Der Faktensammler
Günter Krombholz, Präsident des Thüringer Landesamtes für Statistik, ist morgen zum letzten Mal Landeswahlleiter. Er entspannt an der Gera in Erfurt-Gispersleben
Erfurt. Marvin hat in Deutsch eine Eins bekommen. Der Opa ist deshalb „sehr stolz“, es sei schließlich die erste Schul-Note seines Enkels. Günter Krombholz weiß nicht mehr recht, wie seine erste Klassenarbeit vor fast sechzig Jahren bewertet wurde. „Doch besser als eine Zwei war es nicht, ich kann mich auch an das Fach nicht mehr genau erinnern.“Die Vermutung liegt sehr nahe, dass es nicht Mathematik war. Denn da sammelte er fleißig Einsen, „weil ich schon als Kind eine enge Verbindung zu Zahlen hatte, sie mich irgendwie elektrisiert haben. “
Die Faszination ist bis heute geblieben, man könne mit Zahlen die Welt gut beschreiben. Vor allem auch mit Vergleichen „wobei ich besonders Grafiken sehr mag. Sie sind oft viel aussagekräftiger als drei Seiten Text.“
Eine Lieblings- oder Glückszahl hat Günter Krombholz nicht, das Schild am eigenen Fahrzeug ist mit seinem Geburtsdatum versehen. Er sagt, dass ihm jede Ziffer und Zahl „gleich viel bedeutet, egal, ob sie ein-, zwei- oder zehnstellig ist.“Er klingt dabei, als ob er warmherzig über Menschen redet. Und nach einer kleinen Pause fügt er schließlich hinzu: „Hauptsache, sie stimmen.“
Das ist auch morgen das Wichtigste, wenn er in Thüringen am Tag der Bundestagswahl wieder als Landeswahlleiter fungiert. Ein Ehrenamt, jenes als Präsident des Thüringer Landesamtes für Statistik (TLS) ist es nicht. Das ist sein Job, „beides lässt sich bestens verbinden“. Datenfacharbeiter hat er gelernt, „ich kenne noch die Lochkarten“, später ein Ingenieurstudium absolviert, danach hat er stets in der EDV gewirkt, wo er nach der Wende im neu gegründeten Landesamt für Statistik erst als Vizepräsident tätig war und seit 14 Jahren der Chef ist. Kurz nach 6 Uhr will er am Sonntag aufstehen, danach frühstücken, ab kurz nach halb acht im Büro sein. Er wird einen Anzug tragen, wahrscheinlich ein weißes Hemd, dazu eine Krawatte, „dem Anlass entsprechend“. Doch auch sonst, wenn nicht über die Kanzlerschaft entschieden wird, ist ihm seine Kleiderordnung im Gebäudekomplex im Erfurter Norden wichtig. Korrekt von Kopf bis Fuß.
Bis 3 Uhr, vielleicht sogar 4, wird er am für ihn längsten Tag des Jahres im Büro ausharren. Ein schmuckloser Raum mit einem geordneten Schreibtisch, Stuhl, mächtiger Grünpflanze in der Ecke und Blick in den Hof.
„Ich werde erst dann gehen, wenn ich die frisch gedruckte Broschüre, die alle Daten und Fakten zur Wahl in Thüringen enthält, in der Hand habe.“
Möglich ist, dass er nach dem Feierabend noch einen nächtlichen Spaziergang durch den
HR MPark in Gispersleben, einem Ortsteil von Erfurt, macht. Der ist nicht weit von seiner Arbeitsstelle entfernt, er liegt auch nahe genug am Haus, in dem er mit Ehefrau Anna glücklich lebt.
43 Jahre sind sie schon verheiratet, haben einen Sohn. Seit neun Jahren gehört auch Rocky, ein Jack Russel, zur Familie. Der kleine Hund, der wie ein großer bellt, begleitet ihn fast immer auf den Strecken im Park. Dieser ist durch viele Umgestaltungen sehr ansehnlich geworden. Mit viel Grün, einem schönen Radweg, neuen Schleifen für den Gera-Fluss. Die Einbindung in die Bundesgartenschau 2021 erscheint deshalb logisch.
