Ein Staat braucht Seele
Das ist die Stelle, an dem traditionell der Wahlaufruf steht: Gehen Sie bitte wählen! Das kleine Problem dabei: Die gebetsmühlenartige Wiederholung der Losung nutzt sich ab. Manch einem ist es lästig, dass das „wählen müssen“gerne mit erhobenem Zeigefinger und damit als sozialer Zwang daherkommt. Ähnlich wie das verkrampfte Miteinander bei einer verordneten Feier, die man nur deshalb mitmacht, weil es von einem erwartet wird.
Aus diesem Grund sind die Debatten über eine Wahlpflicht unsinnig. Ganz gleich, um welches soziale Engagement es sich handelt – und das Wählen ist definitiv eine Königsdisziplin des gesellschaftlichen Einsatzes –, es braucht Herz und Verstand. Engagement, um anderen zu gefallen oder nicht negativ aufzufallen, das macht wenig Sinn.
Um was geht es morgen? Es geht unter anderem darum, welche Parteien die nächste Regierungskoalition stellen. Mehr Steuern, weniger Steuern, mehr Polizei, weniger Polizei, mehr Bildung, weniger Bildung. Weil aber die Gesellschaft, eingebettet ins globale Weltgeschehen, mitten in einer Zeitenwende steckt, ist die Tragweite der Abstimmung noch sehr viel größer. Es geht um die Grundsatzfrage, ob Deutschland weiterhin ein gerechter, offener und wohlhabender Staat sein will.
Fest steht: Ein Staat ohne engagierte Bürger verkümmert zu einem reinen Bürokratenstaat, der sinnentleert vor sich hin taumelt – getragen von der Gleichgültigkeit. Das wäre das Gegenteil einer lebendigen Demokratie – und vielleicht sogar der Anfang vom Ende. Umgekehrt ist es das Engagement der Bürger, das einem Gemeinwesen Seele einhaucht.