Ein Luther-Ballett, kein Luther-Ballett
Andris Plucis und sein Ensemble assoziieren am Landestheater Eisenach eine rätselhafte Bilderfolge zu „Re:Formation“zusammen
Eisenach. Die Bühne ist weit und nackt, nur schwarze Stellwände, um Gassen zu bilden, sowie eine breite, halbhohe Wand im Hintergrund. Vorne steht, mit dem Rücken zu uns, einer im stilisierten Talar und mit Doktorhut, Flugblatt und Hammer in Händen. Er schreitet zur Wand und nagelt das Blatt an: zweimal drei Hammerschläge. „Aha!“, entfährt es einer Zuschauerin. Es wird in zweimal 40 Minuten der einzige Aha-Effekt bleiben.
Dann tritt ein Duzend gleich aussehender Gestalten hinzu, man hämmert im Rhythmus. Einer allein, mag das heißen, ist zu wenig für eine Reformation. Anschließend entledigt sich ein jeder des Gewandes, um fortan in kurzärmeligen Trikots den Abend zu durchlaufen; am Ende erst schlüpfen sie wieder ins Kostüm.
Das hier ist ein Luther-Ballett, das hier ist kein Luther-Ballett.
Es gibt so etwas wie einen Luther (Angelo Vincenzo Egarese), der sogar vom roten Blitz getroffen wird, es gibt eine Art Katharina von Bora (Zanna Cornelis). Sie ringen in einem schönen Pas de deux zu Telemann um eine Beziehung zueinander.
Andris Plucis, Eisenachs Ballettchef, stellte sich vor die Aufgabe, im Tanz aufs Reformationsjahr zu reagieren, ohne Historie zu illustrieren und doch den Bezugsrahmen deutlich zu machen. Er kam aufs semantische (Wort-)Spiel: „Re:Formation“. Ausgehend von der Formensprache des Tanzes, deutet das darauf hin, über Körper zu untersuchen, wie Veränderung sich ankündigt, wie sie entsteht, wie sie kollektiv wird (im Corps de ballet). So geschieht es auch, zusätzlich aufgeladen mit lutherischer Bedeutung. Angelo Egarese und Zanna Cornelis als Solisten . Foto: Carola Hölting
„Die religiösen und reformatorischen Assoziationen, die in diesem Ballett zitiert werden“, schreibt Plucis seinem Publikum ins Programmheft, „bekommen durch die verschiedenen formalen Lösungen eine emotionale
Ebene.“Das kann der Berichterstatter nicht bestätigen. Es war ihm dies, ließe sich sagen, ein vom Gefühl abgespaltener Abend der E:Motion, mit ernsthaften, kühl reduzierten Bewegungen. Bewegend wirkte das indes nicht. Es gibt Aufführungen, die sich dem Verstand entziehen, aber faszinieren, weil sie jenseits dessen etwas auslösen. Das hier aber, das war mein einziges Gefühl dazu, will verstanden werden. Das ist mir zumindest nicht gelungen.
Ein zentrales Symbol des Abends ist Feuer: projiziert auf einen schief herabhängenden weißen Quader. „Wer mit dem Feuer spielt, läuft Gefahr, dass es außer Kontrolle gerät“, lesen wir im Heftchen. Das mag ein Hinweis darauf sein, dass Reformation ohne Revolution nicht zu haben ist, Veränderung nicht ohne Gewalt. Der Antirevolutionär Luther und die Geister, die er rief . . . Wir sehen, unter anderem, eine Kreuzritter-Parodie: ein Kampf mit dem Fremden, Wilden, Heidnischen, Unbekehrbaren. Eine hält ein Weihrauchfässchen drüber.
Wir sehen auch „Bühnenarbeiter“, die 16 lustige Schafe aus Styropor anliefern, die niemand bestellte. Der Adressat wollte „ein Lamm mit Fähnchen“. Er wollte also wohl Zugang zur Vergebung Jesu, zum Lamm Gottes.
Zu all dem spielt die Landeskapelle unter Andreas Fellner eine spannende Musikauswahl mit Philip Glas, Bach und Telemann, Mendelssohn Bartholdy und Janáček sowie Miniaturen des Theatermusikers Rudolf Hild. Das tut sie indes überraschend uninspiriert; der Graben ist voller Dissonanzen.
Andris Plucis fällt gemeinhin dadurch auf, dass er mit seinem Ensemble künstlerischen Willen zeigt, der weit über das Gefällige hinausgeht. Dass er etwas will, zeigt er auch hier. Nur: was? Es lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob die Aufführung gescheitert ist – oder der Berichterstatter an ihr. Denkbar ist auch: beides.
▶ Wieder am ., . und . April.