Die große Verschmelzung
Zäsur im Stahlmarkt: Die Konkurrenten Thyssen-Krupp und der indische Tata-Konzern fusionieren ihr Europageschäft
Sie brechen mit der Tradition? Nein, das ist kein Bruch. Mit 50 Prozent sind wir ein wichtiger Miteigentümer am Stahlgeschäft. Und wir haben damit auch ein starkes Interesse, das neue Unternehmen zum Erfolg zu führen. Das ist eine Vorwärtsstrategie zur Zukunftssicherung. Wir schaffen Europas zweitgrößten Stahlkonzern mit 48 000 Mitarbeitern und großen Standorten in Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden. Davon profitiert auch Thyssen-Krupp als Konzern insgesamt.
Der Konzernsitz soll von Deutschland in die Niederlande – bei Amsterdam – abwandern. Empfinden Sie das als schmerzhaft? Essen. Es ist einer der größten Einschnitte in der Unternehmensgeschichte von ThyssenKrupp. Der Traditionskonzern gliedert die Keimzelle des Unternehmens aus: sein Stahlgeschäft. Darauf hat sich der Vorstand in einer Grundsatzvereinbarung mit dem indischen TataKonzern geeinigt. Die europäischen Stahlsparten beider Konzerne sollen fusionieren und als Gemeinschaftsunternehmen je zur Hälfte von Thyssen-Krupp und Tata getragen werden. Dadurch entstünde Europas zweitgrößter Stahlkonzern mit 48 000 Mitarbeitern an 34 Standorten in Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden.
Einen tiefen Einschnitt würde die Fusion auch für die Stahlstadt Duisburg bedeuten – denn nicht sie, sondern Amsterdam ist als Sitz des Joint Ventures namens „Thyssen-Krupp Tata Steel“auserkoren. Aus Protest gegen diese Entscheidung und die Fusion als Ganzes gingen in Duisburg spontan Tausende Stahlkocher auf die Straße.
Thyssen-Krupp-Chef Heinrich Hiesinger verteidigte die Standortentscheidung. Die Fusion biete nicht nur den im Konzern verbleibenden Sparten die beste Perspektive, sondern auch den Stahlkochern, sagte er dieser Zeitung. Die Fusion verhindere noch schlimmere Einschnitte, ohne sie hätte sich die Stahlsparte in einer Abwärtsspirale „zu Tode restrukturiert“.
Laut Vereinbarung sollen von den 27 000 Stellen bei ThyssenKrupp Stahl und den 21 000 von Tata Steel Europe jeweils „bis zu 2000 Stellen“abgebaut werden. „Aber wir sichern mehrere 10 000 Arbeitsplätze langfristig“, betonte Hiesinger. Die Fusion soll bis Anfang 2018 unterschriftsreif sein, nach Prüfung durch die Kartellbehörden könnte sie Ende 2018 vollzogen werden. Durch die Abspaltung der konjunkturanfälligen Stahlsparte Detlef Wetzel, Aufsichtsrat Thyssen-Krupp Steel
will sich der Konzern mehr auf seine Sparten mit Aufzügen, Automobilteilen, Industrieanlagen und Marine konzentrieren. Mit dem Stahl will der Konzern auch Pensionslasten von 3,6 Milliarden Euro ins Joint Venture ausgliedern. Das kommt, anders als bei der IG Metall, bei den Investoren gut an. Die Aktien von ThyssenKrupp legten am Mittwoch zeitweise um mehr als vier Prozent zu und waren klar die größten Gewinner im Dax. Thyssen-Krupp-Chef Hiesinger betonte, er strebe einen Konsens mit der Arbeitnehmerseite an. Diese fordert Zugeständnisse. Da Tata in Großbritannien Standortgarantien bis 2021 gegeben habe, will die IG Metall in Deutschland Garantien für Arbeitsplätze, Anlagen und Standorte „bis weit ins nächste Jahrzehnt hinein“, sagte Detlef Wetzel, früherer IG-Metall-Chef und Aufsichtsratsvize von Thyssen-Krupp Steel.
Wetzel lehnt die Fusion weiter ab. „Wir reden hier immerhin über fast jeden zehnten Arbeitsplatz. Außerdem ist für uns nicht ersichtlich, wie viele Schulden Thyssen-Krupp und Tata in das neue Unternehmen auslagern und ob es damit überhaupt marktfähig sein wird“, sagte er dieser Zeitung. Scharf kritisierte Wetzel die Entscheidung gegen Duisburg als Unternehmenssitz. Wetzel warf der schwarz-gelben Landesregierung „Verrat an Nordrhein-Westfalen“vor, weil „die Soziallasten durch den Personalabbau in NRW bleiben, während die Steuern in die Niederlande fließen“.
Noch ist der Fusionsplan im Stadium einer rechtlich nicht bindenden Absichtserklärung, eines „Memorandum of Understanding“(MoU). Zu einzelnen Werken steht nichts in der Vereinbarung – lediglich, dass ab dem Jahr 2020 das Produktionsnetzwerk zwecks Optimierung überprüft werde.
Das bedeutet im Klartext, dass dann Schließungen einzelner Anlagen bis hin zu ganzen Werken Realität werden können. Da Tata im niederländischen IJmuiden das modernste Stahlwerk Europas betreibt, dürfte diese Frage zwischen britischen und deutschen Werken entschieden werden. Die Gewerkschaft IG Metall befürchtet, der Einfluss der britischen Regierung könne dann zulasten deutscher Standorte gehen.
„Das ist Verrat an Nordrhein-Westfalen“