Prozess gegen Thüringer Ärztin: Anwalt spricht von Gehirnwäsche
Älteres Ehepaar beschreibt vor Geraer Landgericht Klima der Angst in der Ottermühle. Kerstin S. stellt ihre Sicht dagegen
Gera. Vor dem Geraer Landgericht wurde gestern der Prozess gegen die Erfurter Psychiaterin und ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Kerstin S. mit der Befragung der ersten Hauptzeugen fortgesetzt.
Die Anklage wirft S. vor, über mehrere Monate das ältere Ehepaar Manfred und Martha. K. in ihrem Anwesen Ottermühle in Ostthüringen gemeinsam mit deren Tochter und Enkeln festgehalten, bestohlen und zu Geständnissen von sexuellen Übergriffen gezwungen zu haben.
Befragt wurden gestern erstmals der 83-jährige Mann und seine 82-jährige Frau. Beide treten im Prozess als Nebenkläger auf. Eingangs der Vernehmung wies die Vorsitzende Richterin Andrea Höfs darauf hin, dass gegen Ersteren wegen der Vorwürfe derzeit noch ein Ermittlungsverfahren läuft. Ausführlich belehrte sie beide Zeugen über ihr Recht, belastende Angaben gegen sich oder Familienmitglieder zu verweigern. Beide bestanden jedoch auf einer Aussage.
In ihren weitgehend übereinstimmenden Antworten stützen die beiden Alten die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft. So beschrieben sie ein Klima der ständigen Angst und Bedrohung, das in der Ottermühle gegen sie geherrscht habe. Für den Fall, dass sie die Mühle verlassen würden, sei ihnen angedroht worden, man werde den sexuellen Missbrauch in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld öffentlich bekannt machen. Unter ständigen Beschimpfungen sollten sie sich an ihre Untaten erinnern und bereuen. Zudem hätten Tochter und Enkel einen Safe mit Bargeld aus der Wohnung der beiden Alten geholt, welche Rolle Kerstin S. dabei spielte, blieb unklar. Die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen Manfred K. wiesen beide Zeugen zurück, die Verantwortung dafür sahen sie in der Beeinflussung ihrer Angehörigen durch die Angeklagte. Zur Tochter habe man inzwischen wieder ein gutes Verhältnis. Offen blieb gestern, ob das Gericht die Angaben des alten Herren verwerten kann und wird. Man habe bei ihm eine beginnende Demenz diagnostiziert, räumte der 83-Jährige vor Gericht ein. Selbst im Gerichtssaal kam es gelegentlich zu Aussetzern und Gedächtnislücken. Nach der Befreiung aus der Ottermühle sei er mehrere Wochen in einer Tagesklinik behandelt worden. Der Vertreter der Nebenklage wurde aufgefordert, dem Gericht aktuelle ärztliche Atteste über den Gesundheitszustand vorzulegen.
Völlig gegensätzlich dazu die Darstellung der Angeklagten, die gestern – wie schon beim Prozessauftakt – einmal mehr eine Erklärung mit ihrer Sicht der Dinge verlesen ließ. Danach waren die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs in freiwilligen Gesprächskreisen zur Sprache gekommen und alle Beteiligten an einer innerfamiliären Aufarbeitung interessiert. Dokumentiert sei dies in mehr als 800 Videoclips von mehr als 160 Stunden Dauer. Detailliert wurde in der Erklärung aufgelistet, in wie vielen der Clips und wie lange die Beteiligten dort über den Missbrauch sprechen.
Am Ende des zweiten Prozesstag bezeichnete der Vertreter der Nebenkläger, Rechtsanwalt Jürgen Zillikens, zumindest die Aussage der Frau als seiner Meinung nach sehr glaubwürdig. Hinsichtlich ihres Mannes liege die Entscheidung nun beim Gericht. In der Ottermühle habe eine Art Gehirnwäsche durch Abschottung, Manipulation und Bedrohung stattgefunden, so der Anwalt. Selbst ernannte Therapeuten wie Kerstin S. müssten gestoppt werden.