Ein Mann verbreitet Angst
Seit mehr als einem Jahr terrorisiert ein Ebelebener zwei Familien. Selbst ein Gerichtsurteil stoppt ihn nicht
Ebeleben. Ein Urteil gibt es, aber nicht wirklich Hilfe.
18 Monate Freiheitsstrafe ohne Bewährung lautet im März das Urteil des Amtsgerichts Sondershausen gegen einen Mann aus Ebeleben. Versuchte gefährliche Körperverletzung, Sachbeschädigung, Beleidigung, Bedrohung, Nötigung und Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz wurden ihm zur Last gelegt.
Die Opfer sind zwei Familien und andere Einwohner aus Ebeleben. Und sie sind es immer noch. Zwischen den Verhandlungstagen im Frühjahr schlägt der Mann wieder zu, nachts mit einem Hammer erst auf das Gartentor von Familie M.*, dann zertrümmert er die Gegensprechanlage.
Wer die Familie heute besucht, Monate nach dem Urteil, kann die Spuren der Hammerschläge noch immer erkennen. Viel größer ist der Schaden, den man erahnen kann, wenn man ihnen zuhört. „Die Angst ist allgegenwärtig. Es ist wie in einem schlechten Film“, erzählt Jana M. „Und niemand hilft uns.“Der Mann ist immer noch frei. Im November beginnt die Berufungsverhandlung in Mühlhausen. Ob danach Ruhe einkehrt, niemand weiß es.
Mit leeren Bierflaschen, die an einem Morgen im April vor einem Jahr zerschlagen auf ihrem Grundstück lagen, habe der Psychoterror, wie Jana M. es nennt, begonnen. Anfänglich hätten sie den Scherben auf dem Hof keine Beachtung geschenkt. Im Juni sei dann R. vorgefahren, habe Bierflaschen über den Zaun geworfen und ihren Mann angeschrien: „Komm raus, ich bring dich um.“
An dem Tag haben sie das erste Mal die Polizei gerufen. R. war zu diesem Zeitpunkt längst bekannt im Ort. Ein Jahr zuvor war er nach Ebeleben gezogen. Kurze Zeit später begann er Familie K., seine Nachbarn, zu belästigen. Flaschen und Steine flogen über den Zaun, Beschimpfungen und Drohungen wurden gebrüllt bis hin zu eingeschlagenen Scheiben reichen die Vorwürfe.
Auch Familie K. erstattet mehrfach Anzeige gegen R.. Im August vergangenen Jahres berichtete TA das erste Mal, wie R. seine Nachbarn, aber auch andere Anwohner in der WilhelmKlemm-Straße in Angst und Schrecken versetzt.
Wieso er plötzlich vor Familie M.s Grundstückszufahrt steht, kann sich die Familie bis heute nicht erklären. Der Mann kennt ihn aus der Schule. Aber das sei so viele Jahre her. Kontakt hätten sie nie gepflegt. Seine Frau hat R. das erste Mal an jenem Donnerstag im Juni gesehen.
Seitdem aber fährt er regelmäßig hier vorbei, wirft Müll über den Zaun, im Juli finden sie einen Molotowcocktail. Sie installieren Kameras. R. schüttet Benzin über den Gartenzaun, brüllt, wirft weiter Flaschen.
Das Amtsgericht erlässt im Oktober einen Beschluss nach dem Gewaltschutzgesetz. R. darf weder das Grundstück betreten noch Gegenstände werfen oder sich der Familie auf 50 Meter nähern, sonst droht ihm ein Ordnungsgeld in Höhe von 250 000 Euro beziehungsweise Haft.
Einen solchen Beschluss hatte schon Familie K. erwirkt.
„Völlig nutzlos“, sagt Jana M. Er verstoße immer wieder dagegen. Auch heute noch. Vor ein paar Wochen steht er vor dem Zaun und wirft eine Heiligenfigur darüber. Sie zerschellt auf den Pflastersteinen im Hof. „Unsere Kinder haben Angst. Ich war schon mehrfach krank geschrieben“, sagt Jana M. Sie schlafe kaum noch. Oft auf der Couch im Wohnzimmer, um schnell am Fenster zu sein. Die Ärztin rät zu psychologischer Hilfe. „Aber ich bin doch gar nicht die Verrückte“, sagt sie. „Die Behörden müssen uns doch helfen.“
Sie fühlen sich im Stich gelassen von allen. R. sei immer noch auf freiem Fuß. „Muss denn erst etwas Schlimmeres passieren“, fragt Jana M.
Gerald Fierenz, Gerichtssprecher am Amtsgericht Sondershausen, kennt den Fall. Dicke Akten füllen die Tatvorwürfe gegen R,, als es im März zum Prozess kommt. Aber er sagt auch bei allem Verständnis: „Es gelten rechtsstaatliche Grundsätze. So lange es kein rechtskräftiges Urteil gibt, ist der Mann auf freiem Fuß.“
Auch die Zeitspanne zwischen Urteil und Berufungsverhandlung sei nicht ungewöhnlich. Manches Verfahren liege deutlich länger. Über die Personalausstattung der Justiz könne man sich sicher beschweren.
Das Gericht habe reagiert und sogar energisch, wenn man die Tatvorwürfe betrachte, sagt Fierenz. Auch den neuerlichen Verstößen gegen das Gewaltschutzgesetz werde nachgegangen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben. „Auch wenn es der Familie so vorkommt, wir ignorieren das nicht. Aber man muss sich an die rechtlichen Spielregeln halten.“
Bei der Polizeiinspektion Sondershausen ist inzwischen ein Schwerpunktsachbearbeiter für die Tatvorwürfe gegen R. zuständig. Er habe das Hintergrundwissen, sagt Thorsten Fuhr. Auch die Polizei selbst hat bereits Anzeige gegen den Mann erstattet. Wegen Beleidigungen von Beamten werde ermittelt.
Bearbeitet werde alles so schnell wie möglich. Man wisse um die Brisanz, schon allein wegen der Vielzahl an Fällen, so Fuhr.
Und R.? Er ist für uns nicht zu sprechen. Öffnet nicht, wenn wir klingeln.
Familie K., die Nachbarn, sind inzwischen aus Ebeleben weggezogen.
Für Familie M. kommt das nicht infrage. „Wo sollen wir denn hin?“
Die Polizei setzt einen Sachbearbeiter dafür ein
* Die Namen der Familien sind der Redaktion bekannt.