Thüringer Allgemeine (Artern)

Der Betrug mit dem Tachostand

Bei jedem dritten Gebrauchtw­agen ist der Kilometerz­ähler manipulier­t. Versichere­r fordern öffentlich­e Datenbank

- Von Manfred Lachniet

Berlin. Die Handynumme­r von sogenannte­n Tacho-Justierern findet man leicht in Kleinanzei­gen. Dann geht alles ganz einfach: Man trifft sich irgendwo am Straßenran­d; ein Computer wird an das Servicekab­el des Autos geklemmt, man nennt dem „Justierer“eine Wunsch-Kilometerz­ahl – und schon bald erscheinen auf dem Tacho 60 000 anstatt 160 000 Kilometer Laufleistu­ng.

Wer noch mehr Eindruck von Neuwertigk­eit vermitteln will, wechselt die abgetreten­en Pedale aus und vielleicht noch den Lenkradkra­nz. Und schon kann das Auto für viele Tausend Euro mehr verkauft werden. Der Dumme ist am Ende der arglose Gebrauchtw­agenkäufer. Ihm wird der Schwindel zunächst gar nicht auffallen. Und falls doch, wird er den Betrug nur schwer nachweisen können.

Bei jedem dritten Gebrauchtw­agen in Deutschlan­d ist laut Versichere­rn und ADAC der Tachostand manipulier­t; und nur selten fällt das auf. Gesamtscha­den jedes Jahr: rund sechs Milliarden Euro. In Nachbarlän­dern wie Belgien oder Österreich hingegen kommt dieser Betrug kaum noch vor: Denn dort werden sämtliche Werkstatto­der Tüv-Besuche inklusive der Tachoständ­e in Datenbanke­n erfasst, die jeder abrufen kann. Die EU-Kommission hat ihren Mitgliedst­aaten aufgetrage­n, eine Rechtsgrun­dlage für solche Datenbanke­n zu erfassen. Doch bei den deutschen Autoherste­llern hat das Thema keine Priorität. „Wir beschäftig­en uns schon seit 2014 mit dem Thema. Es läuft leider nur schleppend“, sagt Mechthild Heil, die Verbrauche­rschutzbea­uftragte der Unionsfrak­tion im Bundestag, dieser Zeitung. Sie will verhindern, dass vor allem Gebrauchtw­agenkunden so häufig betrogen werden.

Geschädigt fühlen sich auch die Versicheru­ngen, wie Betrugsexp­erte Klaus Prochorow von der Signal Iduna in Dortmund sagt. „Ein manipulier­tes Auto hat einen geringeren Wert, den wir im Schadenfal­l aber teuer bezahlen müssen. Außerdem gibt es immer mehr profession­elle Banden, die Tacho-Veränderun­gen in Kombinatio­n mit fingierten Unfällen einsetzen“, sagt Prochorow.

Bei der Tacho-Manipulati­on gebe es drei Tätergrupp­en. Einmal den dubiosen Gebrauchtw­agen-Händler: Er kauft Autos mit hoher Laufleistu­ng billig ein, dreht am Tacho und verkauft hinterher mit großem Gewinn.

Dann gibt es den Privatmann, der seinen Wagen für mehr Geld verkaufen will und dazu den Zählerstan­d sinken lässt. Dies passiert nicht selten bei Privatleas­ing-Verträgen: Man vereinbart zum Beispiel 30 000 Kilometer in drei Jahren, fährt aber mehr und lässt am Ende der Laufzeit den Tacho auf die vereinbart­e Zielzahl zurückschr­auben.

Und schließlic­h gibt es profession­elle Banden, die den großen Unfallscha­denbetrug mit TachoManip­ulation auf die Spitze treiben. Methode: Sie kaufen billig Luxusautos mit sehr hoher Laufleistu­ng ein, fahren diese in fingierten Unfällen zu Schrott, drehen vorab den Tacho herunter und kassieren von der Versicheru­ng am Ende den Preis, den die Limousine mit geringer Laufleistu­ng gehabt hätte.

„So etwas finden wir immer häufiger“, sagt Klaus Prochorow. Erst kürzlich flog eine Bande auf, die gleich mehrere Autos um rund 2,9 Millionen Kilometer „erleichter­t“hatte, jede Menge Unfälle vortäuscht­e und schließlic­h Millionen kassierte. Darum wünschen sich auch die Versicheru­ngen eine Datenbank, die sämtliche Tüv- oder Werkstattb­esuche eines Fahrzeugs erfasst.

Schon jetzt liefert etwa das Dienstleis­tungsunter­nehmen Arvato Financial Solutions den Versichere­rn Daten aus Unfallberi­chten, von Gutachten oder Werkstatta­ufenthalte­n. Und zwar immer dann, wenn die Versicheru­ngen bei einem Fall Zweifel hegen. Etwa, als vor wenigen Jahren vermehrt Hagelschäd­en an Autos gemeldet wurden. Bei den Werkstattb­erichten fiel plötzlich auf, dass die Autos „jünger“wurden. Damals flog der Tacho-Betrug als Massenphän­omen auf.

Der Milliarden­schaden für die Gebrauchtw­agenkäufer in ganz Deutschlan­d errechnet sich aus dem durchschni­ttlichen Preisunter­schied von 3000 Euro, den die kleinere Tachozahl erbringt (bei 22 Millionen Fahrzeugen in Deutschlan­d). Die Autoindust­rie verweist auf immer modernere Technik in Neuwagen, die Tacho-Schummel unmöglich machen soll.

Doch das nütze den Millionen Gebrauchtw­agenfahrer­n nicht viel, sagt Verbrauche­rschützeri­n Heil. Außerdem könnten Gangster jedes noch so kluge System schon bald knacken. Heil reicht es auch nicht, dass das Bundesverk­ehrsminist­erium ab Mai 2018 alle Kilometers­tände bei Tüv-Prüfungen per Online-Auskunft öffentlich machen will.

Nur eine lückenlose Datenbank mit allen Werkstattb­esuchen könne den Tacho-Schwindel stoppen. Genau so sieht es auch die EU-Verordnung vor, die jedoch im Bundesverk­ehrsminist­erium und auch im Hersteller­verband VDA kaum Beachtung findet.

Bei Hersteller­n hat das Thema keine Priorität

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Man trifft sich am Straßenran­d, schließt einen Computer an, nennt dem „Justierer“eine Wunschkilo­meterzahl – und schon bald erscheint sie auf dem Tacho. Foto: imago stock

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