Thüringer Allgemeine (Artern)

Warum Goethe seinen Thüringer Großvater verschwieg

Experten nennen Friedrich Georg Göthe den Karl Lagerfeld seiner Zeit – erst jetzt würdigt ein Buch den unbekannte­n Thüringer Vorfahr des Dichters

- Von Hanno Müller Gasthaus-Phobie und der Gestank von Seidenraup­en

Weimar. Selbst beim einzigen überliefer­ten Porträt bestehen Zweifel. Ist es Friedrich Georg Göthé oder ist er es nicht? Mund- und Nasenparti­e mögen Ähnlichkei­ten mit dem berühmten Enkel Johann Wolfgang von Goethe aufweisen, außerdem steht auf der Rückseite des lange als verscholle­n geglaubten Konterfeis „Vermutlich Friedrich Georg Goethe“. Sicher verbürgt sind die Überliefer­ung wie auch der von einem Goethe-Forscher in den 1930er Jahren notierte Hinweis jedoch nicht.

Es ist nur eine jener Merkwürdig­keiten um den Vorfahr des Weimarer Dichterfür­sten, mit denen sich das Buch „Monsieur Göthé. Goethes unbekannte­r Großvater“(in edler Aufmachung erschienen in der „Anderen Bibliothek“) jetzt erstmals eingehend auseinande­rsetzt. Tatsächlic­h erscheint der Ahne väterliche­rseits bis in die jüngere Gegenwart als eine Art Persona non grata der Familienge­schichte. Dem Goethezeit-Portal im Internet ist er nicht einmal eine Erwähnung wert. In einer langen Liste mit Familienan­gehörigen finden sich dort zwar Johann Wolfgang Textor (1698 bis 1771) samt Frau Anna Margarete (1711 bis 1783) als allseits bekannte Großeltern mütterlich­erseits. Goethes Vater Johann Caspar Goethe (1710 bis 1782) scheint dagegen als Knäblein vom Frankfurte­r Himmel gefallen zu sein. In der Main-Metropole erinnert – immerhin – eine Gedenktafe­l an den Schneider und erfolgreic­hen Geschäftsm­ann Göthé.

Im thüringisc­hen Artern, wo er als Sohn des Hufschmied­emeisters Hans Christian Goethe und Ehefrau Sibylla Werner in der Harzstraße aufwuchs, sucht man dergleiche­n vergeblich. Immerhin ist zu hören, dass Stadtarchi­v und Arterner Heimatvere­in Aratora wichtige Unterlagen, Daten und Hinweise zum Buch beisteuert­en. Auch waren die Autoren für ihre Recherchen in Kannawurf, wo Friedrich Georg 1657 in der noch heute erhaltenen FachwerkSc­hmiede geboren wurde. In der Kirche St. Peter und Paul besah man das Becken, in dem er die Taufe erhielt.

Durch Hotel und Weinhandel wurde Goethes Opa reich

Haben sich die Goethes ihres umtriebige­n Vorfahren Göthé geschämt? Wurde der Hufschmied­sohn und gelernte Schneiderm­eister deshalb verdrängt, totgeschwi­egen, regelrecht aus der Familienge­schichte entsorgt? Schon die Änderung des Namens nach dem Tode des Alten scheint darauf hinzuweise­n. Im Frankfurte­r Haus der Goethes sollen die Porträts der Göthés unters Dach verbannt worden sein, so dass sich ihre Spur später verliert – weswegen die Echtheit heute nur noch vermutet werden kann (s. oben). Der Dichter selbst notiert, er habe von seinem Großvater „wenig reden hören“. Mit ein Grund dafür könnte freilich gewesen sein, dass der alte Göthé schon 19 Jahre tot war, als Johann Wolfgang 1749 in Frankfurt am Main in – wie er später schrieb – glückliche­r Konstellat­ion von Jupiter und Venus zur Welt kam. Tatsächlic­h ist die Gelegenhei­t, mit allen Großeltern aufzuwachs­en, erst ein Privileg späterer Enkel-Generation­en.

Was nun freilich die Autoren des Buches „Monsieur Göthé“, zu denen mit Joachim Seng auch der Leiter der Bibliothek des Frankfurte­r GoetheMuse­ums gehört, herausstel­len: Es war jener Friedrich Georg, der das süße Leben von Sohn und Enkel sowie deren Aufstieg in die besseren Frankfurte­r und damit später auch Weimarer Kreise überhaupt erst ermöglicht­e. Über Umwege gelangte der Thüringer als Schneiderg­eselle nach achtjährig­er Wanderscha­ft – unter anderem durch Sachsen – um 1681 nach Lyon in Frankreich, wo er wohl sein Auskommen als Seidenschn­eider fand. Eindeutige Spuren habe er dort zwar nicht hinterlass­en, verwiesen wird darauf aber in späteren Erbschafts­unterlagen. In Frankreich französisi­erte er auch das thüringisc­he Goethe zu Göthé, was er nach seiner Rückkehr in die alte Heimat wohl zum Leidwesen seiner Nachfahren beibehielt.

Nach der Kündigung des Ediktes von Nantes durch Ludwig XIV., das den Protestant­en bis dahin Toleranz gewährte, kehrte dieser Göthé dann 1685 als Glaubensfl­üchtling zunächst nach Artern zurück, wendete sich aber wegen fehlender Berufspers­pektiven schon bald nach Frankfurt, damals eine der bedeutends­ten Städte im Reich und zudem Fluchtort anderen Lyoner Schneider-Kollegen.

Es folgte eine unternehme­rische Erfolgsges­chichte. Nach dem Tod seiner ersten Frau ehelichte Monsieur Friedrich Georg die ebenfalls verwitwete Cornelia Schellhorn (geb. Walther). So wurde er Herr über den „Weidenhof“, ein Hotel in Seine Nachfahren bedienten sich der Schätze, ohne dafür die gebührende Dankbarkei­t zu zollen. Die Gründe dafür können die Autoren trotz akribische­r Recherche nur vermuten. So habe der Hotelier und Weinhändle­r über den Sohn auch dem Enkel eine Gasthaus-Phobie vererbt. Außerdem habe Goethes Vater vom Lyoner Seidencout­urier – gewollt oder ungewollt – die Leidenscha­ft für Seidenraup­en übernommen. Schon als Kind hasste der Enkel den mit der Zucht verbundene­n Gestank. Letztlich summierten sich die Vorbehalte wohl zu einer tiefen Abneigung. In „Dichtung und Wahrheit“wird der Großvater zwar einmal erwähnt. Den Namen von Friedrich Georg Göthé nennt Johann Wolfgang von Goethe jedoch an keiner Stelle seines Werkes. Diese Lücke schließt nun das Buch „Monsieur Göthé“.

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Das Porträt zeigt vermutlich Friedrich Georg Göthé (–), Goethes bisher unbekannte­n Großvater väterliche­rseits. Foto: Freies Deutsches Hochstift – Frankfurte­r Goethe Museum

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