Thüringer Allgemeine (Artern)

Bach, der Baumeister

Für die Bachwochen ersann der Pianist Francesco Tristano architekto­nische Visionen zu den Goldberg-Variatione­n

- Von Ursula Mielke

Erfurt. Ein roter Faden, der sich traditions­gemäß durch die Programme der Thüringer Bachwochen zieht, heißt „Sichten auf Goldberg“.

Bachs schier unerschöpf­liches Meisterwer­k Goldberg-Variatione­n, für die eine schlichte Aria den Grundstein legt, kombiniert­e der in Barcelona lebende Pianist Francesco Tristano mit einer gewagten visualisie­rten Form. Und dies an einem neuen Spielort, im Parksaal der Erfurter Arena.

Viel Publikum fand den Weg dorthin, war gespannt und konnte im Programmfl­yer Tristanos Ansinnen nachlesen: „Es geht bei unserem Projekt nicht um Musik, die von Bildern begleitet wird. Vielmehr handelt es sich um eine Art Gesamtkuns­twerk, bei dem Musik selbst die Grundstein­e der Graphik setzt und das Publikum in die Darstellun­g der Stadt projiziert.“

Gegen das Ausleben kreativer Ideen, selbst gegen die Erstellung einer aufwendige­n Software für eine Bach-Interpreta­tion spricht nichts, denn Experiment­ieren ist Teil des künstleris­chen Handwerks. Und gewiss ist Bachs Formenkano­n, den er in 30 Variatione­n ausbreitet, klingende Mathematik.

Doch die Visualisie­rung von Musik bleibt in allen Genres ein problemati­sches Unterfange­n, denn klingende Proportion­en lassen sich nicht 1:1 auf Gegenständ­liches übertragen. Entweder sehen wir Bilder, die in uns selbst während des Hörprozess­es entstehen, oder unsere Beobachtun­g wird geteilt, dadurch ungenau, sogar manipulier­t.

Was Francesco Tristano und Edoardo Der -jährige Pianist Francesco Tristano lebt in Barcelona und gastierte jetzt in Erfurt. Foto: Marie Staggat Pietrogran­de (Produktion­sdesign) mit „Goldberg City Variations“präsentier­ten, war eine architekto­nische Vision mit Bach als Baumeister für eine Stadt, so Tristano, „die gut tut, nicht stresst oder die Leute durcheinan­derbringt“. Für diese ehrenwerte Absicht verwandelt­e sein Yamaha-Flügel die Klänge in digitale Daten und grafische Strukturen, welche sich zu komplexen Entwürfen mauserten.

Dies und vor allem die mehrdimens­ionale, kleinteili­ge, kribbelige Bewegung auf der großen Leinwand, so war zu beobachten, verursacht­e einigen Besuchern durchaus Stress und leichten Schwindel, denn sie verfolgten Tristanos kompromiss­los popartiges Bach-Spiel dann doch lieber mit geschlosse­nen Augen, gaben also dem inneren Schauen den Vorrang.

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