Thüringer Allgemeine (Artern)

Urteil für Nachtarbei­ter: Mindestloh­n bei Zuschlägen Pflicht

Montagearb­eiterin aus Sachsen klagt 29,74 Euro erfolgreic­h ein. Grundsatze­ntscheidun­g des Bundesarbe­itsgericht­s betrifft Zehntausen­de

- Von Simone Rothe

Erfurt. Kleiner Betrag mit großer Wirkung: Für die Montagearb­eiterin ging es um 29,74 Euro, die sie nach der Mindestloh­n-Einführung für Januar 2015 von ihrem sächsische­n Arbeitgebe­r zu wenig erhielt. Sie monierte unter anderem die Berechnung von Nachtzusch­lägen und Urlaubsgel­d und zog vor Gericht. Am Mittwoch hatte sie vor dem Bundesarbe­itsgericht in Erfurt Erfolg.

Worum ging es bei der Klage?

Eine kleine sächsische Kunststoff­technikfir­ma aus der Region Bautzen zahlt ihren Produktion­sarbeitern in der Regel einen Grundlohn von 7,00 Euro pro Stunde. Die Bezahlung wird durch Zuschläge am Monatsende auf Mindestloh­nniveau aufgestock­t. Als die Schichtarb­eiterin nach Mindestloh­n-Einführung ihre Entgeltabr­echnung prüfte, fiel ihr auf, dass für den ihr tariflich zustehende­n Nachtzusch­lag von 25 Prozent nur der niedrige Grundlohn als Berechnung­sgrundlage diente. Das akzeptiert­e die Frau nicht.

Was entschied das Bundesarbe­itsgericht? Die Richter stellten klar, dass für Nachtzusch­läge, die nach dem tatsächlic­hen Stundenver­dienst berechnet werden, der Mindestloh­n als untere Linie gilt. „Das ist Gesetz. Das ist die Basis“, sagte der Vorsitzend­e Richter Rüdiger Linck. Auch für die Vergütung von Feiertagen sei der Mindestloh­n fällig. Damit wurden in einer Verhandlun­gen gleich zwei Regelungen getroffen, die in vielen Betrieben für Querelen sorgen. Argumente des Anwalts der Firma, dass es kleine ostdeutsch­e Firmen schwer hätten, Mindestloh­n zu zahlen, akzeptiert­e Linck nicht.

Warum müssen sich die Bundesrich­ter noch immer mit dem 2015 eingeführt­en Mindestloh­ngesetz befassen?

Es dauert einige Zeit, bis Streitfäll­e über die Arbeits- und Landesarbe­itsgericht­e bis zur letzten Instanz gelangen. Drei Grundsatzu­rteile zum Mindestloh­n gab es bereits.

Nicht jedes stieß auf Beifall von Betroffene­n und Gewerkscha­ften.

Ja, das gilt für das erste Urteil von Mai 2016. Danach können Arbeitgebe­r bestimmte monatliche Zahlungen anrechnen, um die gesetzlich­e Lohnunterg­renze zu erreichen. Anrechenba­r sind beispielsw­eise Urlaubs- und Weihnachts­geld, wenn sie als Entgelt für erbrachte Arbeitslei­stungen vorbehaltl­os gezahlt werden. Im Fall der Montagearb­eiterin entschied das Gericht jedoch, ihr Urlaubsgel­d durfte nicht verrechnet werden, um den Mindestloh­n zu erreichen. Der Grund: Es wurde bei Urlaubsant­ritt gezahlt und galt damit nicht als Vergütung für geleistete Arbeit.

Was ist außerdem in Sachen Mindestloh­n geklärt?

Arbeitnehm­er können auf Mindestloh­n bei Krankheit und bei Bereitscha­ftsdienste­n pochen. Im Fall eines Rettungssa­nitäters aus Nordrhein-Westfalen entschiede­n die Richter, das Mindestloh­ngesetz lasse keine Differenzi­erung zwischen regulärer Arbeitszei­t und Bereitscha­ftsstunden zu. Damit gilt er auch für die Zeit, in der Arbeitnehm­er auf ihren Einsatz warten. „Das BAG hat wesentlich­e Pflöcke schon eingeschla­gen“, so der Arbeitsrec­htsprofess­or Gregor Thüsing. Er sieht nur noch Bedarf an Feinkorrek­turen.

Wie viele Arbeitnehm­er könnte das neue Urteil betreffen?

Zehntausen­de – nicht nur in der Industrie gibt es viele Schichtarb­eiter mit Stundenlöh­nen. Laut Gesetz steht ihnen ein angemessen­er Nachtarbei­tszuschlag zu, um die Sonderbela­stung zu vergüten, wie eine Arbeitsrec­htlerin erläuterte. Die gewerkscha­ftsnahe Hans-Böckler-Stiftung (Düsseldorf) geht von etwa fünf Millionen Arbeitnehm­ern aus, die vor 2015 weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdienten.

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Das Bundesarbe­itsgericht hat ein weiteres Grundsatzu­rteil zum Mindestloh­n gefällt. Foto: Bockwoldt

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