„Ich hätte mich nie für Rot entschieden!“
Thüringer Allgemeine schickt Leser auf den Laufsteg: Wie sich die Models auf Zeit auf ihren Auftritt zur Messe „Besser Leben“vorbereiten
Erfurt. Niemals ärmellos? Nicht mit mir! Man könnte sagen, der Protest hat sie hergetrieben. Cornelia Matusiak-Hellhoff, 51, im wirklichen Leben Krankenschwester, seit gestern Model auf Zeit. Als sie in der Zeitung von diesem kategorischen Mode-Imperativ für die Frau ab 50 las, regte sich Widerstand. Wer legt das fest? Die Konvention? Die Stilpolizei? Niemals! Deshalb hat sie sich beworben.
Es ist Tag eins der Aktion, das erste Zusammentreffen. Das Erfurter Modehaus „Breuninger“kurz vor Ladenschluss. Aus Lautsprechern dudeln sanfte Klänge. Zwischen Kleiderständern hat Fotograf Mario Hochhaus ein mobiles Atelier aufgebaut. Studioleuchte, Hintergrund, Reflexschirm – sehr professionell. Die Häppchen auf den Tischen sind es auch, dazwischen liegen Ausgaben der aktuellen „Vouge“. Sie gehört zu den Leitmedien einer Branche, von der man sich zuweilen fragt, wie viel sie noch mit dem wirklichen Leben zu tun hat. Hier aber soll es genau darum gehen.
Franziska Langlotz, 56, kann sich noch gut an das Alltagsoutfit ihrer Großmutter erinnern, da war diese nicht viel älter als sie jetzt: Kittelschürze und Kopftuch. Vorbei die Zeiten, Gott sei Dank. Schön, dass bei dieser Aktion die Älteren im Mittelpunkt stehen, sagt sie. Sie arbeitet in einer Bußgeldstelle und nimmt es auch sonst sportlich: Eher Hose als Rock, ließe sich aber gern überraschen, was die Profis aus ihr machen. Eine Frage noch mit Blick auf die silbernen Sandalen: Warum kaufen eigentlich Frauen immer Schuhe? Lange nachdenken muss sie nicht. Weil die Schuhgröße eine verlässliche Konstante im Leben einer Frau ist. Da muss man sich bei der Anprobe nie ärgern.
Nachdem das geklärt ist, erscheint Alexander Entov, Geschäftsführer des Hauses. Spricht von 177 Bewerbungen, einer unerhofften Resonanz und davon, dass Mode hier gezeigt werden soll von Menschen, für die sie gemacht wurde. Darauf einen Sekt, dann wird zur Tat geschritten. Florian Hollburg führt Eva Morgenroth, 61, durch die Abteilung. Er ist hier Verkäufer, er kennt sich aus. Klick klack, machen die Kleiderbügel. Ein vielversprechendes Geräusch. Die Bluse? Zu rot, lachsrosa ist besser. Der bunte Blazer? Perfekt. Hose in grau und knöchellang? Der Marlene-Stil ist klasse, aber die Länge! Eher nicht. Oder vielleicht doch. Zehn Jahre hat sie in der Schulverwaltung gearbeitet, da war die Kleiderordnung, nun ja, eher konventionell. Jetzt steht sie wieder als Lehrerin vor einer Klasse, da geht es legerer. Klar, warum nicht mal knöchellang, sagt sie tapfer und verschwindet in der Kabine. Diese TA-Leser werden Anfang September Mode für die reife Generation vorführen. Im wirklichen Leben sind die „Models auf Zeit“Lehrerinnen, Krankenschwestern, Städteplaner oder haben vor ihrem Ruhestand im Büro gearbeitet. Fotos: Marco Schmidt Beatrice Heinrich (vorn) von der Modelagentur Rüberg gibt einen Schnellkurs auf dem Laufsteg.
Eine ganze Etage voller Kleider und niemand drängelt. Nachts allein im Kaufhaus, welch ein Gedanke! Sofern man eine Frau ist. Wie aber ergeht es Vertretern jener Spezies, bei der sich gewöhnlich schon beim Anblick einer Umkleidekabine der Fluchtinstinkt meldet? Zeit, einen Mann zu fragen.
