Thüringer Allgemeine (Artern)

Die Magie der Steine

Lego beliefert die Baumeister der Zukunft mit Plastikklö­tzchen. Ein Blick hinter die Kulissen des größten Spielzeugh­erstellers der Welt

- Von Björn Hartmann

Billund. Es brummt, rauscht, klackt, zischt. Es riecht nach heißem Kunststoff. Röhren unter der hohen Hallendeck­e, glatter Betonboden, große, beigefarbe­ne Kästen mit allerlei Kabeln und Schläuchen – die Spritzguss­maschinen. Nirgendwo sonst im Lego-Imperium ist man weiter entfernt von der Magie der Steine als in dieser Fabrik am Stammsitz im dänischen Billund. Und näher dran an dem, was der größte Spielwaren­konzern der Welt neben dem Traum vieler Kinder auch ist: ein hart kalkuliere­ndes Industrieu­nternehmen. 361 Tage im Jahr außer Weihnachte­n und Neujahr spucken 768 Maschinen rund um die Uhr Bausteine aus – bis zu 120 Millionen am Tag.

Bunte Steine allein machen allerdings noch kein Geschäft, jedenfalls nicht mehr im 21. Jahrhunder­t. Deshalb arbeiten rund 250 Designer aus 45 Ländern in Billund, Menschen wie Andrew Woodman. Der Leiter von Lego Technic Design und sein Team haben zuletzt ein Motorrad nachgebaut, die BMW R 1200 GS Adventure. „Eine Motorradik­one“, schwärmt er, zudem eine große Herausford­erung. Denn das Modell sollte alles haben: „Zwei-Zylinder-Motor, Federung, eine Funktional­ität wie die echte Maschine.“ Und weil jeder Technikbau­kasten neben der normalen Bauanleitu­ng eine weitere für ein zweites Modell mit denselben Steinen enthält, hat Woodmans Team gemeinsam mit den BMW-Designern noch ein fliegendes Motorrad entwickelt. „Es sollte cool sein und die DNA von BMW behalten“, sagt Woodman. „Es sollte so glaubhaft wie möglich werden.“Der Clou: Bei BMW haben sie dann eine echte GS auseinande­rgenommen, um aus den Teilen das fliegende Motorrad von Lego nachzubaue­n.

Das Hauptgesch­äft läuft in der Weihnachts­zeit und um Ostern. Viele Eltern fragen sich: Bekomme ich noch die Box, die sich das Kind innig wünscht? Anders formuliert: Woher wissen sie in Billund, wie viele Schachteln sie produziere­n müssen? Ein Greifarm löst den Spritzling mit frischen Lego-Technic-Teilen aus der Gussform. Im Hintergrun­d prüft Produktion­sdirektor Henrik O. Nielsen ein Teil. Fotos: Reto Klar ()

Die Wahrheit ist: Sie wissen es nicht, jedenfalls nicht genau. Der Trick: Lego produziert nicht die Bausätze, sondern Steine auf Vorrat. Läuft ein Bausatz deutlich besser als erwartet, werden die entspreche­nden Schachteln an vier Standorten weltweit von Robotern aus den vorproduzi­erten Steinen zusammenge­stellt. Für Europa etwa in Tschechien.

Viele Steine lassen sich für eine Feuerwache ebenso verwenden wie für ein Motorrad oder ein Raumschiff, und es geht deutlich schneller, nur Bausätze zusammenzu­stellen und auszuliefe­rn, als erst noch die Steine dafür herzustell­en. Gerade in der Hauptsaiso­n ist

Tempo besonders wichtig. Die Idee stammt von Bali Padda,

der die Produktion in den vergangene­n Jahren umgestellt und optimiert hat. Seit Jahresbegi­nn ist er Chef des Konzerns. Anders als viele Kollegen kennt er Lego nicht schon aus seiner Kindheit: Padda wurde 1956 in Indien geboren und lebte dort bis zu seinem zwölften Lebensjahr – damals steckte Lego noch in den Anfängen.

Steine hat Padda immer in der Tasche, aber zum Bauen fehlt die Zeit. Das Porsche-Modell von Lego Technic habe ihn Monate gekostet, sagt er. Sein Lieblingsb­ausatz: das berühmte indische Grabmal Taj Mahal aus 5922 Teilen. Padda hat es zu

Hause im Flur stehen. Der Grundstein von Lego ist der nach der Zahl der Noppen benannte Achter oder Zwei-aufvier-Stein, wie sie ihn in Billund nennen. Es ist der Lieblingss­tein des Konzernche­fs und war auch der erste, den Firmengrün­der Ole Kirk Kristianse­n 1949 herstellte, zunächst übrigens ohne die charakteri­stischen Röhren im Innern, die dem Stein Halt geben. Inzwischen gibt es rund 3700 verschiede­ne Steinarten in 67 verschiede­nen Farben.

Die meisten Steine bestehen aus ABS, einem Kunststoff aus Öl. Weil der Konzern nachhaltig werden will, sucht Tim Brooks Im Keller lagern die Bausätze der Vergangenh­eit im Archiv. Bei Lego dürfen die Kinder der Mitarbeite­r mit ins Büro Modell des neuen Lego House aus Steinen des Unternehme­ns. Einer der ersten Lego-Kästen für angehende Städtebaue­r.

mit etwa 300 Mitarbeite­rn nach Ersatzstof­fen: Gräser und Algen etwa. Oder Recyclingm­aterial. „Wir könnten sogar Steine aus Luft machen, allerdings sind die Kosten sehr hoch, um den nötigen Kohlenstof­f zu gewinnen“, sagt Brooks.

Steine auf Grasbasis unterschei­den sich auf den ersten Blick vom klassische­n Stein, die Wände schillern etwas. „Noch ist das Material nicht ausgereift“, sagt Brooks. Der erste Stein aus Gräsern werde wohl um 2020 auf den Markt kommen.

Das Stein-Patent ist übrigens seit Jahrzehnte­n abgelaufen. Deshalb baut Lego die Spielwelte­n aus, die kein Konkurrent kopieren darf: die Abenteuers­erie ▶ 1932 begann Ole Kirk Kristianse­n im dänischen Billund, Holzspielz­eug herzustell­en. Sein Unternehme­n nannte er 1934 Lego – nach dem dänischen „Leg godt“für „Spiele gut“.

▶ Der Konzern setzte 2016 umgerechne­t 5,1 Milliarden Euro um. Der Gewinn betrug rund 1,3 Milliarden Euro. Lego beschäftig­t 19 000 Mitarbeite­r, davon 4500 am Stammsitz in Billund. Die Produkte werden in 140 Ländern verkauft, in 40 ist der Konzern selbst vertreten. Von Legoland hat sich Lego 2005 getrennt.

▶ Lego gehört zu 75 Prozent Kirkbi, der Investment­firma der Gründerfam­ilie. Den Rest hält die Lego-Stiftung.

Der Konzernche­f hat wenig Zeit fürs Bauen

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