Das Tanzverbot ist keine (Er-)Lösung
Mit einem Bier in Händen standen wir vor ihrem Sarg und prosteten ihr zu, durch die Scheibe hindurch, die uns trennte in der Eisenacher Trauerhalle. Im Hintergrund lief Musik. Über allem lag eine Melancholie, Tränen flossen – und doch war da auch eine fröhliche Gruppe beisammen.
Sie hätte es nicht nur so gewollt, sie hat es ganz genau so gewollt und bestimmt. Eine Frau meines Alters, vom Krebs lange gequält, aber lebensfroh bis zuletzt, war erlöst worden und wünschte, die ihren würden für sie das Leben feiern.
Sie war übrigens Katholikin.
In die christlich geprägte Kultur, der das nicht eigen war, ist längst vorgedrungen, dass der Tod gewiss zum Leben gehört, aber auch das Leben zum Tod.
Trauer und Freude liegen beieinander. Und beide brauchen sie ihren Raum.
Hätte also Gottes Sohn gewollt, dass wir nicht tanzen an jenem Tag, an dem sich jährt, dass er starb am Kreuz, um, wie es heißt, uns zu erlösen? Wenn er uns erlöste, wäre das, neben einiger Traurigkeit, doch selbst für einen Christenmenschen ein Grund auch zu aktiver Freude – und nicht erst der Umstand der Auferstehung am dritten Tage.
Doch morgen ist nur Stille. So steht’s, der Trennung von Staat und Kirche zum Trotz, in Feiertagsgesetzen, auch im thüringischen. Sie verbieten „musikalische und sonstige unterhaltende Darbietungen jeder Art in Gaststätten und in Nebenräumen mit Schankbetrieb“.
Dazu meldet die Nachrichtenagentur dpa aus Thüringen: „Kommunen sehen kaum Probleme mit Tanzverbot am Karfreitag.“Was heißt, alle halten sich daran. Es drohte andernfalls ein Bußgeld.
Dass eine Tanzveranstaltung in geschlossenen Räumen die Feiertagsruhe in der Regel nicht stört, findet der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städteund Gemeindebundes. Feiertagsgesetze bräuchten eine „größere Anpassung an die gesellschaftliche Realität“, hat er der Neuen Osnabrücker Zeitung gesagt.
Zu dieser Realität gehört, dass die wenigsten innehalten, wenn morgen um 15 Uhr die Glocken läuten. Im Zweifelsfall werden viele gar nicht wissen, dass dann die Todesstunde Jesu schlägt. Und wenn doch, interessiert es sie nicht so sehr.
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“, rief Jesus laut Neuem Testament, kurz bevor er den Geist aushauchte. Heute sieht sich Gott verlassen.
Immer mehr Ausnahmen vom Tanzverbot am Karfreitag erwartet auch deshalb der Jurist Fabian Wittreck von der Universität Münster, an der er mit 200 Wissenschaftlern zu „Religion und Politik“forscht. „Je mehr die religiöse Vielfalt in der Gesellschaft wächst, umso stärker wird das Bedürfnis nach Ausnahmegenehmigungen – genauso steigt die Bereitschaft, sie zu erteilen.“
Das Bedürfnis nach erhabener Stille in einer lauten Welt wird ebenso bleiben.