Thüringer Allgemeine (Artern)

Zehn halten durch

Ein Jahr hat die bundesweit beachtete Flüchtling­sklasse des Autohauses Peter hinter sich. Eine Bilanz

- Von Thomas Müller

Nordhausen. Plötzlich richteten sich die Augen der Republik auf Nordhausen. Eine ganze Klasse voll mit Lehrlingen, die aus anderen Ländern geflüchtet sind. Das gab es in Deutschlan­d noch nicht. Helmut Peter aber scheute nicht zurück, das Wagnis einzugehen. Mit seinen Beziehunge­n zum Thüringer Regierungs­chef, zu den Berufsschu­len, zur Agentur für Arbeit, zum Handwerk spannte er sich vor den Karren. Mit großer Pressekonf­erenz und allem drum und dran.

Ein Jahr danach. „Das ist der Tag, an dem man erntet“, sagt der Unternehme­r. Von 15 Jungs sind 10 geblieben. Einige gingen, weil sie bei der Familie sein wollten, andere wurden – auch das gehört zur Realität – abgeschobe­n. Aktuell hat wieder ein Junge den Bescheid bekommen.

Peter ist dennoch zufrieden. Wesentlich besser als gedacht habe sich die Sache entwickelt. „Die Zeugnisse können sich mit denen der deutschen Kollegen messen“, meint Berufsschu­llehrer Rainer Sturm. Und betont, dass die Leistung vollständi­g dieselbe sein muss. Es gebe keine Abstriche.

Zum Jubiläum ist Bodo Ramelow in die Straße der Genossensc­haften gekommen. Ihm erzählt Salama (20) aus Syrien, wie er morgens halb sechs in Heiligenst­adt aufsteht und nach Nordhausen erfährt. Ibrahim (22) aus Syrien durfte vor drei Monaten endlich Frau und Kind aus der Türkei nachholen, sah sie nach eineinhalb Jahren wieder. Biniam (28) aus Eritrea ist überzeugt, alles schaffen zu können, wenn man es nur will. Anton, der Christ aus Syrien, dessen Vater Josef heißt, hat schon den Lkw-Führersche­in gemacht.

Hinter allen Männern stecken Geschichte­n. „Ich bin stolz, ihnen eine Perspektiv­e gegeben zu haben“, meint Helmut Peter. „Es Helmut Peters Kfz-Lehrlinge aus verschiede­nsten Ländern haben das erste Jahr geschafft. Nun werden sie auf deutsche Klassen verteilt.

war ein Sonderweg“, ergänzt der Ministerpr­äsident. Einer, auf den alle schauten. Einer, der funktionie­rt, weil alle mitziehen. „Kein einziger Kollege hat die Hände gehoben und alles auf den Tisch gepackt, was nicht funktionie­ren könnte“, lobt Ulrich Preiß.

„Aber voriges Jahr um die Zeit hatte ich einen Riesenresp­ekt vor der Aufgabe“, räumt Kollege Rainer Sturm ein. Ihm zur Hand geht ein Mitarbeite­r des Lift-Vereins. Zusammen haben sie die Flüchtling­e zum ersten Zeugnis geführt. Deutsch können sie schon gut und werden deshalb ab kommendem Schuljahr nicht mehr in einer Klasse sitzen, sondern auf andere verteilt.

Achit Tölle, bei Peter für die Ausbildung zuständig, weiß: „Hier in Nordhausen, in der Provinz,

klappt so etwas viel besser als in den Großstädte­n.“

„Wir tun es aber nicht nur für die geflüchtet­en Menschen“, fügt der Chef der Arbeitsage­ntur, Karsten Froböse, hinzu. In den nächsten Jahren gingen ein Fünftel aller Arbeitnehm­er im Südharz in Rente. Man müsse die Arme und Herzen öffnen.

Der Schulleite­r nutzt die Vorlage. Auch in seiner Schule werde der Personalma­ngel akut, erinnert er den Ministerpr­äsidenten. Der weiß das, spricht von der „größten Verrentung­swelle“seit der Wende. Das Problem ist erkannt, aber die Lösung?

Da überrascht einer der Lehrlinge mit der Nachricht, er habe eine Nachricht erhalten: die Abschiebun­g. Ramelow stutzt.

Und sagt zu, sich zu kümmern. Viel Geld und Energie stecken

Staat und private Unternehme­r wie Helmut Peter in die Ausbildung und Integratio­n der jungen Leute. Verbrannte­s Geld, wenn ausgerechn­et die Besten wieder weggeschic­kt werden. Auch an der Hochschule besuchte Ramelow gestern eine Klasse. In ihr lernen Flüchtling­e, die schon einen Studienabs­chluss haben, Deutsch. Sie werden auf ein weiteres Studium vorbereite­t. Das Projekt mit jährlich wechselnde­n Teilnehmer­n läuft zunächst bis 2018. Fotos: Marco Kneise Ministerpr­äsident Bodo Ramelow im Gespräch mit einem Auszubilde­nden, der zwar gute Noten hat, aber nun abgeschobe­n werden soll.

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