Barbara Thériault ist eine Detektivin des Alltags. Mit einem besonderen Spürsinn für Details entdeckt sie Thüringen und seine Menschen
Bist Du verheiratet? „Nein, aber ich könnte mir vorstellen, dass wir mal heiraten. Nur wir zwei, ohne die Kinder. Ich würde es erst sechs Monate später bekannt geben.“Das sagte mir unlängst Jenny, eine Erfurterin Anfang 40.
Das Erfurter Standesamt meldet, dass mehr Ehen geschlossen werden, über 1000 jährlich („Heiraten liegt weiterhin im Trend“, TA, 9.9.2017). Viele von diesen standesamtlichen Hochzeiten erinnern an kirchliche, mit weißen Kleidern, Gästen und Konfettis. Wenn ich durch die Stadt spaziere, stehe ich oft vor Fotoateliers und schaue mir Hochzeitsbilder an (dort hängen auch sexy Fotos, aber das ist ein Thema für sich). Im Zeitungsgeschäft am Bahnhof blättere ich manchmal durch die Magazine für Braut und Bräutigam. Auf satiniertem Papier wird Pracht, Romanze, Magie versprochen, alles für die Ausrichtung eines unvergesslichen und unvergessenen Tages.
Das Phänomen, das Jenny anspricht, steht in keiner Statistik; man kann es auch nicht im Schaufenster oder den Hochglanzmagazinen sehen. Es ist unsichtbar: Es soll auch so sein, denn es geht um ein einen Geheimbund, oft ohne Ringe, Kleid oder Trauzeugen, jedoch nicht ohne Magie.
Dass es unsichtbar ist, soll nicht heißen, dass es das nicht gibt. Jedes Mal, wenn ich das Thema anspreche, kommt ein „Schau, wir haben auch so...“, „Genau wie bei...“Jenny hat es nicht – oder noch nicht – gemacht, aber Marlene, Myriam, Judith und Anja schon. Frauennamen, ja. Da sind Frauen, die darüber reden. Das hat einen praktischen Grund: Wenn ich Männer um ein Gespräch bitte, bringen sie oft ihre Frauen mit und fügen zu ihren Grüßen „auch im Namen meiner Frau“hinzu. Redakteure von Hochzeitsmagazinen scheinen das gleiche Problem zu haben, denn über die Bräutigame wird kaum berichtet. Sich mit Männern darüber zu unterhalten, wäre sicher auch erhellend.
Das Geheime erzeugt Faszination: Es macht die Mitglieder des Bundes einzigartig, besonders, individuell und verbindet sie zugleich gegen die Umwelt: diejenigen, die nichts davon wissen und es nicht merken. So berichten Frauen, sie fühlten sich durch den Geheimbund ihrem Partner nah. Mit einem verschmitzten Lächeln erzählen sie, wie abenteuerlich die Eheschließung war. So fürchteten sie, ertappt zu werden, wenn sie das Standesamt verließen – in Erfurt kann es durchaus passieren; wie damals, als sie versuchten, sich mit ihren Freund in ihr Schlafzimmer im Elternhaus hineinzuschleichen.
Weil die Regeln dieser Art der Trauung ungeschrieben sind, heißt es lange nicht, dass es kein wiederkehrendes Muster gibt. Es soll unkompliziert sein: in Jeans oder im einfachen Kleid; in Erfurt oder woanders, z.B. während eines Urlaubs an der Ostsee oder im Thüringer Wald; mit oder ohne Kinder, aber definitiv ohne Eltern, Bekannte und Freunde. Typisch ist die betonte Leichtigkeit des Aktes: Es soll „ganz spontan“, „ohne große Vorbereitung“, „schnell“gehen.
Die Betonung der Leichtigkeit macht mich stutzig: Ob alles tatsächlich so spontan ist? Und so einfach? Der Geheimbund scheint ein empfindliches Thema zu sein.
Typisch für die neue Hochzeitsform ist auch, dass die Eltern vor vollendete Tatsachen gestellt werden, denn zum Geheimnis gehört auch seine Enthüllung. Dies geschieht in der Regel einige Monate nach der Eheschließung. Auch nach der Einweihung bleibt es ein schwieriges Thema. Die Eltern sind manchmal enttäuscht, die Freunde beleidigt; und Schuldgefühle sind bei den Vermählten nicht auszuschließen. Auch wenn Frauen Jahre später durchaus gerne von der Hochzeit erzählen, fällt doch eins auf: Unter der Bildern, die an den Wänden ihrer Wohnungen hängen, gibt es keine Hochzeitsfotos, die Besucher an den Tag erinnern könnten. Um Verstimmungen zu vermeiden, sind sie im Fotoalbum versteckt.
Einige Eltern sind, laut Frauenbericht, gekränkt, wenn sie irgendwann von der Eheschließung erfahren. Diskretion ist geboten. Die Inhalte dieser vertraulichen Berichte werden hier nicht wiedergegeben. Bei einem solchen Anlass kann ich mich aber selbst daran erinnern, nicht gekränkt, aber doch überrascht gewesen zu sein als ich – zusammen mit anderen Freunden und Bekannten – durch einen E-Mail-Verteiler benachrichtigt wurde, dass eine gute Freundin geheiratet hatte. Dies erinnert mich an ein anderes Kuriosum: Den Namen von Kindern bis zur Geburt geheimzuhalten. Man will sich wohl gegen den Druck der Umgebung panzern und vor Unglück schützen.
Als ich die Frauen fragte, wieso sie heimlich geheiratet hatten, machten sie verschiedene Erklärungen geltend: Angst vor Familienstreitigkeiten und Einmischungen, Unlust die ganze Familie samt entfernten Verwandten einladen zu müssen, Unwille zum Tanzen, Unmut über eine traditionelle Hochzeit. Der Druck der Familie, den Erwartungen der Eltern und Schwiegereltern nachzukommen, allgemein den sozialen Erwartungen gerecht zu werden, sind wohl die entscheidenden Gründe, für den Geheimbund. Geld mag auch eine Rolle spielen, aber darüber sprach niemand, zumal das Thema weder magisch noch romantisch wirkt.
Der Geheimbund ist eine Form mit eigener Geselligkeit und Etikette. Sie steht den glamourösen Hochzeiten entgegen, die in den Magazinen abgebildet werden: Statt im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit zu sein, spielt er sich weit vom Blick der anderen ab. Ob durch Glanz oder Nüchternheit, ist Magie in Spiel. Das Geheimnis verleiht einen Hauch Mysterium, deren Effekte zu verschwinden drohen, sobald festgestellt wird, dass man kein Einzelfall ist. Vielleicht sind deshalb bestimmte Hochzeitsdaten – wie zum Beispiel der 11.11.11 oder der 07.07.17 – bei Standesämtern so begehrt. Bei aller Hoffnung weiß man nie, wie die Hochzeit – ob zur Schau stellend oder geheim geschlossen – ausgehen wird. Am besten bringt man alle Chancen auf seine Seite. „Und, Jenny, werdet ihr mal heiraten?“„Wir werd... ich weiß nicht, ob ich es Dir verraten sollte.“