Viele Morde für wenig Geld
Was nimmt man? Einen Euro für drei, fünf oder zehn Bücher? Rechnet man nach Regalmetern ab oder zum Kilopreis? Ich schlafe unruhig vor meinem ersten Bücherflohmarkt.
Um sieben klingelt der Wecker. Um acht habe ich aus allen verfügbaren Tischplatten – ausgeklapptes Tapezierbrett inbegriffen – Stände aufgebaut, die mit Buchware bestückt werden, der Rest verteilt sich auf dem Trampolin. Der Kunde wird im Spalier durchs Tor auf den Hof geleitet. Eine Barbiepuppe dient als Lockvogel.
Die Puppe ist als erstes weg.
Eine muslimische Familie mit Kind kommt vorbei. Die kleine Tochter bleibt stehen und macht große Augen.
„Schenk‘ ich dir“, sagt K.
Die Kleine hüpft fröhlich davon.
Gegen zehn füllt sich der Hof. „Hier hat ja einer meinen Geschmack“, freut sich eine Dame, während ihre Blicke die Auslagen schmeicheln.
„Was kriegen Sie?“, fragt ein Mann.
Ich schaue auf den Stapel in seinen Händen und verweise auf das Pappschild: „Drei Bücher ein Euro.“
„Nur?“
Der Euro sei symbolisch, erkläre ich. „Ich würde sie ja auch so abgeben. Hauptsache, sie kommen wieder in liebevolle Hände...“
Inzwischen ist auch die Dame fündig geworden: ein Band Martin Walser, ein Band Ingeborg Bachmann, drei Bände Paul Auster. „Ich würde Ihnen ja gern auch was bringen“, sagt sie. „Ich liebe Bücher, und es werden immer mehr, obwohl ich keinen Platz mehr habe.“
„Hallo“, ruft ein dunkelhäutiger Bursche in Jogginganzug und mit Wollmütze. „Fahrrad?“Er spricht mit Akzent und zeigt auf ein schickes Sportrad mit 27er Schaltung, das neben dem aufgeklappten Spiegel steht.
„Nein, tut mir leid. Das Rad gehört uns nicht.“
Ein Jogger stoppt am Tor und tänzelt eine Ehrenrunde. Dann deponiert er bei mir fünf Villen-Bücher, geht duschen und kommt mit zwei Euro zurück.
Die Münzen klingeln in der Kasse.
Und der Besucherstrom reißt nicht mehr ab. Viele Familien mit Kindern und Kinderwagen. Viele ältere Menschen mit analogem Geschmack. Junge Leute, barfuß, mit bunten Haaren und Ringen in der Nase.
„Habt ihr auch Schallplatten?“
Ja, aber die lagern unter der Treppe. Gegen Mittag haben bereits mehr als 300 Bücher den Besitzer gewechselt. Selbst die 50-bändige Agatha-ChristieGesamtausgabe geht weg – für 20 Euro. „Mord im Pfarrhaus“, Mord im OrientExpress“, „Mord in Mesopotamien“...
Ich trage sie dem kleinen, allein lebenden Herrn, der im Block um die Ecke wohnt, bis in die Küche. „So viele Morde“, lacht er, „da wird einem die Zeit nicht lang.“