Harald Dressler, 61, Kriminalbeamter a.D., erscheint in Jeans und Hemd, blau kariert, stellt sich dem Verhör. Wer hat‘s ausgesucht?
Meine Frau. Ist das immer so? Immer. Wie oft darf anprobiert werden? Dreimal, maximal. Ein typischer Fall. Angst vor der Anprobe? Nein, höchstens vor dem Laufsteg, ein bisschen. Mutiger Mann.
Stefan Peter Andres, 49 und Städteplaner ist offensiver. Sein Outfit: Weißes T-Shirt, erstanden in Rotterdam bei einem Jugendprojekt. Darüber eine khaki-farbene Weste, als Sommerersatz für das Sakko. Das trägt er TA-Leserin und Model auf Zeit Elisabeth Küpper-Erkwoh lässt sich bei der Wahl eines Outfits beraten. Menschen, für die Mode gemacht wurde, sollen sie auch vorführen. Menschen im besten Alter, ohne Modelmaße und faltenfreie Gesichter. Dafür suchte die Thüringer Allgemeine Bewerber. Einzige Bedingung: Freude an guter Kleidung und Mut für den Gang über den Laufsteg. 177 Leser schrieben der Redaktion, nur 16 konnten ausgewählt werden. Am Dienstag trafen sie sich zum ersten Mal immer, schon allein wegen der Taschen. Die Sandalen Marke „Jesus“hat er aus dem Internet. Die Hose – unwichtig, Hauptsache schwarz. Sein Modecredo: Kleidung ist wichtig, aber darf nicht verstellen. Was heißt: Niemals Schlips, wenn Anzug, dann mit Stehkragen. Klar soweit.
Vor den Fenstern sinkt die Stadt sachte in die Dämmerung, dahinter steigt die Laune. Fotograf Mario Hochhaus klickt sich durch die Porträts von Sabine für eine Probe. Weitere werden folgen, bis sie am 2. und 3. September auf dem Laufsteg der von der Mediengruppe Thüringen veranstalteten Messe „Besser Leben“in Kooperation mit dem Modehaus „Breuninger“Alltagsmode für die reife Generation vorführen werden.
Gezeigt werden dann jeweils drei Outfits der aktuellen Herbst/Winter-Kollektion des Modehauses. Tesch. Ganz gut, aber noch nicht gut genug, noch einmal das Ganze. Anders als bei Heidi K. gibt es heute für jeden ein Foto.
Auf dem Gang probt Beatrice Heinrich von der Agentur Rüberg den perfekten Modelgang. Rechtes Bein vor, schreiten, Pose, Drehen, zurück mit rechts. Oder doch mit links? Was macht man in der Zwischenzeit mit den Händen? Und wann und wie wird der Kopf gedreht? Fragen über Fragen. Gehen ist Steffi Otto, Cornelia Matusiak-Hellhoff und Franziska Langlotz in neuen Kleidern. Die Auswahl soll den Typ bestimmen. Laufen ist nicht gleich laufen, wie Frank Stehl (l.) und Andreas Pflaum beim ersten Training feststellen mussten.
Allein im Kaufhaus - ein verlockender Gedanke
nicht gleich gehen und ein Laufsteg kann ein ziemlich schwankender Boden sein.
Stefan Peter Andres ist mit Camouflage-Shirt und Lederjacke sehr zufrieden. Auf dem Rücken baumelt der Zopf, der kann bleiben und muss es auch. Der D‘Artagnan im Manne, fehlt nur noch der Degen. Nur mit der Hose fremdelt er noch, sie ist nicht schwarz. Man wird sehen.
Cornelia Matusiak-Hellhoff erscheint im Cocktail-Kleid, ärmellos
natürlich und vor allem: Rot. Ich hätte mich nie für Rot entschieden, ruft sie begeistert. Eigentlich steht sie auf kühle Töne. Stilberaterin Ute Kemmerich klärt auf: Blaue Augen, schwarze Haare, sie ist klar ein Wintertyp. Aber wenn der Lippenstift das Rot des Kleides aufnimmt, wird sich das aufheben. Man lernt nie aus. Die Models, nimmt man beruhigt zur Kenntnis, sind in sicheren Händen, bis im September der echte Laufsteg ruft.