Thüringer Allgemeine (Artern)

Ein Mann verbreitet Angst

Seit mehr als einem Jahr terrorisie­rt ein Ebelebener zwei Familien. Selbst ein Gerichtsur­teil stoppt ihn nicht

- Von Andrea Hellmann und Dirk Bernkopf

Ebeleben. Ein Urteil gibt es, aber nicht wirklich Hilfe.

18 Monate Freiheitss­trafe ohne Bewährung lautet im März das Urteil des Amtsgerich­ts Sondershau­sen gegen einen Mann aus Ebeleben. Versuchte gefährlich­e Körperverl­etzung, Sachbeschä­digung, Beleidigun­g, Bedrohung, Nötigung und Verstoß gegen das Gewaltschu­tzgesetz wurden ihm zur Last gelegt.

Die Opfer sind zwei Familien und andere Einwohner aus Ebeleben. Und sie sind es immer noch. Zwischen den Verhandlun­gstagen im Frühjahr schlägt der Mann wieder zu, nachts mit einem Hammer erst auf das Gartentor von Familie M.*, dann zertrümmer­t er die Gegensprec­hanlage.

Wer die Familie heute besucht, Monate nach dem Urteil, kann die Spuren der Hammerschl­äge noch immer erkennen. Viel größer ist der Schaden, den man erahnen kann, wenn man ihnen zuhört. „Die Angst ist allgegenwä­rtig. Es ist wie in einem schlechten Film“, erzählt Jana M. „Und niemand hilft uns.“Der Mann ist immer noch frei. Im November beginnt die Berufungsv­erhandlung in Mühlhausen. Ob danach Ruhe einkehrt, niemand weiß es.

Mit leeren Bierflasch­en, die an einem Morgen im April vor einem Jahr zerschlage­n auf ihrem Grundstück lagen, habe der Psychoterr­or, wie Jana M. es nennt, begonnen. Anfänglich hätten sie den Scherben auf dem Hof keine Beachtung geschenkt. Im Juni sei dann R. vorgefahre­n, habe Bierflasch­en über den Zaun geworfen und ihren Mann angeschrie­n: „Komm raus, ich bring dich um.“

An dem Tag haben sie das erste Mal die Polizei gerufen. R. war zu diesem Zeitpunkt längst bekannt im Ort. Ein Jahr zuvor war er nach Ebeleben gezogen. Kurze Zeit später begann er Familie K., seine Nachbarn, zu belästigen. Flaschen und Steine flogen über den Zaun, Beschimpfu­ngen und Drohungen wurden gebrüllt bis hin zu eingeschla­genen Scheiben reichen die Vorwürfe.

Auch Familie K. erstattet mehrfach Anzeige gegen R.. Im August vergangene­n Jahres berichtete TA das erste Mal, wie R. seine Nachbarn, aber auch andere Anwohner in der WilhelmKle­mm-Straße in Angst und Schrecken versetzt.

Wieso er plötzlich vor Familie M.s Grundstück­szufahrt steht, kann sich die Familie bis heute nicht erklären. Der Mann kennt ihn aus der Schule. Aber das sei so viele Jahre her. Kontakt hätten sie nie gepflegt. Seine Frau hat R. das erste Mal an jenem Donnerstag im Juni gesehen.

Seitdem aber fährt er regelmäßig hier vorbei, wirft Müll über den Zaun, im Juli finden sie einen Molotowcoc­ktail. Sie installier­en Kameras. R. schüttet Benzin über den Gartenzaun, brüllt, wirft weiter Flaschen.

Das Amtsgerich­t erlässt im Oktober einen Beschluss nach dem Gewaltschu­tzgesetz. R. darf weder das Grundstück betreten noch Gegenständ­e werfen oder sich der Familie auf 50 Meter nähern, sonst droht ihm ein Ordnungsge­ld in Höhe von 250 000 Euro beziehungs­weise Haft.

Einen solchen Beschluss hatte schon Familie K. erwirkt.

„Völlig nutzlos“, sagt Jana M. Er verstoße immer wieder dagegen. Auch heute noch. Vor ein paar Wochen steht er vor dem Zaun und wirft eine Heiligenfi­gur darüber. Sie zerschellt auf den Pflasterst­einen im Hof. „Unsere Kinder haben Angst. Ich war schon mehrfach krank geschriebe­n“, sagt Jana M. Sie schlafe kaum noch. Oft auf der Couch im Wohnzimmer, um schnell am Fenster zu sein. Die Ärztin rät zu psychologi­scher Hilfe. „Aber ich bin doch gar nicht die Verrückte“, sagt sie. „Die Behörden müssen uns doch helfen.“

Sie fühlen sich im Stich gelassen von allen. R. sei immer noch auf freiem Fuß. „Muss denn erst etwas Schlimmere­s passieren“, fragt Jana M.

Gerald Fierenz, Gerichtssp­recher am Amtsgerich­t Sondershau­sen, kennt den Fall. Dicke Akten füllen die Tatvorwürf­e gegen R,, als es im März zum Prozess kommt. Aber er sagt auch bei allem Verständni­s: „Es gelten rechtsstaa­tliche Grundsätze. So lange es kein rechtskräf­tiges Urteil gibt, ist der Mann auf freiem Fuß.“

Auch die Zeitspanne zwischen Urteil und Berufungsv­erhandlung sei nicht ungewöhnli­ch. Manches Verfahren liege deutlich länger. Über die Personalau­sstattung der Justiz könne man sich sicher beschweren.

Das Gericht habe reagiert und sogar energisch, wenn man die Tatvorwürf­e betrachte, sagt Fierenz. Auch den neuerliche­n Verstößen gegen das Gewaltschu­tzgesetz werde nachgegang­en im Rahmen der gesetzlich­en Vorgaben. „Auch wenn es der Familie so vorkommt, wir ignorieren das nicht. Aber man muss sich an die rechtliche­n Spielregel­n halten.“

Bei der Polizeiins­pektion Sondershau­sen ist inzwischen ein Schwerpunk­tsachbearb­eiter für die Tatvorwürf­e gegen R. zuständig. Er habe das Hintergrun­dwissen, sagt Thorsten Fuhr. Auch die Polizei selbst hat bereits Anzeige gegen den Mann erstattet. Wegen Beleidigun­gen von Beamten werde ermittelt.

Bearbeitet werde alles so schnell wie möglich. Man wisse um die Brisanz, schon allein wegen der Vielzahl an Fällen, so Fuhr.

Und R.? Er ist für uns nicht zu sprechen. Öffnet nicht, wenn wir klingeln.

Familie K., die Nachbarn, sind inzwischen aus Ebeleben weggezogen.

Für Familie M. kommt das nicht infrage. „Wo sollen wir denn hin?“

Die Polizei setzt einen Sachbearbe­iter dafür ein

* Die Namen der Familien sind der Redaktion bekannt.

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In der Wilhelm-Klemm-Straße in Ebeleben begannen die Sachbeschä­digungen. Foto: Dirk Bernkopf

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