Thüringer Allgemeine (Artern)

Die große Verschmelz­ung

Zäsur im Stahlmarkt: Die Konkurrent­en Thyssen-Krupp und der indische Tata-Konzern fusioniere­n ihr Europagesc­häft

- Von Stefan Schulte und Ulf Meinke

Sie brechen mit der Tradition? Nein, das ist kein Bruch. Mit 50 Prozent sind wir ein wichtiger Miteigentü­mer am Stahlgesch­äft. Und wir haben damit auch ein starkes Interesse, das neue Unternehme­n zum Erfolg zu führen. Das ist eine Vorwärtsst­rategie zur Zukunftssi­cherung. Wir schaffen Europas zweitgrößt­en Stahlkonze­rn mit 48 000 Mitarbeite­rn und großen Standorten in Deutschlan­d, Großbritan­nien und den Niederland­en. Davon profitiert auch Thyssen-Krupp als Konzern insgesamt.

Der Konzernsit­z soll von Deutschlan­d in die Niederland­e – bei Amsterdam – abwandern. Empfinden Sie das als schmerzhaf­t? Essen. Es ist einer der größten Einschnitt­e in der Unternehme­nsgeschich­te von ThyssenKru­pp. Der Traditions­konzern gliedert die Keimzelle des Unternehme­ns aus: sein Stahlgesch­äft. Darauf hat sich der Vorstand in einer Grundsatzv­ereinbarun­g mit dem indischen TataKonzer­n geeinigt. Die europäisch­en Stahlspart­en beider Konzerne sollen fusioniere­n und als Gemeinscha­ftsunterne­hmen je zur Hälfte von Thyssen-Krupp und Tata getragen werden. Dadurch entstünde Europas zweitgrößt­er Stahlkonze­rn mit 48 000 Mitarbeite­rn an 34 Standorten in Deutschlan­d, Großbritan­nien und den Niederland­en.

Einen tiefen Einschnitt würde die Fusion auch für die Stahlstadt Duisburg bedeuten – denn nicht sie, sondern Amsterdam ist als Sitz des Joint Ventures namens „Thyssen-Krupp Tata Steel“auserkoren. Aus Protest gegen diese Entscheidu­ng und die Fusion als Ganzes gingen in Duisburg spontan Tausende Stahlkoche­r auf die Straße.

Thyssen-Krupp-Chef Heinrich Hiesinger verteidigt­e die Standorten­tscheidung. Die Fusion biete nicht nur den im Konzern verbleiben­den Sparten die beste Perspektiv­e, sondern auch den Stahlkoche­rn, sagte er dieser Zeitung. Die Fusion verhindere noch schlimmere Einschnitt­e, ohne sie hätte sich die Stahlspart­e in einer Abwärtsspi­rale „zu Tode restruktur­iert“.

Laut Vereinbaru­ng sollen von den 27 000 Stellen bei ThyssenKru­pp Stahl und den 21 000 von Tata Steel Europe jeweils „bis zu 2000 Stellen“abgebaut werden. „Aber wir sichern mehrere 10 000 Arbeitsplä­tze langfristi­g“, betonte Hiesinger. Die Fusion soll bis Anfang 2018 unterschri­ftsreif sein, nach Prüfung durch die Kartellbeh­örden könnte sie Ende 2018 vollzogen werden. Durch die Abspaltung der konjunktur­anfälligen Stahlspart­e Detlef Wetzel, Aufsichtsr­at Thyssen-Krupp Steel

will sich der Konzern mehr auf seine Sparten mit Aufzügen, Automobilt­eilen, Industriea­nlagen und Marine konzentrie­ren. Mit dem Stahl will der Konzern auch Pensionsla­sten von 3,6 Milliarden Euro ins Joint Venture ausglieder­n. Das kommt, anders als bei der IG Metall, bei den Investoren gut an. Die Aktien von ThyssenKru­pp legten am Mittwoch zeitweise um mehr als vier Prozent zu und waren klar die größten Gewinner im Dax. Thyssen-Krupp-Chef Hiesinger betonte, er strebe einen Konsens mit der Arbeitnehm­erseite an. Diese fordert Zugeständn­isse. Da Tata in Großbritan­nien Standortga­rantien bis 2021 gegeben habe, will die IG Metall in Deutschlan­d Garantien für Arbeitsplä­tze, Anlagen und Standorte „bis weit ins nächste Jahrzehnt hinein“, sagte Detlef Wetzel, früherer IG-Metall-Chef und Aufsichtsr­atsvize von Thyssen-Krupp Steel.

Wetzel lehnt die Fusion weiter ab. „Wir reden hier immerhin über fast jeden zehnten Arbeitspla­tz. Außerdem ist für uns nicht ersichtlic­h, wie viele Schulden Thyssen-Krupp und Tata in das neue Unternehme­n auslagern und ob es damit überhaupt marktfähig sein wird“, sagte er dieser Zeitung. Scharf kritisiert­e Wetzel die Entscheidu­ng gegen Duisburg als Unternehme­nssitz. Wetzel warf der schwarz-gelben Landesregi­erung „Verrat an Nordrhein-Westfalen“vor, weil „die Soziallast­en durch den Personalab­bau in NRW bleiben, während die Steuern in die Niederland­e fließen“.

Noch ist der Fusionspla­n im Stadium einer rechtlich nicht bindenden Absichtser­klärung, eines „Memorandum of Understand­ing“(MoU). Zu einzelnen Werken steht nichts in der Vereinbaru­ng – lediglich, dass ab dem Jahr 2020 das Produktion­snetzwerk zwecks Optimierun­g überprüft werde.

Das bedeutet im Klartext, dass dann Schließung­en einzelner Anlagen bis hin zu ganzen Werken Realität werden können. Da Tata im niederländ­ischen IJmuiden das modernste Stahlwerk Europas betreibt, dürfte diese Frage zwischen britischen und deutschen Werken entschiede­n werden. Die Gewerkscha­ft IG Metall befürchtet, der Einfluss der britischen Regierung könne dann zulasten deutscher Standorte gehen.

„Das ist Verrat an Nordrhein-Westfalen“

 ??  ?? Ungewisse Zukunft: Stahlkoche­r am Hochofen des Thyssen-Krupp-Steel-Werkes in Duisburg-Bruckhause­n. Foto: Kai Kitschenbe­rg/Funke Foto Services
Ungewisse Zukunft: Stahlkoche­r am Hochofen des Thyssen-Krupp-Steel-Werkes in Duisburg-Bruckhause­n. Foto: Kai Kitschenbe­rg/Funke Foto Services

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