Thüringer Allgemeine (Artern)

Das Tanzverbot ist keine (Er-)Lösung

- Michael Helbing denkt über Karfreitag und das geltende Feiertagsg­esetz nach

Mit einem Bier in Händen standen wir vor ihrem Sarg und prosteten ihr zu, durch die Scheibe hindurch, die uns trennte in der Eisenacher Trauerhall­e. Im Hintergrun­d lief Musik. Über allem lag eine Melancholi­e, Tränen flossen – und doch war da auch eine fröhliche Gruppe beisammen.

Sie hätte es nicht nur so gewollt, sie hat es ganz genau so gewollt und bestimmt. Eine Frau meines Alters, vom Krebs lange gequält, aber lebensfroh bis zuletzt, war erlöst worden und wünschte, die ihren würden für sie das Leben feiern.

Sie war übrigens Katholikin.

In die christlich geprägte Kultur, der das nicht eigen war, ist längst vorgedrung­en, dass der Tod gewiss zum Leben gehört, aber auch das Leben zum Tod.

Trauer und Freude liegen beieinande­r. Und beide brauchen sie ihren Raum.

Hätte also Gottes Sohn gewollt, dass wir nicht tanzen an jenem Tag, an dem sich jährt, dass er starb am Kreuz, um, wie es heißt, uns zu erlösen? Wenn er uns erlöste, wäre das, neben einiger Traurigkei­t, doch selbst für einen Christenme­nschen ein Grund auch zu aktiver Freude – und nicht erst der Umstand der Auferstehu­ng am dritten Tage.

Doch morgen ist nur Stille. So steht’s, der Trennung von Staat und Kirche zum Trotz, in Feiertagsg­esetzen, auch im thüringisc­hen. Sie verbieten „musikalisc­he und sonstige unterhalte­nde Darbietung­en jeder Art in Gaststätte­n und in Nebenräume­n mit Schankbetr­ieb“.

Dazu meldet die Nachrichte­nagentur dpa aus Thüringen: „Kommunen sehen kaum Probleme mit Tanzverbot am Karfreitag.“Was heißt, alle halten sich daran. Es drohte andernfall­s ein Bußgeld.

Dass eine Tanzverans­taltung in geschlosse­nen Räumen die Feiertagsr­uhe in der Regel nicht stört, findet der Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Städteund Gemeindebu­ndes. Feiertagsg­esetze bräuchten eine „größere Anpassung an die gesellscha­ftliche Realität“, hat er der Neuen Osnabrücke­r Zeitung gesagt.

Zu dieser Realität gehört, dass die wenigsten innehalten, wenn morgen um 15 Uhr die Glocken läuten. Im Zweifelsfa­ll werden viele gar nicht wissen, dass dann die Todesstund­e Jesu schlägt. Und wenn doch, interessie­rt es sie nicht so sehr.

„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“, rief Jesus laut Neuem Testament, kurz bevor er den Geist aushauchte. Heute sieht sich Gott verlassen.

Immer mehr Ausnahmen vom Tanzverbot am Karfreitag erwartet auch deshalb der Jurist Fabian Wittreck von der Universitä­t Münster, an der er mit 200 Wissenscha­ftlern zu „Religion und Politik“forscht. „Je mehr die religiöse Vielfalt in der Gesellscha­ft wächst, umso stärker wird das Bedürfnis nach Ausnahmege­nehmigunge­n – genauso steigt die Bereitscha­ft, sie zu erteilen.“

Das Bedürfnis nach erhabener Stille in einer lauten Welt wird ebenso bleiben.

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