Aufgeregt ist Günter Krombholz vor dem morgigen Tag nicht. „Ich habe inzwischen fast 40 Wahlen als Landeswahlleiter oder Stellvertreter hinter mir.“Ohnehin hänge alles von einer guten Vorbereitung ab, „die entscheidet vieles“. Und natürlich von einem bestens funktionierenden Team. „Das Wir ist wichtig. An diesem Sonntag müssen wir alle wie ein Uhrwerk funktionieren“, sagt Krombholz und nestelt an der Brille. Sie hätten die Abläufe mehrmals in den vergangenen Wochen geprobt, einschließlich eines Notfall- und Havarie-Konzepts. Es gebe in den acht Wahlkreisen in Thüringen etwa 30 000 Wahlhelfer.
In seinem Haus, so Krombholz, „werden Sonntag 40 Mitarbeiter sein“. Sie sammeln und erfassen die Daten, stellen sie ins Internet und reichen diese nach Berlin weiter. Kurz nach 18 Uhr werden Gerstengrund oder Kleinbockedra, kleine Thüringer Gemeinden mit nicht mal 60 Wahlberechtigten, wohl wieder die ersten Orte sein, die die Ergebnisse melden. Bis gegen 23 Uhr ist mit den letzten Resultaten zu rechnen. „Natürlich haben wir den Ehrgeiz zu den Bundesländern zu gehören, die möglichst schnell alles komplett in die Hauptstadt gesendet haben.“Doch niemals dürfe Geschwindigkeit auf Kosten der Genauigkeit und Sicherheit gehen.
Die ist dieses Mal ohnehin noch mehr Thema als sonst. Die Mitarbeiter werden sich den ganzen Tag auch auf mögliche Falschmeldungen konzentrieren, mehrere Online-Netzwerke beobachten, um so eventuell sofort auf sogenannte „FakeNews“reagieren zu können.
Günter Krombholz versucht Gelassenheit vor der Wahl auszustrahlen. „Hektik mag ich nicht, zudem sind wir auch bestens aufgestellt“, sagt er stellvertretend für seine Mitarbeiter, die täglich mit Tausenden Zahlen jonglieren. Das Amt ist in fünf Abteilungen gegliedert, über 300 EU-, Bundes- und Landesstatistiken werden bearbeitet, einige monatlich, andere viertel- oder halbjährlich ermittelt. In Gesetzen sind Inhalt und Stichtag für die jeweilige Statistik exakt festgelegt. „Jede Sekunde gibt es einen Klick auf das Internetangebot des TLS, jeden Tag bringen wir eine Pressemeldung heraus, eine der wesentlichen Aufgaben ist die Veröffentlichung der Ergebnisse.“Wie das möglichst geschehen soll, das beschreibt Günter Krombholz in drei Worten: „Einfach, verständlich, gut.“Er verweist auf das strenge Beachten des Datenschutzes und darauf, dass sein Amt zwar mit Zahlen hantiert, aber sich jeglicher Bewertung enthält. Das trifft auch auf diese Bundestagswahl zu, bei der es für Thüringen einen enormen Anstieg bei der Briefwahl zu verzeichnen gibt. Die sei fast doppelt so hoch wie vor vier Jahren.
Günter Krombholz selbst hat ebenfalls diese Woche im Erfurter Rathaus seine Stimme abgegeben. „Ich habe ja auch eine Meinung.“Und zugleich eine Vorstellung, wie er sich den Ausgang morgen wünscht. Doch die gibt er nicht kund.
Es wird seine letzte als Landeswahlleiter sein. Am 30. April 2018 verabschiedet er sich – dann an seinem 66. Geburtstag – in den Ruhestand. Danach will er sich weiter im Rotary-Club für soziale Projekte engagieren und vor allem noch ausgiebiger den Hobbys widmen. Das Wandern zählt dazu, er ist den Rennsteig schon abgelaufen, hat den Jakobsweg zur Hälfte absolviert.
Auch Klettern und Schnorcheln gehören zu den FreizeitBetätigungen. Und natürlich soll die Familie mehr Zeit von Günter Krombholz bekommen. Auch Enkel Marvin. Der hat jetzt schon eine Lieblingszahl. Zumindest in der Schule.
Der Arbeitstag kann bis früh um 4 Uhr dauern