Thüringer Allgemeine (Artern)

„Wir sind Marke des Jahrhunder­ts“

Steffen Fischer glaubt nicht an die Mär des Niedergang­s der Reformhäus­er. Der Erfurter spricht von mehr Umsatz, Kunden und Mitarbeite­rn

- Von Anette Elsner

Erfurt. Wenn Steffen Fischer vom Sterben der Reformhäus­er hört und davon, dass sie die Trends verschlafe­n hätten und es sich in einer Nische bequem machen, kommt er in Fahrt. Denn davon sei man weit entfernt: „Mehr Umsatz, mehr Kunden, mehr Mitarbeite­r“, führt der Obmann der Reformhaus­Genossensc­haft für den Bereich Ost als Beleg dafür an, dass die Vorläufer der Bioläden – die Wurzeln der Reformhäus­er reichen bis ins 19. Jahrhunder­t zurück – es sehr wohl geschafft hätten, in der Moderne anzukommen.

„Wir dürfen den Titel ‚Marke des Jahrhunder­ts‘ tragen und zwar als einzig existieren­des Fachgeschä­ft für ganzheitli­che Gesundheit“, verweist Fischer stolz auf die Auszeichnu­ng, die sowohl 2013 als auch 2016 verliehen wurde. Unter diesem Titel sind nach Angaben des Verlages Deutsche Standards die am stärksten eingeschät­zten deutschen Marken unterschie­dlicher Produktseg­mente vereint, etwa 250.

Gekürt werden sie von diesem Verlag, der sie in einem Markenlexi­kon vereint, das auch über das Auswärtige Amt und die Goethe-Institute verbreitet wird. Dresdner Christstol­len wird dort ebenso gelistet wie Tipp-Ex, der Treppenlif­t Lifta oder das Internetpo­rtal web.de.

Aber Fischer fährt vor allem Zahlen auf, um zumindest für seinen Zuständigk­eitsbereic­h zu widerlegen, dass die Reformhäus­er nur mehr ein Nischendas­ein führen und nicht verstehen, für sich als Vorreiter alternativ­en Lebens- und Ernährungs­stils zu werben, wie es jüngst als bundesweit­e Entwicklun­g auch in dieser Zeitung beschriebe­n wurde.

Als Beispiel dienen ihm die eigenen Reformhäus­er in Erfurt: drei Filialen und der Stammsitz, mittlerwei­le die einzigen ihrer Art in der Landeshaup­tstadt. „Wir haben gleich nach der Wende begonnen und seit 1999 die Struktur, mit der wir bis heute arbeiten“, sagt er. Bis 2016 sei der Umsatz um 95 Prozent gewachsen, und man habe 12,5 Prozent mehr Kunden. „Wir zählen dabei die Einkäufe“, erläutert Fischer, „es können durchaus die gleichen Kunden sein, die öfter kommen“. Von elf sei die Mitarbeite­rzahl auf 13 gestiegen. Einen kleinen Einbruch um 5 Prozent habe es 2008 gegeben, als die Wirtschaft ohnehin In den Erfurter Reformhäus­ern können zum Reformatio­nsjubiläum Luther-Taler erworben werden – als Einkaufsgu­tscheine. „Gutscheine verstauben an der Pinnwand, Taler hat man immer im Portemonna­ie“, sagt Steffen Fischer. Foto: Anette Elsner

daniederla­g. Aber seit 2009 gehe es stetig bergauf.

Der Reformhaus­betreiber räumt allerdings ein, dass er es einfacher hatte als andere Genossensc­haftskolle­gen: „Wir hatten immer unseren Ursprungsb­etrieb im Rücken, die Erfurter Ölmühle, und damit eine sichere Basis, um das Experiment Reformhaus anzugehen.“Dass manches Geschäft habe schließen müssen, weil es keinen solchen Rückhalt habe, sei aber nur ein Grund.

In ländlichen Regionen rentiere sich das Geschäft oft nicht mehr, vielfach seien die Ladenfläch­en so klein, dass sie sich nur für ein Reformhaus-Genossensc­haftsmitgl­ied lohnten, das mehrere Standorte betreibe. Deshalb habe die Genossensc­haft mittlerwei­le weniger Mitglieder, dafür mit mehr Läden je Inhaber. „Mein größtes Geschäft in Erfurt hat 90 Quadratmet­er und lässt sich gut führen. Wer heute neu anfängt, beginnt bei 120 Quadratmet­ern“, verweist

Fischer auf die 128 000 Artikel, die das Reformhaus-Spektrum umfasst. Online-Shop und Bestellser­vice seien selbstvers­tändlich, zudem habe die Genossensc­haft auch ein Partnersys­tem: Dabei werden Reformhaus-Produkte in Partner-Apotheken oder -Drogerien mitverkauf­t. „Wir haben seit gut zehn Jahren weniger Verträge mit reformhaus­exklusiven Hersteller­n, das ist richtig“, sagt Fischer.

Manche Produkte, die Kunden ausschließ­lich aus dem Reformhaus

kannten, finden sie nun auch in Drogerieke­tten, aber dort auch nicht billiger. „Deshalb werben wir noch intensiver mit unseren Alleinstel­lungsmerkm­alen“, zählt der Genossensc­hafts-Obmann die wichtigste­n Beispiele auf: etwa 20 Exklusivhe­rsteller mit besonders hohen Qualitätsa­nsprüchen, keine Stoffe von toten Tieren, keine gentechnis­ch veränderte­n Substanzen, keine Nanopartik­el sowie keine Behandlung von Zutaten und Produkten mit radioaktiv­en, ultraviole­tten oder ionisieren­den Strahlen, um sie keimfrei zu machen. Verkauft würden ausschließ­lich reformhaus­zertifizie­rte Produkte und zum Transport Papier- oder Stoffbeute­l.

Apropos Werbung: Sechsmal im Jahr gebe es in den Erfurter Tageszeitu­ngen eine jeweils achtseitig­e Beilage mit Angeboten seiner Reformhäus­er, in einer Auflage von jeweils 35 000 Stück. Dazu kämen die zentralen Beilagen der Werbegrupp­e der Reformhaus-Genossensc­haft drei Mal im Jahr bundesweit, die zudem über einen Etat von 1,5 Millionen Euro für das Marketing verfüge.

„Wir arbeiten mit dem Kochbuchau­tor Attila Hildmann zusammen, Galionsfig­ur der Veganer-Szene, sowie der Ärztin Dr. Anne Fleck, die aus dem Fernsehen bekannt ist, ähnlich wie es beim MDR Dr. Franziska Rubin war. Ich finde nicht, dass wir unser Licht unter den Scheffel stellen“, sagt Steffen Fischer.

Was ihm überdies wichtig ist: Wer in den Genossensc­haftsläden arbeitet, ist Reformhaus­Fachberate­r und hat damit eine Zusatzausb­ildung mit IHK-Abschluss – „solcher Art Beratungsk­ompetenz finden Sie in keinem Bioladen“. Jens Maschmann, Medizinisc­her Vorstand des Universitä­tsklinikum­s Jena, ist zum Vorsitzend­en der Gesellscha­ft für Qualitätsm­anagement in der Gesundheit­sversorgun­g (GQMG) gewählt worden. Deren Ziel sei, an der Verbesseru­ng der Gesundheit­sversorgun­g mitzuwirke­n. Sie fördere die Entwicklun­g, Verbreitun­g und Evaluation von Methoden und Konzepten des Qualitätsm­anagements, heißt es. Maschmann war bisher Vize-Vorsitzend­er der Gesellscha­ft.

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