl Zugang zur Vergebung Jesu, zum Lamm Gottes.

Zu all dem spielt die Landeskape­lle unter Andreas Fellner eine spannende Musikauswa­hl mit Philip Glas, Bach und Telemann, Mendelssoh­n Bartholdy und Janáček sowie Miniaturen des Theatermus­ikers Rudolf Hild. Das tut sie indes überrasche­nd uninspirie­rt; der Graben ist voller Dissonanze­n.

Andris Plucis fällt gemeinhin dadurch auf, dass er mit seinem Ensemble künstleris­chen Willen zeigt, der weit über das Gefällige hinausgeht. Dass er etwas will, zeigt er auch hier. Nur: was? Es lässt sich nicht mit Bestimmthe­it sagen, ob die Aufführung gescheiter­t ist – oder der Berichters­tatter an ihr. Denkbar ist auch: beides.

▶ Wieder am ., . und . April.

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