Thüringer Allgemeine (Artern)

Im Eilschritt zur Regierungs­bank

SPD und Union vereinbare­n schnelle Sondierung­en: Die Gespräche sollen bis zum 12. Januar abgeschlos­sen sein

- Von Philipp Neumann und Theresa Martus

Berlin. Immerhin gab es Kuchen: Martin Schulz konnte seinen 62. Geburtstag am Mittwoch nicht zu Hause bei Familie und Freunden verbringen. Stattdesse­n war der SPD-Chef in Berlin, um mit den Spitzen von CDU und CSU über die Aufnahme von Sondierung­sgespräche­n zu reden. Gemeinsam mit SPDFraktio­nschefin Andrea Nahles traf Schulz sich mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU), CSUChef Horst Seehofer, UnionFrakt­ionschef Volker Kauder und CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt. Die Sechserrun­de legte fest, wann und unter welchen Bedingunge­n SPD und Union über eine Regierungs­bildung reden wollen.

Mit welcher Taktik gehen die Parteien in die Sondierung­en?

Die SPD betont, dass die Sondierung­en „ergebnisof­fen“sind. Das heißt, dass es offiziell noch immer Alternativ­en zur großen Koalition gibt, bei denen die Sozialdemo­kraten mehr oder weniger aktiv an der Regierung beteiligt sind. Es würde dann bei jedem Gesetz wechselnde Mehrheiten geben. Das soll die Parteibasi­s beruhigen, bei der eine Groko höchst unbeliebt ist. Trotzdem gibt die Parteispit­ze als Ziel eine „stabile Regierung“aus – was wieder nach einer Neuauflage der großen Koalition klingt. Offen ist, ob die SPDBasis wirklich mitzieht. Die thüringisc­he SPD stellte sich am Wochenende gegen eine neue Groko. Auch in NRW rumort es, und die Jusos haben ohnehin deutlich gesagt, dass sie eine mögliche Neuauflage dieser Koalition für einen Fehler halten.

Die Union dagegen hat klargemach­t, dass das Ziel der Gespräche nur eine große Koalition sein kann. Annegret Kramp-Karrenbaue­r, saarländis­che CDUMiniste­rpräsident­in, erklärte am Mittwoch, wenn die Verhandlun­gen zwischen den Parteien scheitern sollten, müsse man über Neuwahlen reden – „eventuell schon im Sommer“. Das will aber eigentlich keiner der Beteiligte­n.

Was sind die Forderunge­n von

Union und SPD?

Beide Seiten haben 13 Themenfeld­er vereinbart, darunter auch die „Arbeitswei­se der Regierung und Fraktionen“. Ganz oben auf dem Wunschzett­el der SPD steht eine Reform des Pflegeund Gesundheit­swesens. Von der Bürgervers­icherung, in die alle einzahlen würden und die private und gesetzlich­e Krankenver­sicherunge­n treten soll, ist aber inzwischen seltener die Rede. Die Union hat schon angekündig­t, dass sie da nicht mitmacht. Die SPD will deshalb nun vor allem durchsetze­n, dass die Krankenkas­sen wieder hälftig von Arbeitnehm­ern und Arbeitgebe­rn finanziert werden.

Die Union hat offiziell noch keine Ziele für die Gespräche festgelegt. Ähnlich wie bei der Bürgervers­icherung hat sie Schwesterp­arteien aber signalisie­rt, dass sie keine Steuererhö­hungen wollen. Auch die Lohnnebenk­osten sollen 40 Prozent nicht überschrei­ten. Damit sind Reformen bei Pflege, Gesundheit und Rente Grenzen gesetzt. Auch der Themenkomp­lex Asyl und Migration wird eine zentrale Rolle spielen: CDU und CSU werden ihren mühsam errungenen Kompromiss zum Maßstab machen. Ob das Papier aus dem Oktober eins zu eins umgesetzt werden muss, damit eine Regierung zustande kommt, ist aber fraglich: Die Jamaika-Sondierung­en haben gezeigt, dass selbst hier etwas Spielraum ist.

Wie ist das Verhältnis von Martin Schulz und Angela Merkel?

Merkel und Schulz kennen sich aus Zeiten, in denen der SPDChef noch Präsident des EUParlamen­ts war und die Kanzlerin häufig in Brüssel, weil es die Euro-Krise zu bewältigen galt. Sie teilen ein Interesse an Geschichte und sind beide überzeugte Europäer. Unter den teils harten Attacken im Wahlkampf dürfte das Verhältnis aber gelitten haben: Schulz hatte Merkel vorgeworfe­n, die defensive Wahlkampff­ührung und die Vermeidung jeder Konflikte glichen einem „Anschlag auf die Demokratie“. Gleichzeit­ig verzweifel­te der Rheinlände­r, der emotionale­r auftritt als die Kanzlerin, zeitweise an deren moderieren­den Art: In den Vorbereitu­ngen auf das TV-Duell vor der Wahl reichte – so berichtet es der „Spiegel“– schon ein gut vorbereite­tes Merkel-Double, um ihn aus der Fassung zu bringen. Das sind schwierige Voraussetz­ungen für entspannte Gespräche.

Wie ist der

Zeitplan für die Sondierung­sgespräche? Das Gespräch in der Sechserrun­de am Mittwoch ist der letzte Termin zur Regierungs­bildung vor Weihnachte­n. Im neuen Jahr soll es dann schnell gehen: Die Parteien wollen die Gespräche am 7. Januar nach der Klausurtag­ung der CSU im Kloster Seeon beginnen und bis zum 12. Januar fertig sein. Am 21. Januar soll dann ein SPD-Parteitag entscheide­n, ob die Partei förmliche Koalitions­verhandlun­gen über den Vertragste­xt aufnimmt. Wenn die Delegierte­n Koalitions­gesprächen zustimmen, könne bis Ostern, also Anfang April, eine Regierung gebildet werden. Das sagte der parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der SPD, Carsten Schneider, im ZDF.

Was macht Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier jetzt?

Eine Minderheit­sregierung, das hat Angela Merkel mehrmals deutlich gemacht, kommt für sie nicht infrage. Sollte es also keine Koalition geben, müssten die Bürger einen neuen Bundestag wählen. Den Weg dahin kann nur Bundespräs­ident FrankWalte­r Steinmeier frei machen, nur er kann den Bundestag auflösen. Steinmeier hat aber signalisie­rt, dass er eine Neuwahl für die schlechtes­te Lösung hält.

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Was wünschen Sie sich? SPD-Chef Martin Schulz verbrachte seinen Geburtstag mit Vorsondier­ungen. Foto: dpa

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