Thüringer Allgemeine (Artern)

Aus der Nische wurde Heimat

Eine Ausstellun­g im Landtag in Erfurt erzählt vom Ankommen vietnamesi­scher Vertragsar­beiter in der DDR

- Von Elena Rauch

Erfurt. Brave Bluse, langes gescheitel­tes Haar, ein angedeutet­es Lächeln. Als traue sie dem Unbekannte­n, das vor ihr liegt, noch nicht so ganz. Die junge Frau auf dem Foto, sagt Hai Bluhm, das bin ich. Vor vielen Jahren. Das Foto ist Teil einer Ausstellun­g, deren Kuratorin sie ist, die vom Ankommen in einer Fremde erzählt, die DDR hieß. Von einem Alltag in einer Nische. Wie eng diese Nische war, in der Integratio­n oder gar Verwurzelu­ng einen unwillkomm­ener Störfall darstellte­n, auch davon erzählt diese Ausstellun­g. Vom Leben im Wohnheim mit fünf Quadratmet­ern pro Person. Private Kontakte? Nicht gern gesehen. Alles war stets unter Kontrolle, dafür gab es eine Vereinbaru­ngen zwischen Mielkes Ministeriu­m und den Amtskolleg­en in Hanoi. Sprachunte­rricht, der pragmatisc­h auf den Daseinszwe­ck ausgericht­et war. Eine Abbildung aus einem Lehrbuch zeigt eine Werkbank: So wurden Präpositio­nen gepaukt. Frauen die schwanger wurden, mussten abtreiben oder gehen.

Hai Bluhm gehörte zu den ersten Vietnamese­n, die in die DDR kamen, um zu studieren. Es war 1975, hinter ihr lag eine Kindheit und Jugend im Krieg. Sie wurde aufs Land evakuiert, wo sie bei fremden Bauern wohnten und wo der Krieg einen Schritt weiter weg war, als in Hanoi. Die Mutter konnte manchmal Geld für Essen und Kleidung schicken, wo der Vater war, wusste sie manchmal monatelang nicht.

Sie studierte Wirtschaft­sinformati­k. Ein Wort, das nach Zukunft klingt, aber als sie zurückkehr­te nach Vietnam, war diese Zukunft dort noch nicht angekommen. Nahrung auf Marken, eine Wirtschaft am Boden und an eine Arbeit in ihrem Beruf nicht zu denken. Als das Angebot kam, als Dolmetsche­rin und Betreuerin für die vietnamesi­schen Vertragsar­beiter in die DDR zurückzuke­hren, war das mehr als ein Strohhalm.

Sie erzählt das so ausführlic­h, weil ich sie nach Erklärung gefragt habe. Wie aus dem Leben in der Nische eine Integratio­nsgeschich­te wurde, die sich zuweilen anhört wie aus dem Bilderbuch. Die meisten ihrer Landsleute hatten solche Erfahrunge­n im Rücken. Oft ehemalige Soldaten, Kinder von Kriegsvete­ranen oder Witwen. Und dann kommt dieses Angebot. Eine einmalige Chance zuallerers­t. Der Familie zu helfen, einen bescheiden­en Wohlstand zu schaffen. Und als die Wende kam, verteidigt­en diejenigen, die blieben, diese Chance mit beharrlich­er Selbstbeha­uptung, weil es eine zweite nicht geben würde.

Eine Erklärung? Vielleicht eine Annäherung. Diese Ausstellun­g kann sie befördern, weshalb man ihr einen öffentlich­eren Ort als den Landtag wünschen würde.

 ??  ?? Hai Bluhm hat die Wanderauss­tellung „Als Arbeitskra­ft willkommen“kuratiert. Foto: Elena Rauch
Hai Bluhm hat die Wanderauss­tellung „Als Arbeitskra­ft willkommen“kuratiert. Foto: Elena Rauch

Newspapers in German

Newspapers from Germany